ich bin geblendlet

felix schwenzel in artikel

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ich muss vor­aus­schi­cken, dass nichts am fol­gen­den text ob­jek­tiv ist. wie ei­gent­lich al­les, was ich so ins netz schrei­be. aber in be­zug auf blend­le bin ich wahr­schein­lich noch vor­ein­ge­nom­me­ner, als ich es sonst bin. blend­le ist wie ein wahr­ge­wor­de­ner traum von mir. die­ser text ent­hält auch kei­ne pro­gno­sen über den künf­ti­gen er­folg oder miss­erfolg von blend­le (da­für gibt’s ge­nug ober­che­cker), son­dern um mein wunsch­den­ken.

ich habe mir im­mer ge­wünscht ein­fa­chen zu­griff auf tex­te zu ha­ben. die ers­te hür­de auf die­sem weg habe ich be­reits vor 40 jah­ren ge­nom­men, als ich le­sen lern­te. mit bü­chern und zeit­schrif­ten klapp­te der zu­griff auf tex­te dann auch jah­re­lang ganz her­vor­ra­gend, aber seit ich mir bü­cher mit ein bis zwei klicks kau­fen kann und sie, egal wo ich ge­ra­de bin, qua­si so­fort, nach zwan­zig bis dreis­sig se­kun­den, le­sen kann, sind mei­ne er­war­tun­gen an text­lie­fe­ran­ten ex­po­nen­ti­ell ge­stie­gen. ich sehe nicht mehr ein, war­um ich mir tex­te ki­lo­wei­se per abo auf pa­pier nach hau­se lie­fern las­sen soll, um sie dann ir­gend­wann zu le­sen — oder sie nicht le­sen zu kön­nen, wenn ich nicht ge­ra­de den rich­ti­gen pa­pier­sta­pel mit mir her­um­schlep­pe.

als ich mei­ne letz­ten bei­den pa­pier-abos ge­kün­digt habe, die c’t und die brand­eins, gab es von der c’t noch kein rein di­gi­ta­les abo und für die brand­eins kein di­gi­ta­les abo, das ich auf den mir zur ver­fü­gung ste­hen­den ge­rä­ten hät­te be­nut­zen kön­nen (isch abe kein ipad). die ein­zi­ge pu­bli­ka­ti­on die ich mir hin und wie­der, je­des mal ohne reue, auf pa­pier kau­fe, ist die geo-epo­che. auch sie gibt es, bis auf ein paar sam­mel­bän­de, für mich bis­her nicht di­gi­tal zu le­sen.

die c’t lese ich jetzt re­gel­mäs­sig in der fir­ma, die noch ein pa­pier­abo hat, die brand­eins gar nicht mehr — und ta­ges­zei­tun­gen, seit ich nicht mehr zwi­schen ham­burg und ber­lin pend­le, auch nicht mehr. ehr­lich­ge­sagt reicht das was mir mei­ne RSS-, twit­ter oder an­de­ren feeds in mei­ne le­se­apps spü­len auch voll­kom­men aus. da wird na­tür­lich auch viel schrott an­ge­spült, aber auch im­mer wie­der per­len und klei­ne schmuck­stü­cke, die ich so gut wie mög­lich mit mei­nen fast täg­li­chen links mit in­ter­es­sier­ten zu tei­len ver­su­che.

To­day: Nee­ded a cab. No black cab around. Down­loa­ded Uber app again. Set up new ac­count. Scan­ned cre­dit card. Loved the ease of that. Or­de­red car. Dro­ve away. All wi­thin 5 mi­nu­tes - from rea­li­sing I nee­ded a cab, to set­ting up that ac­count and sit­ting in a car.
Last week: Tried to sub­scri­be to the di­gi­tal edi­ti­on of a lea­ding news­pa­per. Gave up af­ter 9 mi­nu­tes.
E-Com­mer­ce is an art form, not a side job.

Wolf­gang Blau 22.09.2015 12:31

(ur­sprüng­lich ver­öf­fent­licht am 22.09.2015 20:32)

was ich sa­gen will: das was ex­klu­siv auf pa­pier oder hin­ter den be­zahl­sys­te­men der ver­la­ge an jour­na­lis­mus pro­du­ziert wird ist mei­ner wahr­neh­mung seit ein paar jah­ren kom­plett ent­zo­gen. ich be­kom­me da­von nur in aus­nah­me­fäl­len et­was mit. hin und wie­der ma­chen mich die zeit­schrif­ten-co­ver ein­zel­ner ti­tel neu­gie­rig oder ich lese im netz von leu­ten, die et­was auf pa­pier ge­le­sen ha­ben und es ein­dring­lich emp­feh­len.

vor ei­ni­gen mo­na­ten gab es im spie­gel zum bei­spiel eine ti­tel­ge­schich­te zu ikea. die woll­te ich un­be­dingt le­sen, aber der spie­gel zwang mich zu ei­nem lang­wie­ri­gen re­gis­trie­rungs­pro­zess, in dem ich im­mer wie­der dazu ge­drängt wur­de ein abo ab­zu­schlies­sen. letzt­end­lich muss­te ich mir das gan­ze heft kau­fen, zum bei­na­he glei­chen preis, wie am ki­osk. der ikea-text und das le­se­ver­gnü­gen wa­ren un­ter­ir­disch.

seit­dem habe ich mir kei­ne ein­zi­ge spie­gel-aus­ga­be, we­der auf pa­pier, noch di­gi­tal ge­kauft. das glei­che bei der faz: schlim­mer re­gis­trie­rungs­pro­zess und mond­prei­se. die sz? da weiss ich noch nicht­mal, ob und wenn ja wo man dort ein­zel­ne ar­ti­kel kau­fen kann. ach ja, 2013 woll­te ich für eine gran­dio­se re­por­ta­ge von mi­cha­el obert un­be­dingt et­was be­zah­len (der text war und ist kos­ten­los im netz zu le­sen). das ser­vice­team der sz be­ant­wor­te­te mei­ne fra­ge da­mals so:

Was Ihre An­fra­ge be­trifft, so ist die ge­sam­te Bran­che zur Zeit im Wan­del. Ob es ir­gend­wann ein­mal mög­lich sein wird, nur für die In­hal­te zu be­zah­len, die man auch le­sen möch­te, ist si­cher­lich nicht aus­zu­schlie­ßen. Die­ses The­ma wird ak­tu­ell in der Ver­lags­welt aus­gie­big dis­ku­tiert. Es gibt aber auch die Schat­ten­sei­te. Kann ein Ver­lag es sich dann noch leis­ten eine gan­ze Zei­tung zu pro­du­zie­ren? Wür­den dann viel­leicht nur­noch Ar­ti­kel ver­öf­fent­licht, die auch mas­sen­taug­lich sind? Alle die­se Punk­te müs­sen bei der Fra­ge be­rück­sich­tigt wer­den, ob es ir­gend­wann ein­mal mög­lich sein wird, auch ein­zel­ne In­hal­te zu kau­fen.

(hier habe ich die ge­schich­te vor 2 jah­ren auf­ge­schrie­ben)

das, ein­zel­ne ar­ti­kel zu le­sen und ein­fach zu be­zah­len, war 2013, aber auch schon lan­ge da­vor, mein traum. hier noch­mal, in al­ler kür­ze, aus­for­mu­liert. ich möch­te …

  • für be­son­ders tol­le (oder auch mit­tel­gu­te) tex­te (un­kom­pli­ziert) et­was zah­len, frei­wil­lig oder we­gen ei­nes preis­schilds
  • un­kom­pli­ziert auch an tex­te her­an­kom­men, die nicht ohne wei­te­res frei zu­gäng­lich sind, ger­ne ge­gen (an­ge­mes­se­ne) be­zah­lung
  • die­se tex­te auch an­de­ren emp­feh­len kön­nen, per link und vor al­lem mit nied­ri­ger zu­gangs­schwel­le für an­de­re, ger­ne ge­gen (an­ge­mes­se­ne) be­zah­lung
  • zu­griff auf alle — oder mög­lichst vie­le — deutsch­spra­chi­ge oder eng­lisch­spra­chi­ge tex­te zu ha­ben, ohne mir alt­pa­pier lie­fern las­sen oder selbst ins haus schlep­pen zu müs­sen — und vor al­lem ohne abos ab­schlies­sen zu müs­sen

und, eben­falls in al­ler kür­ze: das ist un­ge­fähr das, was seit ein paar wo­chen mit blend­le mög­lich ist.


ich lese wahn­sin­nig viel auf blend­le und bin über­rascht, wie vie­le sehr- und mit­tel­gu­te tex­te ich, in den we­ni­gen wo­chen die ich es nut­ze, dort be­reits ent­deckt habe (link auf mei­ne blend­le-sei­te, in der auch alle mei­ne emp­foh­le­nen tex­te auf­ge­lis­tet sind).

die meis­ten die­ser tex­te sind in der re­gel auf pa­pier oder hin­ter schwer über­wind­ba­ren be­zahl­wän­den und an­mel­de­pro­ze­du­ren ver­steckt und für ot­to­nor­mal-web­nut­zer mehr oder we­ni­ger un­zu­gäng­lich. ob­wohl ich die idee von be­zahl­wän­den und ge­schlos­se­nen räu­men im in­ter­net aus prin­zip blöd fin­de, bin ich be­geis­tert, wie vie­le per­len sich hin­ter der re­la­tiv leicht über­wind­ba­ren blend­le-be­zahl­mau­er of­fen­ba­ren.

es ist ein biss­chen so, als hät­te ich bis jetzt im pa­ra­dies ge­ses­sen, die brat­hähn­chen wa­ren alle in reich­wei­te, je­den tag konn­te ich mich sat­tes­sen und mei­nen RSS-feed­le­ser über­haupt nur so halb lee­ren und den emp­feh­lun­gen mei­ner time­line ge­ra­de mal so zu 0,18 pro­zent fol­gen. und plötz­lich ist da im pa­ra­dies ne tür, hin­ter der es nicht nur brat­hähn­chen gibt, son­dern auch su­shi, rin­der­fi­let und omas sau­er­bra­ten. kos­tet ein biss­chen ex­tra, schmeckt nicht im­mer über­ra­gend, aber ziem­lich oft sehr, sehr gut.


was mir beim le­sen auf blend­le auf­fällt, so schön es ist, am sonn­tag die FAS oder den spie­gel di­gi­tal durch­zu­blät­tern, enorm vie­le tol­le tex­te wer­den dort durch emp­feh­lun­gen nach oben ge­spült. und das manch­mal aus un­wahr­schein­li­chen quel­len. zum bei­spiel, ein gu­ter text im stern. den stern wür­de ich sonst (am ki­osk, in der arzt­pra­xis) nur noch mit hand­schu­hen an­fas­sen, aber auf blend­le lese ich plötz­lich stern-tex­te, wenn sie ein­dring­lich ge­nug emp­foh­len wer­den. glei­ches gilt für die welt, hier die am sonn­tag. ein dif­fe­ren­zier­ter, aus­führ­li­cher und aus­ge­gli­che­ner ar­ti­kel über „bio“ in der welt? un­wahr­schein­lich, pas­siert aber of­fen­sicht­lich ab und an — und auf blend­le mer­ke ich es.

tat­säch­lich ist es die mi­schung aus stö­bern und emp­foh­len be­kom­men, die blend­le so an­ge­nehm macht. bei­des führt im­mer wie­der zu gu­ten tex­ten, aber trotz­dem be­mer­ke ich, wie die mar­ken in den hin­ter­grund rut­schen. schrott, un­in­ter­es­san­tes, wie­der­ge­käu­tes, zu­sam­men­fas­sen­des steht in al­len blät­tern, aber hin und wie­der eben auch be­frie­di­gen­de lang­stre­cken oder re­por­ta­gen. nur muss ich da­für eben nicht mehr die FAS, die FAZ, den spie­gel oder was auch im­mer auf­schla­gen. ich muss nicht gan­ze hef­te kau­fen, von de­nen eh nur ein drit­tel lese, ich muss nicht zu de­ren web­sei­ten na­vi­gie­ren und mich dort an­mel­den, die gu­ten tex­te schwim­men bei blend­le ein­fach an mir vor­bei; die tex­te kom­men an­ge­schwom­men.

na­tür­lich gibt es (um mei­ner the­se von den ver­schwin­den­den mar­ken gleich mal zu wi­der­spre­chen) noch eine men­ge hef­te, die ich schmerz­lich ver­mis­se, die GEO, die GEO-epo­che, die brand­eins. die deut­sche wired ist an­ge­kün­digt bald zu kom­men, aber was ist mir den eng­lisch­spra­chi­gen aus­ga­ben? die ein­zig se­riö­se com­pu­ter­zeit­schrift (die c’t) fehlt noch, eben­so die new york times oder der new yor­ker. und wo ist die mare?


ich möch­te für gu­ten, lei­den­schaft­li­chen jour­na­lis­mus be­zah­len. ich möch­te gu­ten jour­na­lis­mus un­ter­stüt­zen, des­halb habe ich ur­sprüng­lich die kraut­re­por­ter un­ter­stützt, des­halb war ich vie­le jah­re brand­eins- und c’t-abon­nent. ich will aber vor al­lem, dass das gan­ze leicht zu­gäng­lich ist, für mich und an­de­re.

auf blend­le.de bin ich freeri­der, ich kann dort so viel le­sen wie ich will, ohne zu be­zah­len. ich be­zah­le da­mit, dass ich ab und zu tex­te emp­feh­le. (wo­mit wir wie­der am an­fang und der über­schrift die­ses tex­tes sind. ich bin vor­ein­ge­nom­men und ge­blend­let.)

mein kraut­re­por­ter-abo habe ich nach ei­nem jahr ge­kün­digt, auch sonst habe ich der­zeit kei­ne abos mehr. des­halb habe ich mir über­legt, je­den mo­nat 20 bis 30 euro an un­ter­schied­li­che jour­na­lis­ti­sche pro­jek­te zu spen­den. in die­sem mo­nat wird das cor­rec­tiv.org sein, mal se­hen was die kom­men­den mo­na­te an in­ter­es­san­ten jour­na­lis­ti­schen pro­jek­te brin­gen.