wos4.2
nach dem 20 uhr panel mit dem saublöden titel „information freedom rules“ war ich ziemlich voll. unerwartet und schon lange nicht mehr erfahren, voll mit euphorie. und mit methanverbindungen. letztere waren der grund warum ich mich nach den vorträgen nach draussen setzte und mir die anschliessende diskussion schenkte. aber die vorträge, insbesondere der von yochai benkler hatten meine aufnahmefähigkeit eh bis ans limit erschöpft.
der vortrag von rishab ayer ghosh mit seinen „cooking pots“ war sehr einleuchtend und in seiner einfachheit fast infantil und doch beinahe genial. kurz, im internet geben blogger, open-source programmierer, kulturschaffende und ähnliche ihre arbeit nicht einfach umsonst weg, sie tauschen — und fast alle glauben mehr von der gemeinschaft zu profitieren als sie ihr geben. schön waren insbesondere die zeichnungen von ghosh, ich vermute er hat sie alle mit dem mund gezeichnet.
hal r. varian hat nicht nur den vornamen von hal faber, sondern auch die liebe zu sich selbst und seiner vergangenheit. sein vortrag bestand aus einem rückblick auf ein zehn jahre altes buch von ihm („[amazon-werbelink] information rules“). er betrieb ein bisschen selbstkritik und ein bisschen eigenlob und war nicht ganz so langweilig wie hal faber und mehr als zustimmend nicken konnte man während des vortrages auch nicht; der mann sagte nix falsches und manches sehr richtiges.
nach dem also auf der bühne ein smarter inder und prototyp des amerikanischen wissenschaftlers standen schien als dritter ein engagierter umweltschützer mit zugewachsenem gesicht auf die bühne zu kommen. yochai benkler ist aber jurist, bzw. lehrt an der yale law school. huch. ein öko-jurist? während seines vortrages der auch hauptsächlich auf einem buch von ihm basierte („the wealth of networks“) wurde ich dann, wie erwähnt, leicht euphorisch und fragte mich ob er dass durch eine perfide technik mit der er meine vorstellungen und vorurteile von netzwerken geschickt bestätigte oder ob an dem was er sagte wirklich etwas dran sei.
er sprach von zwei arten wie informationen in netzwerken entstehen. einerseits auf einer „commons“-basis, also kollaborativ, wie bei der wikipedia und per „peer production“ also von einzelnen, wie bloggern. diese mechanismen hätten mittlerweile eine enorme hebelkraft entwickelt und wichtiger noch, bewiesen, dass sie funktionierten. als beispiele nannte er die open source software apache, die absoluter marktführer bei webserver technologie sei und damit beweise, dass open source nicht nur zuverlässig und belastbar funktioniere, sondern auch kommerzielle produkte überflügeln könne. ebenso hätte wikipedia bewiesen, dass kollaborative, nicht hierarchische informationssammlung funktionieren kann. wer hätte vor 5 jahren gedacht, als jimmy wales anfing, dass das angesehene wissenschaftsmagazin „nature“ die wikipedia auf eine stufe mit der enzyklopedie britanica stellen würde und von beiden behhaupten würde, dass sie bei naturwissenschaftlichen themen „crappy“ work abliefern würden? eben niemand.
in der „peerproduction“, meinte benkler würden sich folgende mechanismen abzeichnen: es bilden sich „communities“, die relevanz, die informationen würden „self selected“ und nicht von irgendeiner höheren instanz ausgewählt, es fänden mechanismen der „trust construction“, „norm creation“ und ständig verbesserte „transparency“ statt. „monitoring“ durch „peer review“ würde etabliert und vor allem funktionieren. statt kraft der eigenen autorität dinge zu behaupten, würde eher das motto „see for yourself“ vorherrschen, eben transparenz und verlinkung im sinne offener quellen. das alles führe zu quasi selbstorganisierender disziplin und „fairness“. und noch ein schöner satz der im laufe des vortrages fiel: „stuff will flow out of connected people“. wenn man benkler sich in rage reden hört, glaubt man tatsächlich, dass dieses ganze internetdings, die vernetzung, das blogdings, und diese ganzen dinge die sich da momentan tun ungeheures potenzial besitzen, bzw. schon lange entfaltet haben. ein wenig esoterische stimmung kam zugegebenermassen neben der euphorie auf, aber das mit den netzwerken, das meine ich mal beim thema neuronale netze gelernt zu haben, ist halt uns linear und sequentiell denkenden wesen auch schwer vorstellbar. nur, es gibt lebendige beweise (im internet) zu bestaunen. natürlich schränkte auch benkler ein, dass jetzt nicht plötzlich jeder ein begandeter pamphlet-schreiber werden würde (siehe auch die 99% schrott these von von blumencronenspon), aber die vernetzen menschen seien eben auch nicht alle intellektuelle lemminge. sein buch (oben schon kurz verlinkt) „the wealth of networks“ steht übrigens unter einer creative commons lizenz frei verfügbar im netz („ausdrucken!“).
wos4.1

ich bin hier auf der wos4 (wizards of oz 4) konferenz für freie und offene dingssachen in berlin. erstaunlich hohe dichte an adipositas und pferdeschwänzen. ein paar ganz dürre menschen sind auch hier. falk r. lücke hat keinen pferdeschwanz, ist aber ebenfalls leicht adipös und hatte gerade keine zeit für ein bier. apropos bier. das gibts hier nicht in flaschen, kost 4 euro und ist warm und schal. opensource bier?
das erste panel in das ich mit einer 0,3er bier-fahne stolperte wurde vom umtriebigen jancko röttgers moderiert. auch hier das eine oder andere technische problem, aber auch ein knapper kurzer hochinteressanter vortrag von john buckman der einen kurzen überblick über seine beiden projekte bookmooch.com (gesprochen buckmuhtsch) und magnatune.com gab. seine präsentation war kurz, knapp und prägnant und machte bereits meinen tag. bookmooch ist kurz gesagt eine peer to peer büchertauschplattform. ich habe mich gleich angemeldet und werde gleich mal „die arbeit der nacht dort rein stellen (artikel in der netzeitung über bookmooch). magnatune ist ein netlabel das sämtliche musik unter eine creative commons lizenz stellt und vor allem nicht nur elktroschrott im angebot hat. alle lieder sind in diversen formaten erhältlich. faszinierend: mit dem verkauf (den preis für ein album legen die käufer selbst zwischen 5 und 18 dollar fest; durchschnittlich bezahlt: 8 dollar fuffzich) und der lizenzierung machen die sogar geld, 50% der einnahmen werden an die musiker ausgeschüttet. john buckman meint, magnatune sei nicht böse. wobei das magnatune logo fast genauso aussieht wie das eines sehr bösen konzerns.
[mehr im woz4 blog und sicher bald auf netzpolitik.org]
[nachtrag]
seriöse berichterstattung auf heise.de von monika ermert.
bloghosting bei strato

strato versucht sich ja gerade als zuverlässiger blog hoster zu profilieren. bin mal gespannt ob die jemals eine pressmeldung bringen in der robert basic sagt: „Bei bis zu 150.000 täglichen Seitenabrufen zu Spitzenzeiten muss ich mich auf meinen Server jederzeit verlassen können.“
irgendwie ist basicthinking.de bei strato gerade wirklich schwer zu erreichen. deshalb mein alternativtext-vorschlag: „Bei bis zu 150.000 täglichen Seitenabrufen zu Spitzenzeiten muss ich meinen Strato-Server jederzeit verlassen können.“
→ weiterlesendie arbeit der nacht

jochen hatte mich so neugierig gemacht, dass ich das [amazon-werbelink] buch gleich gekauft habe. [amazon-werbelink] thomas glavinic hat mich dann wirklich gefesselt. jochen sprach von „horror“ und da ist was dran. selten hat mir ein buch auf so eindringliche weise abgründe des menschen vor augen geführt und zwar genau so, dass der horror haften bleibt. haften bleibt, wenn man das buch zugeschlagen hat. es hat zu tag-alpträumen geführt. kein happy-end. es hängt mir ähnlich lange hinterher wie damals se7en. kurz. ein lecker buch, in 3 tagen zu verschlingen.
→ weiterlesenbahncontent

heute früh in der bahn erfahren, dass es ein unternehmen gibt das tatsächlich noch mit disketten arbeitet. mit disketten! und zwar laden die zugbegleiter die reservierungen mit einer diskette in den zug. einen telefonat des zugchefs mit der leitstelle entnahm ich heute früh, dass die übergabe der diskette heute früh im ice hamburg-berlin wohl gescheitert war, so dass die reservierungsdisplays leer blieben. disketten? die bahn ist echt voll 80s. immerhin konnte der zugchef ein handy benutzen und musste nicht auf den telegrafen zurückgreifen.
technologieunternehmen sparkasse
darauf hat die welt gewartet, aber die sparkasse ist viel zu bescheiden darum einen grossen bohei zu machen; künftig braucht niemand mehr ladegeräte mit durch die gegend zu schleppen, man kann sein handy bei der sparkasse online aufladen. irre!

eva herman schreibt in bild

jetzt schreibt eva herman auch noch in bild. komischerweise benutzt sie ein pseudonym, bernhard bueb:
Wir müssen wieder zu der alten Wahrheit zurückkehren, dass nur der den Weg zur Freiheit erfolgreich beschreitet, der bereit ist, sich unterzuordnen, Verzicht zu üben und allmählich zu Selbstdisziplin und zu sich selbst zu finden. Damit schafft er die Voraussetzung für sein Glück.
dabei fällt mir auf; reaktionäre kacke riecht besonders übel.
kleine schwarze löcher
ich mach mal einen auf bild, bzw. nehme deren meldung vorweg:
ist das das ende der welt? riesen wirbel um schweizer schwarze löcher; vernichten die durchgeknallten physiker jetzt die welt?
oder ist da gar nix dran? kann ein laden der uns das www gebracht hat gefährlich sein? via /.
rauschen
diederichsen ist ziemlich zäh

Die Qualität dieser Art von Pop ist verloren gegangen, weil sie keinen Platz mehr in der Welt hat, nichts Interessantes mehr produziert. Lakonie, Witz, Tempo usw. sind heute überall zu finden und gelten in der Unterhaltung als die Kriterien schlechthin. Dagegen nehme ich mir heraus, langsam und zäh zu sein. Ich ziehe die langen Texte vor. 30000 bis 60000 Zeichen über psychedelische Literatur oder die Gruppe SPUR oder queeres Theater.
diedrich diederichsen in der netzeitung.
ich habe bestimmt 10 oder 20 texte von diederichsen angefangen zu lesen und keinen einzigen je zuende gelesen. er war schon immer langsam und zäh. und sperrig. er nimmt sich heraus von seinen lesern einiges abzuverlangen. geduld, bildung, vokabular und die fähigkeit zähe, kilometerlange sätze zu vertstehen. ich kann dieses zähe intellektuellen gesülze nicht ertragen und kann mir deshalb auch nicht direkt eine meinung zu diederichsen bilden. deshalb enthalte ich mich einer meinung über ihn oder benutze sekundär-meinungen. eine dieser sekundärmeinungen die ich gerne akzeptiere ist die von markus merz, dem leiter der merz-akademie in stuttgart, den ich sehr schätze. er hält diederichsen für einen der klügsten menschen die er kenne. er kennt auch mich, also ist diederichsen offenbar klüger als ich. diederichsen ist dozent an der merz-akademie in stuttgart. das allerdings war ich auch schon einmal für ein semester. und nochetwas haben wir gemeinsam; auch ich versuche eine art präselektion meiner leser vorzunehmen. wer die worte „ficken“, „fotze“, „kotze“ oder „scheisse“ nicht lesen mag soll in seiner reinlichen welt bleiben und davon ablassen mich zu lesen. nur eins noch. wer mich nicht liest oder lesen mag, sollte mich nicht für doof oder zäh, langsam und langweilig halten.
[bild hier geklaut]
trennung von kirche und staat

Im Juli 1933 wurde ein Abkommen zwischen dem Nazi-Staat und dem Vatikan unterzeichnet, das bis heute in Deutschland gilt.
Dieses Konkordat ist die Grundlage für die immer noch nicht vollzogene Trennung von Kirche und Staat, die in demokratischen Gesellschaften heute selbstverständlich ist.
In vielen gesellschaftlichen Bereichen haben die christlichen Kirchen einen Einfluss, der den Grundsätzen der Gleichberechtigung in einer offenen demokratischen Gesellschaft widerspricht und verfassungswidrig ist.
Wir fordern die längst überfällige
Trennung von Kirche und Staat!
das ist der text der auf einem flugblatt stand das anlässlich einer aktion der beiden aktionskünstler georg ledig und wolfram kastner in münchen verteilt werden sollte. ledig und kastner wollten, leicht verkleidet als führer und papst, durch münchen spazieren. die bayrische polizei liess sie unter aufwändiger beobachtung gewähren. ein weiterer an der aktion beteiligter der das flugblatt verteilen wollte, wurde „von Staatsorganen rüde zu Boden geworfen, seine Flugblätter wurden beschlagnahmt, er verhaftet und in Handschellen abgeführt. Die Verteilung des Flugblattes wurde amtlich untersagt.“ die exekutive in bayern hat sich da wohl von den islamischen religiionswächtern im iran und anderswo inspirieren lassen. dass die politik gerade in bayern besonders danach trachtet, dass in dieser gesellschaft alles im von der kirche vorgegebenen rahmen läuft is ja nicht sonderlich neu. aber dass die reaktionären bonzen in der bayrischen politik so unverholen vorgehen ist ehlichgesagt schon erschütternd auch nicht neu.
mehr dazu bei schröder und kalender, dort habe ich auch das bild geklaut.
→ weiterlesen„esoterikplörre“ hilft?
zur homöopathie liest man im elfenbeinturm folgendes zitat:
Would you sit in a bathtub someone just peed in? Would you swim in an ocean that someone just peed in? There’s a difference, and if you can’t tell that difference then you deserve to spend your life sitting in a tub of pee.
bei moni liest man dagegen:
[monis sohn wurde im] Epilepsiezentrum Bethel […] entlassen mit dem Satz der Chefärztin: „Ihr Kind wird keinen Tag in seinem Leben anfallsfrei sein. Überlegen Sie sich, wie Sie damit umgehen wollen.“ […] Und wie er dann mit klassischer Homöopathie alleine anfallsfrei wurde, nach allem, was in den diversen Kliniken versucht worden war, Cuprum metallicum LM 18, der Names unseres Lebensretters.
huch. die plörre scheint zu helfen? aber wahrscheinlich ist das eh alles „an den haaren herbeigezogen“, wie damals bei transparency international. oder es ist einfach nur eine kleine, sympathische ode an ein sechjähriges kind.
[u.a. via don]
ungeschminkt ins gesicht filmen
ich hatte es vermutet, aber ich sehe ungeschminkt tatsächlich noch ungeschminkter aus als tita von hardenberg in ihrem neuen videodings. auch praktisch: nachdem ich den film hochgeladen habe, entdeckte ich quasi im internet ein pickel zwischen meinen augen. der is nu immerhin weg.
grandios

a work in progress. bis auf die musik. die is nur ok.
interview mit natascha kampusch inner waz
demnächst wahrscheinlich überall zu finden, bei heiko hab ich den ersten link zu einem interview gefunden. und hier ein bild.
Rio Cuarto - die hässlichste Stadt der Welt
Rio Cuarto in Argentinien ist zweifelsfrei die hässlichste Stadt der Welt. Hässlich heisst in diesem Fall nicht heruntergekommen, im Gegenteil, das Städtchen ist gepflegt, wenn man stadthygienische Massstäbe anlegt. Hässlich heisst in diesem Fall hässlich. Baulich gesprochen. Rio Cuarto ist eine architektonische Zumutung, die bereits nach zehn Minuten Anwesenheit mit offenen Augen auch den hartnäckigsten Pazifisten mit dem Charme eines Brandbombenteppichs liebäugeln lässt. Der Grund dafür liegt in den früheren Baugesetzen der Provinz. Wenn ein Statiker vorher ein Häkchen drunter gemacht hatte, durfte in Rio Cuarto jeder alles bauen, Hobbyarchitektur gewissermassen, User Generated Buildings, was aber keinesfalls Gebäude 2.0 war, sondern eher Architektur 0.5, nicht mal beta. Früher war ich Anarchist, heute weiss ich, was passiert, wenn es keine Regeln gibt; es entsteht die stadtplanerische Entsprechung eines Volksmusik-Grusicals. Hausgewordene Gestalttherapie. Wahrscheinlich muss man sich in der Beschreibung einzelner Häuser suhlen, um in Schriftform nachvollziehen zu können, was dort über die Jahre zusammengemauert wurde. Nimm die schlimmste Designerhundehütte von Obi, multiplizier sie mit 10.000 und Du bist noch nicht einmal nah dran.
Ich fange mit der Kirche an. Überall auf der Welt sind sakrale Bauten zu einem Teil Ausdruck der Gesellschaft. Eine Glaubensgemeinschaft versucht selten, ausserhalb jeden ästhetischen Massstabs ihrer Patienten zu bauen. Gilt das auch für die evangelistische Kirche im Norden Rio Cuartos, dann muss der Gottesdienst jeden Sonntag die weltgrösste Ansammlung von schwerst farbenblinden Personen sein. Das grelle, mit dem Schwamm aufgetragene Rosa der äusseren Betonbausteine wird durch die in lindgrünem Glanzlack gehaltenen Fensterrahmen kontrastiert. In den Fenstern selbst spielen sich grauenerregende Szenen ab, bunte Glasteile eines übergrossen religiösen Themenpuzzles sind wahllos ineinander verschachtelt. Wenn man die Sicht mittels geschickten Schielens in die Unschärfe gleiten lässt, erkennt man ab und an eine biblische Szene in diesen transparenten Kaleidoskopen des Konfirmandenhorrors. Das Dach des Kirchenschiffes ist mehrfach geschwungen und weit heruntergezogen, heutzutage sind derartige Proportionen auf den Umverpackungen von Bildbearbeitungssoftware zu finden, um die grenzenlosen Morphingmöglichkeiten eindrücklich zu vermitteln. Obwohl modern, hat der ausführende Architekt nicht auf Fassadenspielereien verzichten mögen, die Adolf Loos (Ornament und Verbrechen) eindeutig in den spontanen Freitod getrieben hätten. Über und unter den Fenstern findet sich simsartiger Gipsschmuck, der gerade breit genug ist, damit scheissende Tauben darauf landen können. Die Simse sind aus einem einzigen, vervielfältigten Musterstück hergestellt, durch die klobigen Floralmotive ahnt man den Versuch, den Jugendstil auferstehen zu lassen, es bleibt leider bei einer Zombieversion, der hunderste Aufguss von Jugendstilblütenblättern.
Nur wenige Meter entfernt hat ein Privatmann sich mit seinem Haus verewigt, sich und seine schweren Komplexe. Der Anblick des Hauses macht die Überquerung der vielbefahrenen Strasse davor mit geschlossenen Augen zu einer erwägenswerten Alternative. Man müsste die Fenster doppelt so gross machen, damit sie als Schiessscharten taugen würden. Die Eingangstür zeigt, dass das griechische Tor zur Unterwelt, Hades, durchaus auch mit den Farben und Materialien der 80er Jahre angemessen interpretiert werden kann. Die flächigen Betonmauern der Hausfront sind zwischen den Fenstern in einem Pastellton gehalten, der sich kaum zwischen dem Dunkelgelb eines chronischen Nierenversagens und bronchialem Rotbraun entscheiden kann; das Farbvorbild mag hier jenes schmutzige Orange gewesen sein, das in trübbeleuchteten westdeutschen Fussgängertunneln jahrelang zu Gewaltverbrechen geführt hat. Doch auch dieses moderne Haus kann auf Zierelemente nicht ganz verzichten: eine Seitenwand ist sinnlos nach vorn verlängert und von verschieden grossen, glaslosen Bullaugen oder vielmehr runden Löchern durchsetzt. Durch das zusätzlich angeschrägte Ende und die Farbe (vgl. mittelalter Gouda) erscheint die Schmuckwand wie eine überdimensionale Käsescheibe. Der Eindruck, ein pathologischer Misantroph habe die Planung für dieses Haus in einer frisch geleerten Jauchegrube auf gebrauchte Windeln schreiben müssen, verstärkt sich, wenn man ins Innere gelangt. Die Räume sind allesamt so aberwitzig klein, dass man die Wohnfläche verdoppeln könnte, wenn man die Scheuerleisten herausreissen würde. Geometrisch scheint errechnet worden zu sein, wie möglichst viele Räume ganz ohne Fenster gebaut werden könnten. Die Verwendung kaum mehr als DNS-grossen Wendeltreppen stellt sicher, dass ein Etagenwechsel stets mit einer Lektion in Schlangenmenschentum verbunden ist. Auch der Vorgarten ist eine üble Verhöhnung des Begriffs Weltkulturerbe. Der begrenzende Metallzaun besteht aus geometrischen Elementen, die lieblos zusammengeschweisst wurden, nach dem Motto: Nicht gewollt und nicht gekonnt. Nie hatte der Spruch ‘dort möchte ich nicht mal tot überm Zaun hängen‘ mehr Berechtigung.
Diese Beispiele stehen tatsächlich nur stellvertretend für hunderte weitere Gebäude, die die Untiefen und Tiefen der Architektur ausloten. Schräge, bemalte Flachdächer treffen dort ansatzlos auf Zierdachrinnen aus Messing, Postneogotisches ergänzt Möchtegernretrovictorianisches zu einem Stadtreigen der epigonalen UND schlecht gemachten Epochentanz der Bauvampire. So taumeln die Bewohner Rio Cuartos durch die Strassen, benommen von dem visuellen Presslufthammer, den ihr Stadtbild ihnen unablässig in die Sehrinde des Hirns drischt. Der Mensch gewöhnt sich keinesfalls an alles. Nach acht Wochen Rio Cuarto fragte ich mich eines Morgens, was denn an Diddltapete so schlecht sei, worauf zum Glück ein luzider Moment folgte und ich wusste, dass ich so schnell wie möglich raus musste aus der Stadt, aus Rio Cuarto, der hässlichsten Stadt der Welt.
designabzugshaube

was man sich wohl unter einer „designabzugshaube“ vorstellen soll? schön wäre eine gerätschaft die überflüssigen tand oder ornament, oft auch fälschlicherweise „design“ genannt, verschwinden oder abziehen lassen kann. oder eine haube die die dinge unverfälscht, ohne verzierung, ohen schminke erscheinen lässt, wenn man sie trägt. aber wahrscheinlich ist es einfach nur eine überflüssige, unpraktische, schwachbrüstige und verzierte dampf-abzugshaube für die küche. schade eigentlich.
siegmar zombiel
Die sieben supersten Superlative Südamerikas - ein Reisetagebuch
Ich bin Halbargentinier und habe deshalb vor zwölf Jahren einige Zeit in Südamerika gelebt. Mehrere Monate bin ich herumgefahren und habe Eindrücke in Millionenhöhe gesammelt. Inzwischen kann ich wieder darüber sprechen und das nutze ich heimtückisch aus, um in sieben Folgen das Südamerika zu beschreiben, das ich kennen gelernt habe. Es handelt sich dabei um die Länder Argentinien, Bolivien, ein wenig Peru, einen Hauch Chile und viel, viel Patagonien, das zwar kein eigenes Land ist, in dem dafür aber mein Vater geboren ist, mit dem ich vor Ort war und der mir erklärt hat, woher der Wind dort weht, nämlich immer aus der gleichen Richtung und das ohne Unterlass. Die Häuser haben dort auf der windabgewandten Seite sämtliche Türen und Fenster. Ab und an fliegen Schafe durch die Gegend. In manchen Gegenden macht der feine Sand in der Luft die Menschen verrückt bis sie Hobbys entwickeln wie Pinguin-Weitwurf. Noch weiter im Süden rennen die dümmsten Tiere der Welt, Nandus, eine Art Vogel Strauss für sehr Arme, vor sich selbst weg. Die Städte Südamerikas hingegen sind der Mehrzahl von Geisteskranken bevölkert und in sofern ganz normale Städte, aber jede einzelne begnügt sich keinesfalls mit einem gesunden Durchschnitt, sondern versucht auf Krampf, in mindestens einer Disziplin vollkommen jenseits jeder Zurechnungsfähigkeit zu sein. Die Menschen in Südamerika lassen sich natürlich in eine Schublade stecken, und zwar in die Südamerikanische. Das haben sie alle gemeinsam. Sonst nichts.
Bolivianer sind unfassbar ehrliche Leute, sogar Betrüger melden sich zu Wort, wenn der Betrug am Kunden ihrer Meinung nach zu hoch ausfällt. Von den Argentiniern kann man das nicht so recht behaupten, im Gegenteil geht ein Spruch um, der das Verhältnis zwischen der unmoralischsten und der zweitunmoralischten Provinz zu verdeutlichen versucht: Was ist der Unterschied zwischen einem Cordobesen (aus Cordoba) und einem Porteño (aus Buenos Aires)? Beide verkaufen Dir ihre Mutter, aber der Cordobese liefert sie dazu noch nicht aus. So lässt sich natürlich lustig und bunt ein Vorurteil ans andere reihen, aber Südamerika ist ein Kontinent der Extreme, da muss man manchmal auch beschreibenderweise über die Stränge schlagen. Und so verklärt sich dieser Bericht natürlich nicht nur durch die gut abgehangene, aber wie ein beschlagenes Glas leicht diffuse Erinnerung, sondern auch durch die überhöhte Auswahl der beschriebenen Dinge. Es sind sämtlich Superlative, und zwar kaum je einfache Superlative, sondern die grössten, höchsten, weitesten, tollsten und eben supersten Superlative, die überhaupt zu finden sind. Deshalb lauten die Namen der in den nächsten Tagen folgenden sieben Kapitel so:
Rio Cuarto - die hässlichste Stadt der Welt
Potosí - die höchste Stadt der Welt
Titicaca - der höchste See der Welt
La Paz - die städtischste Kessel der Welt
Perito Moreno - der hektischste Gletscher der Welt
Feuerland - das südlichste Dings der Welt
Buenos Aires - die städtischste Stadt der Welt
wird zeit …
mal wieder eine sauna durchs dorf zu treiben.