könige, kaiser und lakaien

felix schwenzel, , in wirres.net    

instant article von buzzfeed

michael hanfeld:

Die Todgeweihten beugen sich vor dem neuen Kaiser.

mit den „todgeweihten“ meint hanfeld journalisten und mit dem kaiser facebook. er redet vom spiegel, der new york times, dem guardian, der BBC, the atlantic und davon, dass diese „nun bei einem Programm von Facebook mitmachen, das sich ‚Instant Articles‘ nennt“. er redet von „Objektivität und Wahrhaftigkeit“, um die es beim „Qualitätsjournalismus“ gehe. und er greift tief in die grabbelkiste mit abgenutzten vokabeln für oberflächliche online-kritiker und spricht von „kostenloskultur“, filterblasen und „shitstorms“.

von wem hanfeld witzigerweise nur einmal, in einem nebensatz, spricht, sind „leser“. und eigentlich, so scheint es, sind diese „leser“ eine echte gefahr für den journalismus. denn deren „vermeintliche Vorlieben“ werden den journalismus ins unglück stürzen:

Da gibt es dann vornehmlich angenehme Storys im Katzenbilder-Stil oder echte, schnelle Aufreger, die zum Shitstorm werden bis zur Online-Exekution, dann wieder weg sind, aber eher nichts dazwischen und nicht zu komplex.

nun ist michael hanfelds artikel natürlich auch nicht gerade besonders komplex oder klug, sondern eher ein schneller, hingekotzter aufregertext der fleissig auf facebook diskutiert (102 kommentare), geliked (224 likes) und geteilt (122 shares) wird (stand 17.05.2015, 8 uhr). aber auffällig ist hanfelds misstrauen gegenüber den lesern schon. ich habe das gefühl, er würde lieber nur für seine kollegen schreiben, für kollegen die katzenbilder doof finden, sich niemals empören oder an empörungswellen teilnehmen und jeden tag gegen die von der umwelt und den medien auferlegten filter kämpfen, indem sie hegel und kant lesen und sich täglich durch 200 abonnierte tageszeitungen kämpfen, um ein differenziertes bild der welt zu erlangen.

aber die abscheu vor dem pöbel leser ist gar nicht das was mich an hanfelds text am meisten stört, es ist die unaufrichtigkeit. denn die gefahr die er heraufbeschwört, die eines populistischen journalismus, der den vermeintlichen interessen seiner leser hinterherläuft und sie mit katzenbildern, empörung und flachheiten bewirft, diese gefahr besteht nicht erst seit online oder facebook.

leser und zuschauer und ihre vorlieben werden seit jahrzehnten gemessen und inhalte werden seit jahrzehnten auf ihre vorlieben hinoptimiert. auch die faz versucht die vorlieben ihrer leser mit unzähligen trackern und nutzungsanalysen zu erfassen und zu optimieren. 24 solcher leservorlieben-tracker werden zusammen mit hanfelds artikel aufgerufen.

auch in einer zeit, als journalistenmeinungen lediglich auf papier und im fernsehen zum „nutzer“ getragen wurden, fanden wettrennen statt um die „vorlieben“ der empfänger zu erfassen und zu bedienen. der „qualitätsjournalismus“ den hanfeld voreilig betrauert war nie ein massengeschäft, er musste sich immer schon im rauschen des massenmarktes behaupten und versuchen seine zielgruppe zu erreichen. dem journalismus ging es auch nie nur um „Objektivität und Wahrhaftigkeit“, sondern immer auch um popularisierung und annährung an den massengeschmack. ebenso ging es dem dem journalismus auch immer schon um skandalisierung und emotionalisierung. das war und ist immer thema der medienkritik und wird es auch in diesen zeiten bleiben. aber popularisierung, unterkomplexität, emotionalisierung allein mit facebook in verbindung zu bringen ist, nunja, unterkomplex, populistisch und emotionalisierend.

vor allem ist es aber grundfalsch, denn gerade die digitalisierung hat es geschafft, neben dem massengeschmack profitable nischen für spezialinteressen oder „qualitätsinhalte“ zu schaffen. das zeigt vor allem die renaissance der „qualitätsfernsehserien“, die auch an hanfeld nicht vorbeigegangen ist. was er aber offenbar verpasst hat: die hinwendung zu den „vermeintlichen vorlieben“ der zuschauer ist ein entscheidender baustein für den erfolg der neuen „qualitätsserien“. eben genau weil zuschauer sich gegenseitig diese serien empfehlen können, weil sich die vorlieben für diese serien viral in sozialen netzwerken aufschaukeln können, finden sie ihre zuschauer abseits des massengeschmacks. auf facebook, in der vernetzten welt, kann man ein massenpublikum finden, aber eben auch ein spezialpublikum mit nischen- oder qualitätsinteressen.

es gibt für mich keinerlei hinweise darauf, warum das mit journalistischen formaten anders sein sollte.

* * *

apropos „wahrhaftigkeit“. darauf legt hanfeld ja in seinem text grossen wert. trotzdem scheut er sich nicht, sinnentstellend zu vereinfachen:

Dabei stellen die Verlage und Sender Beiträge auf Facebook zur Verfügung, die nicht verlinkt, also nicht mit der Originaladresse des Urhebers verbunden sind. Zahlen muss Facebook dafür nichts. Beziehungsweise: Der Netzwerkkonzern zahlt mit den Daten seiner Nutzer, auf die die Verlage und Sender zugreifen dürfen. Sie können zu den Artikeln auch in eigener Regie Werbung setzen.

das stimmt so nicht. die ersten beispiele für facebook instant articles funktionieren anders: für jeden artikel den ein verlag als „instant article“ bei facebook anlegt, gibt es auch ein pendant auf der verlagswebsite. dieser buzzfeed-artikel auf facebook wird auf einem iphone (mit der neuesten facebook-app) zu einem instant article. für alle anderen führt er auf buzzfeed.com. das ist bei diesem nyt-artikel nicht anders. auf dem iphone ist es ein instant article, für alle anderen geht’s zur nytimes.com.

das zweite: auch in der faz werden artikel nicht mit der „Originaladresse des Urhebers verbunden“. dieser artikel von stefan niggemeier linkt zum beispiel nicht zu stefan-niggemeier.de — obwohl stefan niggemeier der urheber ist. ich verstehe schon was hanfeld meint: er meint verwerter (nicht urheber). aber das hörte sich für ihn wahrscheinlich zu kommerziell an — und kommerziell, populistisch oder emörungswellenreitend sind ja immer nur die anderen.

* * *

worauf ich aber eigentlich hinaus wollte: instant articles sind eigentlich nichts anderes als „Publish (on your) Own Site, Syndicate Elsewhere“, kurz „POSSE“. POSSE beschreibt eine indieweb-technik, bei der man (obviously) inhalte zuerst auf seiner eigenen webseite veröffentlicht und sie dann auf beliebige weitere seiten syndiziert. das indiewebcamp-wiki drückt den entscheidenden punkt so aus:

POSSE lets your friends keep using whatever they use to read your stuff (e.g. silo aggregators like Facebook, Tumblr, Twitter, etc.).

die leser so lesen lassen, wie sie gerne lesen möchten …

das ist ein satz den man leider von journalisten oder verlagen viel zu selten hört.

nach meinem verständnis umfasst das „POSSEn“ zum beispiel auch RSS, weshalb ich gestern behauptete, dass diese instant articles eigentlich nichts entscheidend neues seien. schliesslich lautet eine der bedeutungen von RSS auch: „Really Simple Syndication“.

syndikation ist nichts neues. in den USA werden zeitungsartikel oder comic strips seit langem syndiziert, also von verschiedenen zeitungen nachgedruckt. wenn jetzt verlage ihre inhalte zu facebook syndizieren, ist das unterm strich das gleiche: die inhalte werden übernommen, leserfreundlich gestaltet und präsentiert und im gegenzug gibt’s dafür werbeeinnahmen und reichweite. man erreicht so leser, die man sonst nicht erreichen würde und man kommt dem leser entgegen. was man damit verliert, will mir nicht so recht einleuchten, zumal der vorgang jedem autor bekannt sein sollte, der schon mal für medien produziert hat: wenn man einen text für eine zeitung schreibt, statt beispielsweise für die eigene webseite, bekommt man ein honorar und reichweite und gibt im gegenzug ein bisschen kontrolle über sein werk auf. der deal ist seit jahrzehnten der gleiche. wenn man es nicht aus eigener kraft schafft reichweite aufzubauen, wenn man es nicht schafft seinen lesern aus eigener kraft entgegenzukommen, nutzt man eben spezialisten. früher waren das verlage, jetzt sind es (auch) soziale netzwerke und suchmaschinen und morgen kann es wieder ein ganz anderer sein.

wichtig ist: wer die interessen der leser, der konsumenten, der zuhörer, der zuschauer aus den augen verliert, verliert auch reichweite. wer es konsumenten schwer macht zu konsumieren, hat es schwer konsumenten zu halten.