Autor: beifahrerin ×

mary und alan

beifahrerin in artikel

(gastbeitrag der beifahrerin)
bei der abreise von islay parken wir unser verkacktes auto irgendwo in port ellen und machen uns auf die suche nach einem tearoom. es ist kurz vor neun und unsere fähre geht um zwölf uhr. ich hab das „cyber bistro“ rausgesucht, von dem ich irgendwo gelesen hatte, dass es ganz gut sein soll, das hat aber noch zu.

etwas planlos schlendern wir auf der strasse umher als uns eine kleine ältere dame anspricht. „are you lost?“ piepst sie und grinst mich mit ihren kurzen zähnen breit an.

„yes, we were looking for a place where we could have some tea but it’s all closed. do you happen to know a place that’s already open?“

ein älterer, ebenso kleiner herr mit sehr hellen blauen augen, weissem haar und ungewöhnlich trendigem haarschnitt tritt dazu, offenbar der ehemann. seine frau sagt, sie habe eine idee und verwindet dann in einem seiteneingang einer nahegelegenen kirche.

seiteneingang der st john’s church in port ellen

der mann stellt sich vor. er heisse alan und woher wir denn seien. aus berlin? sofort beginnt er sein deutsch hervorzuzerren. er spricht sehr langsam, muss viel überlegen, aber die grammatik ist tadellos. er habe es in der schule gelernt. deutsch und französisch. 1947 sei er dann für zwei jahre in berlin gewesen. als der einrufungsbefehl kam, habe man ihn gefragt, wo er hin wolle. und er wollte sehr gerne nach indien, das habe es sich so schön vorgestellt! kalkutta! neu-delhi! dann kam der brief und es wurde berlin. in der nähe von hannover sei er auch mal gewesen, aber da waren die leute nicht nett. die berliner dagegen seien sehr freundlich gewesen.

während er weiter nach deutschen vokabeln sucht winkt uns seine frau mary vom seiteneingang der kirche begeistert zu sich rüber.
eigentlich öffne man erst um zwölf aber man mache eine ausnahme. mary weist uns den weg in eine art schrammeligen dunklen gemeindesaal in dem mehrere tische aufgestellt sind sowie eine längere tafel wo schon ein paar kuchenplatten stehen.

während wir zwei becher tee bestellen verschwinden mary und alan im nebenraum. wir sitzen im halbdunkel und sehen teeschlürfend ein paar älteren damen in kittelschürzen dabei zu wie sie um uns herum plastikstühle zurechtrücken und blumenvasen aufstellen.

das schöne an der britischen tee-liebe ist ja, dass sie trotz des ganzen theaters um ihre „cuppa“, die den gesamten alltag durchstrukturiert, bei der zubereitung einfach nur ein paar olle teebeutel in die kanne knallen, wasser drüber, fertig. nix mit first flush, SFTGFOP1, zwei minuten ziehen lassen und 70 grad oder so.
fäden zum rausziehen sind an den englischen teebeuteln garkeine dran weil die eh niemand braucht. die beutel werden einfach so lange im wasser gelassen bis die kanne alle ist. tiefschwarz isser schon nach einer sekunde.

als ich das die ersten male trank hab ich die teebeutel immer nach zwei minuten mit der kuchengabel rausgefischt aber dann hab ich das prinzip auch irgendwann kapiert: mit milch und zucker isses nämlich eigentlich egal wie lange der tee zieht.

als die becher leer und bezahlt sind finden wir mary und alan im nebenraum wieder, dem ausser betrieb scheinenden kirchenschiff, einer großen leeren halle, in der ein paar tapeziertische stehen auf denen mary kleine bilder arrangiert: ihre bilder.

sie stelle hier jede woche aus, erzählt sie, leider käme kaum jemand vorbei. die tür zur hauptstrasse dürfe wegen einsturzgefahr nicht benutzt werden und den nebeneingang finde man nicht so einfach.
seit 10 jahren leben sie und alan nun schon auf islay, eigentlich seien sie aus nord-england, in der nähe von manchester. sie seien zu ihrer tochter gezogen, die hier ärztin war, und jetzt im ruhestand. mary werde nächstes jahr 90 und alan sei 91.

früher war mary biologie-lehrerin, da habe sie auch schon gemalt. heute male sie nur noch.
zwischen den ungefähr 150 landschafts- und tierbildern auf den tischen liegt auch ein portrait von judi dench. ich frage sie, warum sie sie gemalt habe. sie guckt gespielt entrüstet, was für eine blöde frage: „because I like her!“

wohnen würden sie in einem der ehemaligen arbeiterhäuser auf dem laphroaig-destillerie-gelände und das, obwohl sie gar keinen alkohol trinken würden!
wenn wir mal wieder vorbei kämen könnten wir sie gerne dort besuchen, sie wohnen haus nummer 5.

leider verbringen sie inzwischen viel zeit in krankenhäusern auf dem festland, das belaste sie sehr. letztes jahr habe sie eine OP an den schultern gehabt, seitdem könne sie beim malen ihre arme nicht mehr so weit heben und malt jetzt nur noch im stehen vor einem tisch, das bild auf hüfthöhe.

alan war im früheren leben journalist, erst hat er für eine zeitung geschrieben, später fürs BBC-fernsehen. seine große leidenschaft sei geschichte sagt er und fängt an, alle englischen könige mit jahreszahlen aufzuzählen. während er alle aufzählt redet mary weiter: „he remembers all that old stuff. but he never knows if he’s already put on his socks.“

später erzählt mir felix, dass alan offenbar auch noch auto fährt, zumindest habe er autoschlüssel in der hand gehalten.

einmal habe ihn, erzählt alan, in berlin ein anderer soldat gefragt, ob er mit ihm und 2 deutschen mädchen ins kino gehen wolle. der andere soldat sei mit dem einen mädchen liiert gewesen und für ihn war wohl das andere mädchen vorgesehen.
er habe nicht erzählt, dass er deutsch konnte und als die mädchen sich nach dem kino unterhielten, hörte er wie das eine mädchen das andere fragte: „und, wie findest du ihn?“ „ach, das ist ja ein komischer kleiner mann.“

zum schluss kaufen wir noch ein set selbstgebastelter postkarten: 4 schwarzweiss-kopien von federzeichnungen plus je einen umschlag, alle sets sind liebevoll in butterbrottüten verpackt. mary erzählt uns noch eine sehr lange geschichte über die bedeutung der motive, wie sie sie fand und jetzt müssen wir aber auch, nachdem wir fast 3 stunden in dieser kirche verbracht haben, schnell zur fähre.

im auto reden wir noch lange über die beiden und ich male mir aus wie ich später auch in einer alten leeren kirche in schottland meine bilder ausstellen werde und der alte klapprige felix, der schon aus dem letzten loch pfeift, muss mir die tapeziertische aufbauen.

wer in nächster zeit mal nach islay fährt sollte sich diese beiden beeindruckenden menschen und ihre geschichten und bilder nicht entgehen lassen:

mary knowles’ paintings
immer donnerstags ab ca. 12 uhr

St. Johns Church (nebeneingang!)
Frederick Crescent
Port Ellen
Islay, PA42 7DH
Scotland

st john’s church in port ellen

der große meck-pomm-camping-erfahrungsbericht

beifahrerin

[gastbeitrag der beifahrerin]

aus einem grund, den ich vergessen habe, wollte der mann dieses jahr mal an die mecklenburgische seenplatte.

ANFAHRT

wir liehen uns den vw lupo meiner mutter und los. man ahnt nicht, was in so einen lupo alles reingeht. neben 3 personen (vater, mutter, kind) noch ein hauszelt, ein paddelboot, ein kühlschrank, tisch, 3 stühle, sonnensegel, strandmuschel, eine kochplatte, diverse töpfe und geschirr, eine hängematte, 4 reisetaschen mit klamotten und luftmatratzen. fremde menschen auf der strasse applaudierten.

CAMPINGPLATZ

ich hatte einen campingplatz im internet rausgesucht, der „naturcamping malchow“ hiess. es gibt ja viele campingplätze die mit „natur“ eigentlich nur noch entfernt zutun haben – dieser hier allerdings versprach nicht zuviel. auf einer saftigen grünen wiese unter bäumen bauten wir auf. vom plauer see sah man zwar nichts durch das gestrüpp aber dafür war direkt neben unserem zelt ein kleiner pittoresker tümpel mit niedlichen fröschen und anderen krabbeltieren. von den bäumen regnete es schwarze raupen und ein igel wohnte auch auf unserer wiese.

zu unserer freude brauchten wir das sonnensegel garnicht auszupacken. die bäume und die dicken wolken darüber liessen dem hautkrebs keine chance. es war, im gegenteil, den ganzen tag so dunkel und kühl dass handtücher selbst im zelt nicht trockneten. 

klimatisch konnte man meinen, es sei oktober. und für oktober hatte ich eindeutig falsch gepackt. statt shorts und sonnentops hätte ich doch besser ein zweites paar hosen einpacken sollen.

alles deutete stark darauf hin dass ich zwei wochen lang in der selben feuchten jogginghose rumlaufen würde.

immerhin hatte ich zwei flaschen autan eingepackt. man sagt ja, dass dieses ganze gutgemeinte biozeug aus tannenzapfensaft nix bringt. dass allerdings auch das lösungsmittel autan nix bringt hätten wir nicht gedacht. ab ca. 17 uhr ging es los. im sturzflug schossen sie auf uns nieder. den ersten abend überstanden wir noch so, den zweiten verbrachten der sohn und ich im zelt hinter moskitonetzen.

DAS ZELT UND DIE AUSRÜSTUNG

über unser zelt kann ich nur gutes sagen. es ist das vielgepriesene aldi-hauszelt, ein geräumiges stabiles ding, das jetzt bereits die zweite saison ohne nennenswerten schaden überstanden hat. 

wenn man die möglichkeit hat, sich einen standplatz auszusuchen sollte man vielleicht in zukunft die nähe zu zeltdörfern mit biertischen und selbsterrichtetem kinderspielplatz meiden. unsere nachbarn jedenfalls waren 3 junge familien mit ca. 10 kleinkindern von denen immer 2 gleichzeitig schrien, nachtruhe war zwischen 3 und 6.

die erste nacht war so auch nur teilweise entspannend. abgesehen von den nachbarn und einem loch in der luftmatratze, das dafür sorgte, dass man schon nach kurzer zeit wieder am boden angekommen war, riss mich der platternde regen aus dem schlaf. mitten in der nacht befiel mich eine ahnung. ich tastete neben mir das gewühl aus taschen, klamotten und zeitschriften ab auf der suche nach der campinglampe, ein riesiges ding was man erst einige minuten ankurbeln musste, bis 4 winzigkleine leuchtdioden dafür sorgen, dass man in einem radius von 20 zentimetern umrisse erkennen konnte.

ich arbeitete mich bis ins vorzelt vor, hinter das moskitonetz. hier befand sich, abgesehen von den mücken, unter anderem eine kabeltrommel, ein mehrfachstecker mit einem haufen ladegeräte, einem wasserkocher und kühlschrank dran.

alles stand in einer etwa 4 cm tiefen braunen pfütze. ich machte mich an die arbeit und brachte unter anderem einen sack durchweichter grillkohle, pappkartons mit frühstücksflocken und einen berg schuhe in sicherheit. dann legte ich mich wieder auf die leere luftmatratze und schloss die augen.

am morgen ergänzte ich unsere campingliste um „1 feudel“.

mysteriöserweise hatten wir unser zelt ganz zufällig auf einer art insel aufgebaut. über nacht war um das zelt herum ein sumpf entstanden. frühstücken im freien wurde also fürs erste vertagt und wir schleppten den tropfenden tisch ins vorzelt. 
es empfiehlt sich übrigens, die zusammenstellung zelt vs. tisch vs. stühle vorher zuhause mal zu testen wenn man vermeiden will, mit einem tisch zu verreisen der nicht ins zelt passt oder soviel zu hoch ist dass man aufrecht sitzend sein kinn ablegen kann.

KOSTEN

einer der vorteile, im osten urlaub zu machen sollen ja die preise sein. wenn man aus hamburg kommt könnte man aber sogesehen auch in berlin urlaub machen, das ist nicht nur billiger sondern auch interessanter.

und es stimmt eben auch nicht. wenn man bei beim „naturcamping malchow“, wie wir, im auto anreist, einen teenager dabei hat (im osten gelten personen älter als 13 offenbar schon als erwachsene) und sich dabei ein leben ohne strom nicht vorstellen kann, zahlt man für 7 übernachtungen im zelt knapp 220 euro.

im preis inbegriffen ist eine zahlkarte die man unter anderem zum geschirrspülen braucht. man legt die karte auf eine dafür vorgesehene abrechnungsfläche und kann dann per knopfdruck das wasser benutzen. 

abgesehen vielleicht vom umweltaspekt hat das immerhin einen entscheidenden vorteil: man kann faule teenager leichter zur mitarbeit bewegen. man wettet einfach, wer weniger wasser verbraucht und versucht sich nicht vorzustellen, wie es der teenager jedesmal schafft, für weniger als 20 cent abzuwaschen (ich bin nie unter einem euro geblieben). 

interessant ist vielleicht auch, dass die männer dieser familie nie unter zwei euros geduscht haben, die frau aber unter 50 cent.

insgesamt haben wir in kaum einem urlaub soviel ausgegeben wie in mecklenburg-vorpommern. das liegt aber vielleicht auch an umständen für die keiner was kann: bei regen liegt keiner so gern in der hängematte und man kann auch nicht so toll stundenlang in der strandmuschel dösen. man muss etwas unternehmen um die zeit rum zu kriegen und unternehmen kostet geld. man geht in ein museum, einen zoo oder ins kino und alles kostet geld.

an einem etwas weniger nassen tag mieteten wir uns fahrräder und beschlossen, den see zu umfahren. in einem unserer reiseführer wurde die tour als wanderung „für fortgeschrittene“ beworben, ungefähr 30 kilometer. mit dem rad, dachten wir, schaffen wir das locker.

dass der regen die wege zum größten teil in schwarze schlammgruben verwandelt hatte, und unsere räder eher sogenannte „cityräder“ der unteren preisklasse waren, die schon ins schleudern gerieten, wenn auf der strasse etwas sand lag, hatten wir nicht mit eingerechnet. 

uns war tatsächlich vollkommen schleierhaft, wie man diese strecke zufuss hätte bewältigen sollen. wir brauchten 6 stunden.

der reiseführer hatte als endpunkt den plauer hafen vorgesehen, von dem aus eine fähre uns zum anfangspunkt zurück bringen sollte. völlig zerstört standen wir also gegen 16 uhr im plauer hafen und warteten auf die fähre. die überfahrt kostete uns 27 euro (9 euro pro person).  

ENTERTAINMENT

wer es ruhig und leer mag ist in mecklenburg-vorpommern genau richtig. wir mochten es bis zu diesem urlaub auch ruhig und leer und vielleicht ist das das eigentliche erlebnis in mecklenburg-vorpommern: zu merken, dass laut und voll doch garnicht so schlecht ist.

ein ruhiger morgen mit vogelgezwischter, rufendem uhu und klopfendem sprecht ist natürlich traumhaft und leere strassen etwas feines. auch leere kassen im supermarkt sind angenehm, wenn man denn einen findet. für die kilometer die wir allein um einen baumarkt zu finden zurückgelegt haben hätte man aber schon einen urlaub in norditalien in erwägung ziehen können und wenn man auf der suche ist nach einem netten café, in dem man mal ein paar stunden den regen abwarten kann, wird man wohl ohne navigationsgerät nichts finden – aber mit warscheinlich auch nichts.

ins kino gehen fällt komplett flach weil man für die 3 filme im umkreis von 200 kilometern keine 8 euro pro person ausgeben will.

empfehlenswert ist dafür der besuch der sommerrodelbahn der straussenfarm der familie brandt, sowie ein ausflug nach schwerin. schwerin ist wirklich eine bildschöne stadt. ausserdem unbedingt mal gegessen haben muss man kettwurst.

was wir auch immer gerne ankucken, sind alte kirchen. theoretisch sogar ein totsicherer tip bei regenwetter. alte kirchen gibt es überall, sie sind überdacht, schön und kosten keinen eintritt. auf unserer mecklenburg-vorpommern-reise kamen wir an ungefär 10 alten kirchen vorbei und in 3 waren wir auch drin. alle anderen hatten entweder zu oder waren umfunktioniert zu irgendwelchen orgel- oder regionalmuseen, deren eintritt wir aus potentieller langeweile nicht zahlen wollten.

übrigens ist die idee strandmatten und eine strandmuschel einzupacken, was den plauer see betrifft, auch nur eine mäßig gute idee. auf der strecke die wir mit dem fahrrad um den plauer see abgefahren sind gab es keinen einzigen strand.

FAZIT

2 wochen waren geplant, nach 5 nächten warfen wir das handtuch. ausser unsere nachbarn war niemand mehr in sichtweite. der sumpf um unser zelt war mittlerweile bis in die schlafkabine vorgedrungen (das muss man dem zelt aber nachsehen, ein zelt ist schliesslich kein boot).

wir seit einer woche sind wir wieder zuhause. ich bin noch nicht eher dazu gekommen, dies aufzuschreiben, weil ich erstmal die 2 letzten staffeln lost kucken musste. leuten zuzusehen, die auf einer einsamen insel in schlamm und regen festsitzen, nachdem man gerade selbst von einer entkommen konnte, ist doch sehr befriedigend.