has­te mal ein ar­gu­ment?

felix schwenzel

ich habe in mei­nem ar­ti­kel in der taz.de mal wie­der be­haup­tet, dass es gar kei­ne „kos­ten­lo­s­kul­tur“ im in­ter­net gebe, son­dern im ge­gen­teil, eine ziem­lich aus­ge­präg­te be­reit­schaft im netz für krea­ti­ve wer­ke zu zah­len. ich habe für mei­ne the­se in der taz.de nicht so irre vie­le ar­gu­men­te auf­ge­schrie­ben, eben­so wie für mei­ne zwei­te the­se, dass ge­gen­sei­ti­ger re­spekt ei­gent­lich nur durch ge­gen­sei­ti­gen re­spekt mög­lich wird.

mich wür­de es wirk­lich mal in­ter­es­sie­ren, wel­che ar­gu­men­te oder kon­kre­ten hin­wei­se es da­für gibt, dass in­ter­net­nut­zer pau­schal nicht zu zah­len be­reit sind, also eine kos­ten­lo­s­kul­tur im netz gras­siert. kann mir je­mand ech­te ar­gu­men­te oder zah­len da­für nen­nen oder dar­auf hin­wei­sen? mei­ner er­in­ne­rung nach exis­tiert die kos­ten­lo­s­kul­tur le­dig­lich als be­haup­tung — ich kann mich ge­ra­de zu­min­dest an kein ein­zi­ges stich­hal­ti­ges ar­gu­ment er­in­nern, das die­se the­se stüt­ze. auch im kom­men­tar­be­reich zu mei­nem ar­ti­kel auf taz.de fin­de ich le­dig­lich die wie­der­hol­te be­haup­tung, dass es eine kos­ten­lo­s­kul­tur gibt oder ge­ben muss, im­mer ohne auch nur ein­zi­ges stich­hal­ti­ges ar­gu­ment. mög­li­cher­wei­se bin ich aber auch zu blöd um die ar­gu­men­te zu er­ken­nen.


ich sam­mel mal eben kurz und lieb­los link­reich ein paar ar­gu­men­te, war­um ich glau­be, dass es eine gros­se zah­lungs­be­reit­schaft im in­ter­net gibt:

crowdfunding 1

in letz­ter zeit gibt es da­für ei­ni­ge bei­spie­le. ze­frank hat für sei­ne show, die er neu auf­le­gen will auf kick­star­ter die drei­fa­che sum­me an start­ka­pi­tal zu­sam­men­ge­tra­gen als er ur­sprüng­lich woll­te.

crowdfunding 2

da­ni­el lies­ke hat vor ei­nem jahr ei­nen co­mic (kos­ten­los) ins netz ge­stellt und sich da­mit mitt­ler­wei­le selbst­städ­nig ge­macht. rené walt­her schrob dazu: „Der Mann [hat] sich da­mit selb­stän­dig ge­macht, ei­nen Ver­lag da­für ge­fun­den, eine App per Kick­star­ter fi­nan­ziert, das Teil in dr­ölf Spra­chen über­set­zen las­sen und 2012 soll das Co­mic in Buch­form er­schei­nen.“

crowdfunding 3

tim scha­fer, ad­ven­ture­spiel-de­si­gner von spie­len wie mon­key is­land oder day of the ten­ta­cle frag­te auf kick­star­ter nach 400tau­send dol­lar um ein neu­es ad­ven­ture­spiel zu ma­chen (et­was hin­ter­grund bei nerd­core). er konn­te kei­ne spie­le­fir­ma für das pro­jekt be­geis­tern. fi­nan­ziert ha­ben ihm die an­hän­ger der kso­ten­lo­s­kul­tur fast 3,5 mil­lio­nen dol­lar.

kaufen, kaufen, kaufen

itu­nes mu­sic store, app store, ama­zon mu­sic, net­flix, hulu-plus und vie­le an­de­re diens­te die ein­fa­che be­zah­lung, fai­re prei­se und gu­ten kun­den­ser­vice bie­ten ma­chen stän­dig stei­gen­de schril­lio­nen­um­sät­ze. wie kann so­et­was bei ei­ner aus­ge­präg­ten kos­ten­lo­s­kul­tur pas­sie­ren?

fairness

lou­is ck hat eine büh­nen­show> auf­wän­dig pro­du­ziert und ab­fil­men las­sen. auf ei­ge­ne kos­ten. er hat die top­ak­tu­el­le show im de­zem­ber zum down­load an­ge­bo­ten für 5 dol­lar. un­ge­wöh­lich dar­an war, dass er we­der ein­schränk­te von wo die show zu kau­fen ist (re­gi­on code), dass die auf­zeich­nung kei­nen ko­pier­schutz oder an­de­re gän­ge­lungs­me­tho­den (DRM) be­inhal­te­te, so dass man sie sich an­se­hen konn­te wo und wie man woll­te und dass er zwar dar­um bat die show nicht ohne sei­ne zu­stim­mung per tor­rent oder down­load an­zu­bie­ten, ihm das aber an­de­rer­seits auch egal war (mehr dazu hier und hier).

lou­is ck be­schimpft sein pu­bli­kum in sei­ner show teil­wei­se aufs übels­te. als kun­den be­schimpft er sei­ne fans nicht, im ge­gen­teil, er bie­tet ih­nen ei­nen fai­ren deal an. der er­folg? lou­is ck nahm mit der show so­viel ein, dass er mehr als die hälf­te der ein­nah­men spen­de­te und an sei­ne mit­ar­bei­ter aus­schüt­te­te.


was ich ei­gent­lich auch nur fra­gen woll­te: wel­che ar­gu­men­te gibt es für das exis­tie­ren ei­ner kos­ten­lo­s­kul­tur? ich freue mich im kom­men­tar­be­reich oder per email über ar­gu­men­te die über das blos­se be­haup­ten hin­aus­ge­hen (auch ger­ne links da­hin) und ich wer­de mich be­mü­hen sie ge­gen mei­ne the­se ab­zu­wä­gen.


[nach­trag 24.03.2012]
nina pa­ley (via) hat mit 15-17 jäh­ri­gen ju­gend­li­chen ge­spro­chen und sie ge­fragt wie sie künst­ler un­ter­stüt­zen wür­den. sehr le­sens­wert. nina pa­leys lieb­lings­zi­tat von ei­ner fünf­zehn­jäh­ri­gen:

We don’t want ever­y­thing for free. We just want ever­y­thing.


[nach­trag 24.03.2012]
je­mand schrob mir per mail fol­gen­des:

vor­ab: ich hal­te den Be­griff "Kos­ten­lo­s­kul­tur" für falsch.

Ich glau­be aber, dass er sich schlicht und ein­fach dem Um­stand ver­dankt, dass die Nut­zung ge­wis­ser Diens­te (Such­ma­schi­nen, Ar­chi­ve ...) nicht auf die­sel­be Art und Wei­se be­zahlt wer­den muss, wie man es vor der Exis­tenz die­ser Diens­te ge­wohnt war, für eine Dienst­leis­tung be­zah­len zu müs­sen. Tat­säch­lich kann ich In­for­ma­tio­nen er­hal­ten, ohne da­für Geld aus­zu­ge­ben, für die ich frü­her Geld aus­ge­ben muss­te.

Mich über­zeu­gen we­der Ihre Crowd­fun­ding­bei­spie­le, noch Ihre un­er­müd­li­chen Hin­wei­se auf die Be­reit­schaft im Netz für krea­ti­ve Wer­ke zu zah­len. Ers­tens ist ein Bei­spiel kein Be­weis. Zwei­tens hängt die Be­reit­schaft, für krea­ti­ve Wer­ke zu be­zah­len, we­sent­lich vom Ein­kom­men ab.

Mir per­sön­lich wäre es viel lie­ber, es gäbe tat­säch­lich eine Kos­ten­lo­s­kul­tur im Sin­ne von "tei­len statt tau­schen". Mit "tei­len" mei­ne ich nicht nur, dass ich mei­ne Ur­laubs­fo­tos auf ei­ner so­ge­nannt "so­zia­len" Platt­form mit an­de­ren Usern tei­le, son­dern dass ich mein krea­ti­ves Werk zum kos­ten­lo­sen Down­load an­bie­te. Stel­len Sie sich bloß mal vor, wir wür­den uns alle dar­an ge­wöh­nen, und es wür­de vom Netz in die ma­te­ri­el­le Welt über­grei­fen, weil wir nicht mehr ein­se­hen wol­len, für et­was be­zah­len zu sol­len. Das wäre doch herr­lich. Wa­ren und Dienst­leis­tun­gen hät­ten dann kei­nen Tausch­wert mehr, und in­fol­ge­des­sen wä­ren wir alle un­er­mess­lich reich, weil uns al­les zur Ver­fü­gung steht, und nie­mand könn­te sich mehr an der Ar­beit an­de­rer, und vor al­lem auf Kos­ten je­ner Ar­bei­ten­den be­rei­chern. Aber selbst wenn es nicht auf die ma­te­ri­el­le Welt über­grif­fe: Ist doch toll, wenn Men­schen Zu­gang zu krea­ti­ven Wer­ken ha­ben, den sie nicht hät­ten, wenn sie da­für be­zah­len müss­ten.

Und schließ­lich kann nicht oft ge­nug die Fra­ge "Cui bono?" ge­stellt wer­den, in die­sem Fall an die­je­ni­gen, die so eif­rig ge­gen die Kos­ten­lo­s­kul­tur wet­tern.

Ich fin­de, man soll­te die Vor­zü­ge der Kos­ten­lo­s­kul­tur, auch wenn sie noch gar nicht rich­tig exis­tiert, lo­ben, an­statt ge­gen sie zu ar­gu­men­tie­ren.

ich habe dar­auf ge­ant­wor­tet:

ja, das ist auch ein aspekt: was ist schlecht an den vie­len din­gen die es im in­ter­net, mit vol­ler ab­sicht und durch­aus triff­ti­gen grün­den, gibt. wenn sich also ent­wick­ler bei­spiels­wei­se ent­schei­den ihre soft­ware als li­zenz­ge­büh­ren­freie open source soft­ware zu ver­öf­fent­li­chen um so an­de­ren die ge­le­gen­heit zu ge­ben, dar­auf auf­zu­bau­en oder sie zu ver­bes­sern? wenn leu­te die et­was zu sa­gen ha­ben, das ohne be­zahl­schran­ke, son­dern zum ge­dan­ken­aus­tausch und da­zu­ler­nen ma­chen. wenn mu­si­ker ihre mu­sik in CC-li­zenz ver­öf­fent­li­chen oder vi­deo, wie frü­her im ra­dio, im drit­ten auf for­mel1 oder auf MTV ver­öf­fent­li­chen um auf­merk­sam­keit und auch geld zu ver­die­nen.

so ge­se­hen, wie ein kom­men­ta­tor un­ten in den kom­men­ta­ren schrob, gibt es eben bei­des. eine aus­ge­präg­te kos­ten­lo­s­kul­tur, eben­so wie eine aus­ge­präg­te be­zahl-, crowd­fun­ding- oder sonst­wie-be­zahl­kul­tur. und, auch wenn sie das be­zwei­feln, ich glau­be es gibt ein be­dürf­nis da­für, leu­ten die ei­nem eine freu­de be­rei­ten, eben­so eine freu­de zu be­rei­ten. der­zeit noch vor­nehm­lich mit geld, ein­tritts­geld, kauf­prei­se, spen­den, mer­chan­di­se. es mag frei­lich auch sein, dass sich die ge­sell­schaft­li­che kon­ven­ti­on für was man an­stän­di­ger­wei­se be­zahlt ste­tig än­dert. schliess­lich be­zah­len ver­le­ger und fern­seh­pro­du­zen­ten in­ter­view­part­nern, egal wie­viel geis­ti­ges ei­gen­tum die­se ab­son­dern, nie­mals ho­no­ra­re. nie­mand zahlt (bil­den­de) künst­ler nach der qua­li­tät ih­rer ar­beit, die prei­se am kunst­markt sind spe­ku­la­ti­ons­prei­se. je teu­rer die vor­he­ri­gen ar­bei­ten ei­nes künst­lers verauft wur­den, des­to mehr sind sei­ne ak­tu­el­len wert.

ja. mög­li­cher­wei­se sind bei­spie­le kei­ne be­wei­se, aber eben doch star­ke hin­wei­se auf eine ten­denz. die mil­li­ar­den­um­sät­ze von ap­ple und ama­zon und vie­len mehr sind mei­ner mei­nung nach aber mehr als bei­spie­le. sie zei­gen deut­lich: es wird be­zahlt wenn der preis stimmt, der kom­fort und die qua­li­tät kos­ten­los über­le­gen ist oder wenn man das ge­fühl hat, dass geld kommt beim künst­ler und nicht bei ir­gend­wel­chen BWL-fuz­zis an. tat­säch­lich sind die ein­zi­gen „be­wei­se“ für eine an­geb­li­che kos­ten­lo­s­kul­tur die ich bis­her ge­hört habe eben auch bei­spie­le. ja, es gibt vie­le die nicht für A zah­len wol­len, aber viel­leicht für B. ge­nau­so wie es vie­le gibt die ko­ka­in oder speed oder crys­tal meth kon­su­mie­ren — und man trotz­dem dar­aus nicht auf eine aus­ge­präg­te dro­gen­kul­tur in deutsch­land schlies­sen kann.

die vor­zü­ge ei­ner kos­ten­los-kul­tur prei­se ich üb­ri­gens ziem­lich un­er­müd­lich an (fin­de ich zu­min­dest). aber viel­leicht soll­te man das viel ag­gres­si­ver ma­chen.