Autor: Sascha Lobo ×

Gesucht: Die Prokrastionationalmannschaft

Sascha Lobo

Prokrastination ist ein hässliches Wort für eine schöne Tätigkeit oder vielmehr Nichttätigkeit, denn Prokrastination bedeutet Aufschieben. Prokrastinieren ist ein gesellschaftliches Phänomen, das in anderen Ländern oft diskutiert wird - in Deutschland ist das Thema medial unterrepräsentiert (2 deutsche Google-News-Treffer vs. 379 amerikanische. Stand 17. Dezember). Dabei kennt jeder Prokrastination, der am Bildschirm tätig ist: wer kann schon anfangen zu arbeiten, bevor die liebsten 26 Blogs, die wichtigsten fünf Communities und Social Networks, die drei Instant Messager und Chats plus Twitter-Postings der letzten vier Stunden, SpOn, heise, die vier Mailaccounts, die dazugehörigen acht Spamordner, die zwei aus den 90er Jahren im Interessenportfolio übriggebliebenen Boards, das knappe Dutzend News-Alerts, Technorati & Google Blogsearch und drei oder vier Social Bookmark Dienste durchgesehen, analysiert, ausgewertet und gegebenenfalls mit sofort notwendigen Reaktionen versehen worden sind?

Wenn Prokrastination in deutschen Medien behandelt wird, dann fast ausschliesslich im studentischen Kontext, dabei sind in westlichen Gesellschaften mindestens 20% aller Menschen prokrastinationserfahren. Ausserdem werden immer die selben drei Fachleute befragt, die dann „dramatische Arbeitsstörung“ oder „angstgesteuerte Fehlfunktion“ murmeln und als Gegenmittel ToDo-Listen, Selbstdisziplin und ToDo-Listen empfehlen.

Das ist natürlich Quatsch. In Wirklichkeit ist Prokrastination in den meisten Fällen eine gute, richtige und natürliche Reaktion, die uns hilft, Probleme zu erkennen und das Leben besser zu meistern. Man muss nur lernen, richtig mit ihr umzugehen, dann wird Prokrastination zu einem schnurrenden Kätzchen, das einem den Alltag versüsst und stets in Kuschellaune ist. Das hört sich jetzt nach einer steilen These an. Weil es nämlich eine steile These ist. Es handelt sich aber um eine der zentralen Aussagen unseres neuen Buches. Unseres? Ja, ich schreibe gemeinsam mit Kathrin Passig (Literaturnobelpreis 2006, „Lexikon des Unwirschen“) ein Buch, das 2008 bei Rowohlt erscheinen wird. Der Untertitel steht schon fest: „Wie man Dinge geregelt kriegt ohne einen Funken Selbstdisziplin“. (vergl. Vortrag vom 9to5-Festival, mp3).

Zwar gibt es bereits einen grossen Haufen Bücher zu diesem und angrenzenden Themenfeldern, von „Simplify Your Life“ („statt Kaffee einfach warmes Wasser trinken!“) bis zum genreprägenden Standardwerk „Getting Things Done“ („Selbstdisziplin spielend leicht erlernen unter Zuhilfenahme von, ähm, Selbstdisziplin“). Die meisten von ihnen geizen weder mit Ratschlägen noch mit Vorwürfen. So machen sie sich mit dem Umfeld des geübten Prokrastinierenden gemein, das „Gib dir doch einfach mehr Mühe“ für einen ernstzunehmenden Ratschlag hält. Dabei ähnelt der Einsatz von Selbstdisziplin und Zeitmanagementtools für uns Prokrastis dem Versuch, einem Hund die Flöhe wegzudressieren.

Es liegt auf der Hand, dass ein solches Buch von bunten Beispielen und Fallstudien lebt. Aber während sonst immer über bemitleidenswerte Gestalten berichtet wird, die 24 Jahre für ihre Diplomarbeit brauchen und während dieser Zeit ein Crescendo der Suizidgefährdung erleiden, wollen wir eher andere Geschichten. Wir wollen von Menschen hören, die trotz Prokrastination einigermassen gut zurecht kommen und eben nicht Misserfolg an Misserfolg reihen. Wir glauben, dass eine vom Besitzer liebevoll gepflegte Prokrastination eher zum persönlichen Erfolg beiträgt - wenn auch manchmal in anderen Bereichen als erwartet. Dazwischen darf natürlich auch mal eine klassische Versagerstory vorkommen, das soll ja nicht totgeschwiegen werden.

Wir würden uns freuen, Eure Prokrastinationsgeschichten, Anekdoten, Erfahrungen zu lesen, ob hier in den Kommentaren, in Euren Blogs, auf Twitter, per SMS, per Mail oder wie auch immer. Es besteht eine gute Chance, dann (nur zitiert, nicht im Volltext) im Buch zu landen, wenn man das möchte. Teilnehmer bekommen ein Freiexemplar und werden im Abspann wohlwollend erwähnt, ausserdem prägt man das zukünftige Gesicht der deutschen Prokrastinationslandschaft mit. Das ist nicht viel, schon klar, aber es fühlt sich nicht schlecht an, wenn man in einem Buch drinsteht, das erklärt, warum man eigentlich ein ganz toller Typ ist, obwohl man seit sechzehn Monaten nicht geschafft hat, den Flur zu renovieren.

Ach ja: Wir wissen, dass ihr viel zu tun habt und deshalb voraussichtlich nicht vor Ende 2012 dazu kommen werdet, euren Beitrag abzuschicken. Das geht leider in diesem Fall nicht, denn da das Buch mehr oder weniger gestern fertig sein musste, brauchen wir eure Beiträge aller-allerspätestens heute*.

* im üblichen Sinne von „bis Ende Dezember, dann aber wirklich!“


Rio Cuarto - die hässlichste Stadt der Welt

Sascha Lobo

Rio Cuarto in Argentinien ist zweifelsfrei die hässlichste Stadt der Welt. Hässlich heisst in diesem Fall nicht heruntergekommen, im Gegenteil, das Städtchen ist gepflegt, wenn man stadthygienische Massstäbe anlegt. Hässlich heisst in diesem Fall hässlich. Baulich gesprochen. Rio Cuarto ist eine architektonische Zumutung, die bereits nach zehn Minuten Anwesenheit mit offenen Augen auch den hartnäckigsten Pazifisten mit dem Charme eines Brandbombenteppichs liebäugeln lässt. Der Grund dafür liegt in den früheren Baugesetzen der Provinz. Wenn ein Statiker vorher ein Häkchen drunter gemacht hatte, durfte in Rio Cuarto jeder alles bauen, Hobbyarchitektur gewissermassen, User Generated Buildings, was aber keinesfalls Gebäude 2.0 war, sondern eher Architektur 0.5, nicht mal beta. Früher war ich Anarchist, heute weiss ich, was passiert, wenn es keine Regeln gibt; es entsteht die stadtplanerische Entsprechung eines Volksmusik-Grusicals. Hausgewordene Gestalttherapie. Wahrscheinlich muss man sich in der Beschreibung einzelner Häuser suhlen, um in Schriftform nachvollziehen zu können, was dort über die Jahre zusammengemauert wurde. Nimm die schlimmste Designerhundehütte von Obi, multiplizier sie mit 10.000 und Du bist noch nicht einmal nah dran.

Ich fange mit der Kirche an. Überall auf der Welt sind sakrale Bauten zu einem Teil Ausdruck der Gesellschaft. Eine Glaubensgemeinschaft versucht selten, ausserhalb jeden ästhetischen Massstabs ihrer Patienten zu bauen. Gilt das auch für die evangelistische Kirche im Norden Rio Cuartos, dann muss der Gottesdienst jeden Sonntag die weltgrösste Ansammlung von schwerst farbenblinden Personen sein. Das grelle, mit dem Schwamm aufgetragene Rosa der äusseren Betonbausteine wird durch die in lindgrünem Glanzlack gehaltenen Fensterrahmen kontrastiert. In den Fenstern selbst spielen sich grauenerregende Szenen ab, bunte Glasteile eines übergrossen religiösen Themenpuzzles sind wahllos ineinander verschachtelt. Wenn man die Sicht mittels geschickten Schielens in die Unschärfe gleiten lässt, erkennt man ab und an eine biblische Szene in diesen transparenten Kaleidoskopen des Konfirmandenhorrors. Das Dach des Kirchenschiffes ist mehrfach geschwungen und weit heruntergezogen, heutzutage sind derartige Proportionen auf den Umverpackungen von Bildbearbeitungssoftware zu finden, um die grenzenlosen Morphingmöglichkeiten eindrücklich zu vermitteln. Obwohl modern, hat der ausführende Architekt nicht auf Fassadenspielereien verzichten mögen, die Adolf Loos (Ornament und Verbrechen) eindeutig in den spontanen Freitod getrieben hätten. Über und unter den Fenstern findet sich simsartiger Gipsschmuck, der gerade breit genug ist, damit scheissende Tauben darauf landen können. Die Simse sind aus einem einzigen, vervielfältigten Musterstück hergestellt, durch die klobigen Floralmotive ahnt man den Versuch, den Jugendstil auferstehen zu lassen, es bleibt leider bei einer Zombieversion, der hunderste Aufguss von Jugendstilblütenblättern.

Nur wenige Meter entfernt hat ein Privatmann sich mit seinem Haus verewigt, sich und seine schweren Komplexe. Der Anblick des Hauses macht die Überquerung der vielbefahrenen Strasse davor mit geschlossenen Augen zu einer erwägenswerten Alternative. Man müsste die Fenster doppelt so gross machen, damit sie als Schiessscharten taugen würden. Die Eingangstür zeigt, dass das griechische Tor zur Unterwelt, Hades, durchaus auch mit den Farben und Materialien der 80er Jahre angemessen interpretiert werden kann. Die flächigen Betonmauern der Hausfront sind zwischen den Fenstern in einem Pastellton gehalten, der sich kaum zwischen dem Dunkelgelb eines chronischen Nierenversagens und bronchialem Rotbraun entscheiden kann; das Farbvorbild mag hier jenes schmutzige Orange gewesen sein, das in trübbeleuchteten westdeutschen Fussgängertunneln jahrelang zu Gewaltverbrechen geführt hat. Doch auch dieses moderne Haus kann auf Zierelemente nicht ganz verzichten: eine Seitenwand ist sinnlos nach vorn verlängert und von verschieden grossen, glaslosen Bullaugen oder vielmehr runden Löchern durchsetzt. Durch das zusätzlich angeschrägte Ende und die Farbe (vgl. mittelalter Gouda) erscheint die Schmuckwand wie eine überdimensionale Käsescheibe. Der Eindruck, ein pathologischer Misantroph habe die Planung für dieses Haus in einer frisch geleerten Jauchegrube auf gebrauchte Windeln schreiben müssen, verstärkt sich, wenn man ins Innere gelangt. Die Räume sind allesamt so aberwitzig klein, dass man die Wohnfläche verdoppeln könnte, wenn man die Scheuerleisten herausreissen würde. Geometrisch scheint errechnet worden zu sein, wie möglichst viele Räume ganz ohne Fenster gebaut werden könnten. Die Verwendung kaum mehr als DNS-grossen Wendeltreppen stellt sicher, dass ein Etagenwechsel stets mit einer Lektion in Schlangenmenschentum verbunden ist. Auch der Vorgarten ist eine üble Verhöhnung des Begriffs Weltkulturerbe. Der begrenzende Metallzaun besteht aus geometrischen Elementen, die lieblos zusammengeschweisst wurden, nach dem Motto: Nicht gewollt und nicht gekonnt. Nie hatte der Spruch ‘dort möchte ich nicht mal tot überm Zaun hängen‘ mehr Berechtigung.

Diese Beispiele stehen tatsächlich nur stellvertretend für hunderte weitere Gebäude, die die Untiefen und Tiefen der Architektur ausloten. Schräge, bemalte Flachdächer treffen dort ansatzlos auf Zierdachrinnen aus Messing, Postneogotisches ergänzt Möchtegernretrovictorianisches zu einem Stadtreigen der epigonalen UND schlecht gemachten Epochentanz der Bauvampire. So taumeln die Bewohner Rio Cuartos durch die Strassen, benommen von dem visuellen Presslufthammer, den ihr Stadtbild ihnen unablässig in die Sehrinde des Hirns drischt. Der Mensch gewöhnt sich keinesfalls an alles. Nach acht Wochen Rio Cuarto fragte ich mich eines Morgens, was denn an Diddltapete so schlecht sei, worauf zum Glück ein luzider Moment folgte und ich wusste, dass ich so schnell wie möglich raus musste aus der Stadt, aus Rio Cuarto, der hässlichsten Stadt der Welt.


Die sieben supersten Superlative Südamerikas - ein Reisetagebuch

Sascha Lobo

Ich bin Halbargentinier und habe deshalb vor zwölf Jahren einige Zeit in Südamerika gelebt. Mehrere Monate bin ich herumgefahren und habe Eindrücke in Millionenhöhe gesammelt. Inzwischen kann ich wieder darüber sprechen und das nutze ich heimtückisch aus, um in sieben Folgen das Südamerika zu beschreiben, das ich kennen gelernt habe. Es handelt sich dabei um die Länder Argentinien, Bolivien, ein wenig Peru, einen Hauch Chile und viel, viel Patagonien, das zwar kein eigenes Land ist, in dem dafür aber mein Vater geboren ist, mit dem ich vor Ort war und der mir erklärt hat, woher der Wind dort weht, nämlich immer aus der gleichen Richtung und das ohne Unterlass. Die Häuser haben dort auf der windabgewandten Seite sämtliche Türen und Fenster. Ab und an fliegen Schafe durch die Gegend. In manchen Gegenden macht der feine Sand in der Luft die Menschen verrückt bis sie Hobbys entwickeln wie Pinguin-Weitwurf. Noch weiter im Süden rennen die dümmsten Tiere der Welt, Nandus, eine Art Vogel Strauss für sehr Arme, vor sich selbst weg. Die Städte Südamerikas hingegen sind der Mehrzahl von Geisteskranken bevölkert und in sofern ganz normale Städte, aber jede einzelne begnügt sich keinesfalls mit einem gesunden Durchschnitt, sondern versucht auf Krampf, in mindestens einer Disziplin vollkommen jenseits jeder Zurechnungsfähigkeit zu sein. Die Menschen in Südamerika lassen sich natürlich in eine Schublade stecken, und zwar in die Südamerikanische. Das haben sie alle gemeinsam. Sonst nichts.

Bolivianer sind unfassbar ehrliche Leute, sogar Betrüger melden sich zu Wort, wenn der Betrug am Kunden ihrer Meinung nach zu hoch ausfällt. Von den Argentiniern kann man das nicht so recht behaupten, im Gegenteil geht ein Spruch um, der das Verhältnis zwischen der unmoralischsten und der zweitunmoralischten Provinz zu verdeutlichen versucht: Was ist der Unterschied zwischen einem Cordobesen (aus Cordoba) und einem Porteño (aus Buenos Aires)? Beide verkaufen Dir ihre Mutter, aber der Cordobese liefert sie dazu noch nicht aus. So lässt sich natürlich lustig und bunt ein Vorurteil ans andere reihen, aber Südamerika ist ein Kontinent der Extreme, da muss man manchmal auch beschreibenderweise über die Stränge schlagen. Und so verklärt sich dieser Bericht natürlich nicht nur durch die gut abgehangene, aber wie ein beschlagenes Glas leicht diffuse Erinnerung, sondern auch durch die überhöhte Auswahl der beschriebenen Dinge. Es sind sämtlich Superlative, und zwar kaum je einfache Superlative, sondern die grössten, höchsten, weitesten, tollsten und eben supersten Superlative, die überhaupt zu finden sind. Deshalb lauten die Namen der in den nächsten Tagen folgenden sieben Kapitel so:

Rio Cuarto - die hässlichste Stadt der Welt
Potosí - die höchste Stadt der Welt
Titicaca - der höchste See der Welt
La Paz - die städtischste Kessel der Welt
Perito Moreno - der hektischste Gletscher der Welt
Feuerland - das südlichste Dings der Welt
Buenos Aires - die städtischste Stadt der Welt


Am Ende des Sommers stirbt man ein bisschen

Sascha Lobo

Ich hatte das Wort ’Publizistik’ auf einer Feier augeschnappt, damals, als man noch aus dem Hause ging um zu vögeln und nicht nach Hause. Aus Versehen studierte ich es dann (Publizistik). Ein Mädchen wollte ständig eine Reportage über das Schiffshebewerk Niederfinow schreiben, der Dozent bügelte sie ab mit den Worten ’Menschen interessieren Menschen’. Mit dem Mädchen habe ich später kurz geknutscht, der Spruch begleitet mich immer noch; in meinem Viertel gibt es Menschen, die mich besonders interessieren.

Ein einbeiniger Fahrradfahrer, um den herum Fellinifilme gedreht werden könnten. In früheren Sommern fuhr er fast jeden Morgen mit seinem Dreiradfahrrad herum, sein Bein ans Pedal geschnallt, das andere Pedal fehlt. Ein dünner Mann, seine Cordhosenbeine flatterten im Wind, eins mehr als das andere. In seinem Gesicht war ein Grinsen eingraviert, ein unaustreibbares, verzücktes ’Brazil’-Grinsen. Der Amputierte - ’er ist genau wie wir’, hörte ich eine Mutter ihrem Kind erzählen, ’nur ohne Bein’. Das Kind wird zynisch werden. Diesen Sommer habe ich ihn nicht mehr gesehen und ich habe mich dabei ertappt, zu wünschen, dass er glücklich gestorben sei, dabei lebt er vielleicht noch. Ein Hauch Euthanasie weht in uns allen.

Genau gegenüber wohnt ein Mann, der eine sexuelle Beziehung zu seiner Wand hat. Schon oft hat er sich viertelstundenlang an ihr gerieben. Ein Wandficker. Kaum Beschimpfungspotenzial offensichtlich, dafür hohes Mitleidspotenzial. Warum eigentlich? Da reibt sich jemand an der Wand, na und? Ich habe es auch probiert; es ist so mittelbefriedigend. Wenn man es auf einer höheren Sinnebene betrachtet, dreht sich diese Obsession um die Härte der vergeblichen Umarmung. Aber die Kälte der Wand wird irgendwann zu Wärme, wenn man genug gerieben hat.

An der Kasse des Supermarkts sitzt oft ein hässliches, junges Mädchen. Auf ihrem linken Ringfinger Höhe Ehering trägt sie einen tätowierten fünfzackigen Stern mit einem ’M’ darin. Früher habe ich auf Martin, Max oder Maja gewartet, die sie anrufen, abholen, sich irgendwie zu erkennen geben. Nie etwas. Seit diesem Sommer sieht sie nicht mehr nur hässlich aus, sondern auch traurig, und sie hat eine andere Frisur. Inzwischen warte ich auf ein Pflaster um ihren Finger, aber sowenig Markus sich damals um sie kümmerte, sowenig scheint sie sich um das hinfällige ’M’ zu kümmern. Ich habe einen hässlichen Bekannten namens Matthias, vielleicht sollte ich die beiden mal vorstellen. Im Herbst, dann.


Live-Bloggen vom Bloggertreffen gegen Selbstreferentialität

Sascha Lobo

Heute abend geht nicht nur die wirres-Urlaubsvertretung von Herrn Niggemeier und mir zu Ende - nein, wir wollen auch als Abschluss ein Zeichen setzen; ein Zeichen, das wir in der Blogosphäre als längst überfällig empfinden. Wir möchten eindringlich gegen die übergrosse Selbstreferentialität von Blogs zu wenden, über die ich auch hier, hier und hier geschrieben habe.

Wir haben uns nun entschlossen, endlich nicht mehr nur Worte, sondern Taten folgen zu lassen, und veranstalten heute abend ein Bloggertreffen gegen Selbstreferentialität, zu dem auch wirres.net-Blogger Felix Schwenzel erscheinen wird. Wir werden von dieser Aktion live bloggen, und zwar genau hier in diesem Blog, ab in einigen Minuten. Wer teilnehmen will, wird das in den Kommentaren auf dieser Seite tun können.


[Blogeintrag]

Sascha Lobo

Heute möchte ich endlich drüber schreiben, wie [scheinobjektive Befindlichkeit], vor allem, weil ich [abstruse kausale Verkettung]. Den Anlass dazu hat mir [Blogrollmitglied] geliefert, der neulich mit [Nichtblogrollmitglied] aneinandergeraten ist, es ging um irgendwas [irgendwas], so genau habe ich es nicht verstanden [optionale Ironieanzeige]. [Unnötige Bemerkung zu Rechtschreibfehlern].

Das Thema ist natürlich ziemlich komplex, wurde aber neulich schon von [A-Blogger] super auf den Punkt gebracht: [verlinktes Zitat aus dem Zusammenhang gerissen, das die zu besprechende Thematik allenfalls streift]. Ich sage ja schon längst, dass [A-Blogger] ganz im Gegensatz zu [anderer A-Blogger, je nach Mut auch B- oder C-Blogger] wirklich ein ganz toller [irrwitzig unsubtile Schleimerei]. Ja, [wieder erster A-Blogger] sollte endlich [Professionalisierungsvarianten].

[Katzenfoto]

Aber zurück zum Thema [nichtssagendes Schlagwort in Anführungszeichen], das in Amerika übrigens [eilig mit Technorati und dict.leo.org zusammengekloppter, verlinkter Zusammenhang] wie auch [nochmal], [nochmal] und [nochmal] beweisen! [Tagesaktuelle Andeutung], nanu, dachte ich, das habe ich doch schon irgendwo mal gehört [massiver Einsatz von Ironieelementen]. Stimmt, [flächig vorgetragene Allgemeinplätze mit Express-On-Cover®], [diffuser emotional-privater Bezug], und genau das ist auch der Grund, weshalb ich mit [beliebiges Blog] nichts anfangen kann. Ganz nebenbei ist [beliebiges Blog] nicht mal ein echtes Blog, weil [beliebiges Feature] fehlt! Auch heisst es [Artikel] Blog und niemals [anderer Artikel] Blog!

Mehr noch, [zusammenhangsloses Beschimpfungsritual des immergleichen Personenkreises]. [Von Verzweiflung zeugende Rückversicherung, dass die als eigene Crowd empfundenen Personen hinter einem stehen], oder irre ich mich?

Meine Meinung sage ich da ganz offen, nämlich [Unsinn] und [Quatsch], obwohl [kein Gegensatz]. Eindeutig am wichtigsten ist [Geschwurbel]. Aber es herrscht Meinungsfreiheit, das finde ich ganz besonders für Blogs wichtig, deshalb akzeptiere ich auch andere Meinungen, wenn sie [umformulierte eigene Meinung] entsprechen. Ausserdem weiss ich nicht, ob [irgendwas anderes als Bloggen] für das Problem das [falsch benutztes Fremdwort für ‚richtige’] Mittel ist. Aber ich bin auch ja nur [keinesfalls Ernst gemeinte Verminderung der eigenen Person mit der impliziten Hoffnung auf Widerspruch in den Kommentaren].

[Abgrenzende Schlussformel mit ungelenker Reaktionsaufforderung], sage ich mal und dann geht es wirklich [hanebüchene, nichtsdestotrotz massiv abgelutschte Metapher].


Der zweite Obstgarten

Sascha Lobo

Eigentlich bin ich gerade dem Glück am Tag auf der Spur. Meine aktuelle Theorie ist, dass zwei unterschiedliche Herangehensweisen Glück induzieren können. Zum einen der Glücksteppich, also ein beständiges Gefühl, fein gewoben aus vielen guten und schönen Dingen, von denen man weiss oder glaubt zu wissen, dass sie morgen auch noch da sind. Zum anderen ein Stakkato von Glückspeaks. „Alt wie die Nacht, Du Arschnase’ muss ich mir jetzt von den Knowing People anhören, aber ich wusste bis zur Gender-Vorlesung Sommersemester 1998 „Literatur und Frau“ an der Freien Universität Berlin auch nicht, dass Shakespeare eigentlich drei Lesben waren.

Meinen löslichen Kaffee trinke ich aus einem grossen Glas und das passt in die Beule der Heizungsabdeckung neben meinem Schreibtisch, so bleibt der Kaffee ganz lange warm und das ist ja wohl nur geil. Noch dazu wurde meine Heizung wahrscheinlich von Leuten entworfen, die die Umwelt hassen, denn sie heizt so unwahrscheinlich schnell und gut, das kann nicht ökologisch sein. Aber man macht sie an und die Hitze schiesst einem über die Haut, dass es kribbelt. Meine Heizung. Im Winter.

Im Sommer; zwischen den Kastanienblättern blinzelt die Sonne hindurch und ich blinzele zurück, schaue runter, zwischen den Köpfchensteinpflastersteinen des Gehwegs ist ein Ameisenaufwurf, aber nein - eine Hummel klettert heraus und es ist ein Hummelaufwurf! Ewiges Rätsel Hummel, warum gräbst Du Dich in die Erde, wo Du am höchsten Punkt der Kastanie Dein Nest bauen könntest? Ratlos, aber trunken vor Glück, man muss dann stehen bleiben und wird unsicher in den Knien.

Jennifer. Wir haben versucht, Sex zu machen, als wir sechs waren. Ich wusste noch nicht, dass eine Erektion hilft und dass es um eine Rein-und-Raus-Bewegung geht. Trotzdem super.

Die graue Hose, eine Jeanshose, die ich in Rom gekauft habe. Getragen Tag um Tag, bis sich eine strenge Kopfnote im Bouquet kaum mehr leugnen liess. Dann aus purer Hosenliebe mit der Hand gewaschen und auf dem Dachboden, von mehreren Familien genutzt, aufgehängt. Ich habe die Hose vergessen und die Strafe war, dass sie nach zwei oder drei Wochen von lust- und sinnlosem Herumgetrockne verschwunden war. Viel, viel später, eher Jahre als Monate, muss ich einen Kater suchen, auch auf dem Dachboden, gehe um die Ecke, um die ich nie ging, weil einmal ein skelettierter Pferdeschädel an einem Dachbalken hing und auf einem Haufen staubiger Steine liegt kein Kater, aber Müll und meine Hose und ich muss niederknieen und irgendjemandem danken, und weil gerade niemand anderes da ist, nehme ich halt Gott, so what, hier, Gott, ich glaube nicht an Dich aber genau jetzt möchte ich Dir meine Freudenträne widmen, wärditokee, ja, wa? War okay, keine Beschwerden.

Früher, ganz früh sogar, warum spielt früher immer im Sommer oder es liegt Schnee? Es war jedenfalls Sommer, bei meiner Tante im Haus, mein Onkel ist Imker. Als Hobby, eigentlich Architekt, „Bienen befreien“, sagt er mit seinem Augenbrauen-Gesicht, die Hände stopfen die Pfeife mit exotischem Fruchttabak. Nachts mache ich ins Bett im Schlaf; guter Trick, bis heute stolz drauf: Grossflächig Orangensaft über Bett und im ganzen Zimmer und schnell für die Ungeschicktheit entschuldigen. Irritierter Blick der Tante, aber sie ahnt nichts, und als mich eine von den Bienen sticht, obwohl sie Birkenhonig sammeln sollte, darf ich einen Obstgarten von Gervais. Nur einen, aber der war so gut, so gut, cremig und sahnig und alles, das gab es zu Hause nie.

- Darf ich noch einen?
- Nein, man muss auch verzichten können!

Den zweiten klaue ich aus dem Kühlschrank und esse ihn mit der zusammengerollten Deckfolie als Löffelersatz hinten im Garten, ganz in der Nähe von dem Ort, wo mich die Biene gestochen hat, als ich das Nachbarsmädchen beim pinkeln in der Hocke beobachtet habe. Der zweite Obstgarten, was soll ich sagen, der zweite Obstgarten, das ewige Paradies, nichts wird je heranreichen.


Unepisode 15

Sascha Lobo

Über Schimpfwörter im Allgemeinen nachgedacht, als mich ein Superhirsel auf der Strasse geschnitten hat, als ich gerade einen anderen Superhirsel schneiden wollte - Spur-Napping, der neue urbane Trend für den legere-aggressiven Kraftfahrzeugführer. Ich wollte seinerzeit zu dieser Diskussion auch etwas schreiben, habe ich dann aber nicht, weil ich Jan noch ein T-Shirt-Shulde. Hiermit nachgeholt: Wichser ist eines meiner bevorzugten Schimpfworte, aber wenn ich wichsen für etwas Schlechtes hielte, würde ich wohl auf dem falschestmöglichen Blog Urlaubsvertretung machen. Und was ist jetzt mit ‚schwul’ als Schimpfwort? Ich weiss es doch auch nicht, political correctness ist ein Krampf, Homophobie ein Superkrampf, gleichzeitig prägen Worte durchaus das Bewusstsein, verdammte Kacke, ein Dilemma, also ein Problem ohne Lösung. Vielleicht schon mal drin suhlen, so als Übung für den Umgang mit dem Nahostkonflikt.


Unepisode 16

Sascha Lobo

Heute einen Geisteskranken mit einer Hisbollah-Fahne am Auto gesehen. Was die WM alles möglich gemacht hat. Was soll man eigentlich von Leuten halten, die jetzt immer noch Deutschland-Fahnen an Haus- und Autofenstern stehen haben. Das Gleiche wie früher? Ich denke schon.


Unepisode 17

Sascha Lobo

Die Stadt liegt sinnlos heiss und leer da wie eine Herdplatte, von der man den brodelnden Topf heruntergenommen hat. Alle sind im Urlaub, die Leute, die man noch auf der Strasse sieht, auch. Und Jurastudenten, die für Klausuren lernen, die sind auch da, die sind immer da, aus ihnen werden später wohl viele, viele, überviele Anwälte. Schlimm, was ist gefährlicher als ein unterbeschäftigter Rechtsanwalt? Ein Affe mit einem Gewehr? Ein herrenloser Gartenschlauch, aus dem Salzsäure spritzt?


Erfahrungsbericht

Sascha Lobo

Ich hatte mal zwei kastrierte Hamster, die sich heftig quiekend stritten; ich war erst etwas besorgt, habe dann aber den Käfig in den Keller gestellt, das Licht ausgemacht und das Problem war erledigt. Die Wohnung roch auch viel besser, wie mir Besucher später mehrfach bestätigten.


Freubier für alle!

Sascha Lobo

Wenn man früher, als es noch Kontaktanzeigen gab, Kontaktanzeigen las, dann konnte man schnell feststellen, dass die wichtigste Eigenschaft ‚Humor haben’ hiess. Das ist natürlich Quark aus ganz vielen Gründen. Humor haben ist eine Nulleigenschaft, weil [bitte hier selbst Argumente ausdenken]. Eine wirklich wichtige Eigenschaft wird oft mit diesem Humorgehabe verwechselt, ich habe sie mir erst jüngst vergegenwärtigt: sich freuen können. Ich möchte ein Lobolied singen auf alle Menschen, die sich freuen können, Schadenfreude ausgenommen. Freude ist eine Topeigenschaft. Ich freue mich immer, wenn andere sich freuen, dann freue ich mich darüber, dass ich mich freue, dann setzt eine Freuspirale ein, ein Freufelskreis praktisch, ein Endorphinmassaker. In diesem Zusammenhang muss ich kurz mit einem alten Sprichwort abrechnen, ‚Vorfreude ist die schönste Freude’, das muss aus der Zeit stammen, als man mit Sex noch bis zur Ehe gewartet hat, mit dem Effekt, dass sich in der ersten Nacht zwei weitgehend ungeübte Ficker gegenüberstanden, bzw. gegenüberlagen. Vorfreude ist nicht schlecht, klar, aber gar nichts gegen zum Beispiel die Tufreude, die Nachfreude oder die Erkenntnisfreude. ‚Vorfreude ist die viertschönste Freude’, darüber könnte man verhandeln.

Erkenntnisfreude ist ein lustiges Ding, das umso öfter auftritt, je weniger man weiss, aber je interessierter man ist. Überhaupt sollte man mehr über die abbrühende Wirkung der Wissens- und Erfahrungsanhäufung nachdenken. Bis ich siebzehn Jahre alt war, wusste ich zum Beispiel nicht, wie unfassbar gut feuchter Quarzsand in Nadelwäldern riecht, dann stellte sich durch simples dran Riechen die Erkenntnis ein und ich freute ein ganzes niederländisches Dorf in die Angststarre, weil sich bei mir die Freude über den Sandgeruch in einer Freudenschreiattacke entlud. Die meisten Verliebtheitsmomente meines Lebens kann ich auf gemeinsame Freusekunden herunterisolieren.

Dementsprechend bin ich der Meinung, dass sich die meisten Menschen zu wenig freuen. Der gesamte Freude-Komplex birgt natürlich eine extrem hohe Peter-Hahne-Gefahr, der ich durch das ebenso simple wie sinnlose Einfügen der Vermutung ‚eventuell gibt es Leute, die Peter Hahne für eine Votze halten’ begegnen möchte. Trotzdem sollte man auf europäischer Ebene über die Einführung einer Freupflicht nachdenken.


Liste noch herauszufindender Dinge (Auszug)

Sascha Lobo

..

226) Was war noch gleich das Faszinierende an myspace.com?

227) Gibt es irgendetwas erfrischenderes, als an einem heissen Spätnachmittag unter der Dusche Bier aus der eiskalten Flasche zu trinken?

..

308) Steigt man bei Stefan Niggemeier automatisch jede Minute in der Gunst, wenn man mit seinem Nachnamen keine naheliegenden, mehrfachdämlichen Wortspiele macht?

309) Ist es nicht, um mit Joseph von Westphalen zu sprechen (Nautischer Rabe, Essay Tretboot), verwerflich und letztlich doof, darüber zu spotten, was gesellschaftlich sowieso als lächerlich geächtet ist, also etwa Flipflops?

..

734) Wie oft reichen allein die Replica Watches in meiner Mailbox zum Mond und zurück?


Sommertaumel

Sascha Lobo

In meinem ersten richtigen Blogeintrag hätte ich gerne etwas wichtiges besprochen, zum Beispiel Net Neutrality, bei deren Frontenbildung man ein irritierendes amerikanisches Phänomen beobachten kann, nämlich ein organisierter Protest quer durch alle gesellschaftlichen Strömungen. Die Coalition genannte Vereinigung reicht von Gunowners of America einmal im Kreis bis wieder zurück zu den Gunowners of America, dazwischen solche wie die Feminist Majority, der Gründer von CraigsList.org, Craig Newmark, ebenso wie irgendwelche Ultrachristen.

Ich habe mal ein Foto gesehen, da haben in den USA anarchistische Hispanic Punks direkt neben Neonazis mit Hakenkreuzflaggen für Meinungsfreiheit demonstriert! Gut, ich habe das Foto nicht gesehen, aber eine Liste von gemeinsam organisierten Unterstützern der Meinungsfreiheit, da waren beide drauf und also habe ich mir das Foto vorgestellt. Über dieses wichtige Thema Net Neutrality kann man nicht geteilter Meinung sein, wenn man bei ungekauftem Verstand ist und dieses Internet, von dem jetzt alle reden, auch nur ansatzweise verstanden hat. Auf welcher Seite man stehen sollte, dafür kann man ein Instrument benutzen, was ich jüngst entwickelt habe: Den Anti-Lott-Trend.

Das funktioniert ganz einfach, denn Trent Lott ist amerikanischer Senator der Republikaner, faschistoider, nationalistischer, rassistischer, homophober, sexistischer Erzreaktionär; also in wirklich sämtlichen, allen, praktisch überhaupt allenallen gesellschaftlichen Fragen auf der falschestdenkbaren Seite, so dass man nie verkehrt fährt, wenn man immer das Gegenteil von Trent Lott als Meinung hat. Es handelt sich um eine Art amerikanische Version von Edmund Stoiber mit Geschmacksverstärker, und Trent Lott ist gegen Net Neutrality.

Schade also, dass ich über Net Neutrality nicht schreiben kann, das Thema ist ebenso ergiebig wie wichtig, es geht aber nicht, weil es unfassbar heiss und stickig ist, dass nicht nur die Luft klebrig wird, sondern ich auch vergessen habe, dass es total uncool ist, über die Hitze zu jammern. Aber wann uncool sein, wenn nicht jetzt bei 350° Celsius? Stattdessen beschreibe ich ein wenig den Hitzetaumel, seit Tagen taumele ich durch die Stadt, das Ozon hat mein Gehirn porös gemacht. Vier oder fünf Mal hat das Wetter schon so getan, als wolle es gleich regnen und es war immer ein Gefühl, als müsse man niessen, aber es geht einfach nicht. Wenn man sich bei Hitze selbst beobachtet, fängt man instantan an, sich zu schämen, weil die Motorik sich unter irgendeinem kühlen Hirnlappen verkrochen zu haben scheint. Es wird besser, wenn man die anderen Menschen beobachtet; kaum einer, der nicht schwere Geistesstörungen zur Schau trägt - viele tragen sogar Flipflops, allein das Wort kann Zitterkrämpfe verursachen. Auf meinem Grabstein soll dereinst stehen ‚Trotz allem hat er dem Flipfloptragen widerstehen können.’

Gestern habe ich endlich das einzig Vernünftige getan, zur Erklärung muss ich etwas ausholen. Es gibt seit einigen Jahren den bekannten Buy Nothing Day, ins Leben gerufen von Adbusters. Dieser in Deutschland unter einer unsag- und unschreibbaren Namensadaption weithin unbekannte gebliebene Tag soll dazu dienen, bewusstes Konsumverhalten zu provozieren. Etwas gymnasiastisch undifferenziert, sage ich als Werbehasi mal, aber keine schlechte Sache eigentlich, die Hitze jedoch setzt die Prioritäten neu und anders, und so habe ich gestern endlich den Do Nothing Day erfunden. Erfunden ist vielleicht ein bisschen dick aufgetragen, aber eben erstmals gemacht, bzw. das ist jetzt begrifflich schwierig, erstmals nichts gemacht. Von morgens, das in echt nachmittags war, bis abends, das in echt nachmittags war, nur rumgelegen, davor, danach und auch währenddessen geschlafen und 24, vierte Staffel gesehen, copy that. Do Nothing Day, unbedingt merken, auch, wenn er irrsinnig anstrengend war. Ich musste acht, neun Mal das verschwitzte T-Shirt wechseln und hatte am Ende Kopfschmerzen vom intensiven Nichtstun. Aber es tut gut, mal wieder so richtig gegen den Uhrzeitenterror der bürgerlichen Gesellschaft liegend anzukämpfen und erst ins Bett zu gehen, wenn andere schon wieder ins Bett gehen. Eine Erkenntnis des Do Nothing Day allerdings hat sich herausgeschält und wird die Welt bereichern auf immerdar: Gegen jedes Unwohlsein beim Herumliegen in der Hitze hilft eine grosse Schüssel Joghurt mit gefrorenen Himbeeren drin und Honig.


lobo logo wettbewerb — die entscheidung

Sascha Lobo

[hier das protokoll der juryentscheidung zum lobo logo wettbewerb. vielen dank und ein dickes lob an herrn lobo.]

vorab ein problem bemerkt:
die logos waren alle verhältnismässig mittel - deckten aber trotzdem von der qualität eine gewisse bandbreite ab, so dass die bewertung der mittlizität gleichzeitig leicht und schwer fiel. aber hinein in die einzelwertung:

schiff ohne kreis
komplett aus der wertung genommen. schönes wortspiel, aber kreis fehlt völlig, logo ist daher irgendwie nicht rund.

x!
typografische annäherung an das sujet, jedoch im symbolischen total verhoben: genauso würde man college-humor pantomimisch ausdrücken, nämlich bestehend aus fäkalcontent und gestickten buchstaben. nix für ix.

gedachte scheisse
schön virtuell, hochallegorisch, den trend zur mehrfachscheisse erkannt und korrekt und punktsymmetrisch abgebildet - trotzdem daneben, weil zu wolkig.

fussstapfen
um die ecke gedacht, die scheisse ist sinnvoll ins bild geschmiert - so möchte man ein logo haben! und zwar ein logo für einen strandlauf am hundeufer, was soll denn das mit bloggen zu tun haben? das ist doch vollkommen abwegig.

fahne
hier steckt so viel drin! kapitalismuskritik (golfspielen ist scheisse), tucholskyartige militarismuskritik (fahnen als zeichen der streikräfte) und natürlich das ende der fahnenstange, das in der scheisse steckt - aber nicht erreicht ist: als bild zu dünn. passt nicht zu ix.

sprechblase
der comic kommt zurück, die neue simple form des ausdrucks in bild und text erobert die visuelle umwelt. und die vorreiter sind die neuen, schlecht-guten zeichner. das ist aber leider schlecht-schlecht und deshalb untauglich. fast möchte ich von halbherzig schlecht sprechen.

herz
das ist schön. sollte ix sich unbedingt aufheben für die zeit nach der geschlechtsumwandlung.

schreibmaschine
das beste logo, das je das lixt der welt erblickte. punkt. sagt alles, meint nichts. möglicherweise handelt es sich bei diesem logo um gott.

schiff mit 1 scheisse
schöner ansatz, gelungene figürlichkeit, wirkt aber leider unvollständig, bzw. unterschissen.

schiff mit 5 scheisse
too much, total overdone, wer kommt denn auf so einen scheiss und hat danach noch genug mut, ihn auch in corel draw hinzukrepeln? achtung, das war eine platonische frage, nicht antworten, ich möcht's gar nicht wissen.

krikel krakel
bitte wieder dringend die tabletten nehmen!

"ein haufen scheisse"
ceci n'est pas une haufen scheisse, das konnte man vor hundert jahren noch so machen. inzwischen ist es so lustig wie ein post-it mit "kühlschrank" draufgeschrieben an den kühlschrank zu kleben. also sehr lustig. geht aber trotzdem nicht, zu verkopft, ein logo muss knallen.

wäscheklammer
der steinalte titanictrick. zwei themen miteinander verknüpfen, die nichts, bzw. dann halt doch irgendwas miteinander zu tun haben. wirkt bemüht, so sieht ingenieurshumor aus, der streng nach quartalsplan erstellt wird.

RIESEN-ix
unter aller kajüte. der schöpfer hat von grafik weniger ahnung als das gemeinsame kind von stevie wonder und friedensreich hundertwasser, verbindet also unwissenheit mit schlechtem geschmack. falsch montiert, unsubtil in szene gesetzt, verkrampft vorgetragen - so würde das logo aussehen, wenn die ddr heute ein staatsblog eröffnen würde. glatte sechs.

mit shit, charme und melone
solide angelegt, grafisch begabt, naheliegende, aber gute idee. filigran austarierte proportionen zwischen schwarz und weiss - leider nicht mehr. kein sinn zu sehen, für wen soll das logo sein? professor bienlein?

haufen-ix
scheisse als pixel, muss man erstmal drauf kommen, kann man so machen. wird aber nach einer negativrekordzeit von 0,37 femtosekunden sterbenslangweilig. oder schon vorher. müsste man mal wissenschaftlich erforschen, vielleicht ist das das einzige logo der welt, das noch vor der betrachtung langweilig wird. und das hätte ja wieder was. aber nur kurz. sehr kurz (s.o.).

pacman
das logo nutzt das weisse nicht als leere, sondern als fläche. originell. die gleiche art originell wie aufblasbare weihnachtsbäume oder halstücher für hunde. eventuell aufheben für wenn die tortendiagramm-ritter die weltherrschaft endgültig übernehmen und dann kurz vor dem suizid als ironisches zitat verwenden.

wanted
lustig aber hässlich. diese kombination führt leider zu nichts, das habe ich mal selbst ausprobiert, sie redet nicht mal mehr mit mir.

kiss
fäkalcontent gut und schön, bzw. eigentlich scheisse. aber dann der zungenkiss mit dem kothaufen? ich weiss nicht, ich weiss nicht, ich weiss nicht, was das soll. das ist doch kiss, oder? eventuell aufheben für koprolalisch veranlagte metalfreaks.

ronald mcdonald
okayer gag, liegt aber näher als, sieh, das gute. habe schon einen arbeitstitel: supershize me.

spiderman
gelungen, dynamisch, witzig, auf eine art jedenfalls. vielleicht mal an einem tag benutzen an dem man spinnt (topbrüller, superjokus, spitzenkalauer).

girl shit
ja, sorry, stehe ich jetzt nicht so drauf. über pinkelspiele kann man eventuell reden, hängt auch von der situation ab, sage ich mal, aber koprophilie geht mir am arsch vorbei.

"ich bin scheisse"
klar, logisch aufgebaut, hintergrundkenntnis vorhanden, doppelt um die ecke gedachter aktueller bezug - was soll das mit ix zu tun haben? aufheben für viel viel später, wenn er alzheimer hat vielleicht.

ix-silhouette
verdammt, ich musste gerade nachschlagen, wie man silhouette schreibt, das kann doch nicht wahr sein! soweit treibt einen die verfickten hin und hers zwischen reform, nichtreform und rücknahme der nichtreform. ach so ja, das logo, gott, ist okay, scheisse im auge, nun ja.

ix-siluette mit hirn
erinnert an dieses homer-simpson bild, das jeder dritte hirni in jedem zweiten board als avatar hat. geht deshalb nicht, ist aber nicht schlimm, weil es auch so nicht geht. was soll denn da die aussage sein? scheisse im kopf? da hat aber jemand in bio ganz erheblich nicht aufgepasst, als verdauung dran war.

spiegel online
wer fremde logos nachmacht oder fälscht oder nachgemachte oder gefälschte logos in umlauf bringt, der wird mit einer strafe bestraft. bootlegging ist seit 1933 out und spiegel online bashing ohne konkreten anlass ist auf der supergähn-skala auf einer höhe mit ausdrucksbatik.

quirl
gequirlte scheisse. zum selber drauf kommen, passt also eher in die bilderrätselecke als in die logoversammlung. hat aber durchaus etwas rührendes.

frau oberkörper
nipplegate für toilet jackson. aber bitte: wenn personen im bild, dann sollten sie gutaussehend sein. und kackeverschmierte brustwarzen machen die sache nicht besser. übrigens sieht die frau aus, als hätte sie ein hitlerbärtchen. das bringt sie fast wieder ins spiel. aber nur fast.

schwarze frau oberkörper
da kann man ja gar nichts erkennen! ist das der busen, der da vorsteht wie ein felsriff? oder ein ellenbogen? und ist das dadrüber die selbstgemachte kacke? und warum? und wie kommt eigentlich der schmutzige rand um den kreis? wer ist das auf dem foto? nicht antworten, alles wieder rhetorisch gemeint, jeder kommentar wäre infomüll.

du bist deutschland 1
dieser fall ist so durch wie ein fall nur durch sein kann. durchfall in diesem fall, also.

du bist deutschland 2
das thema wird nicht weniger durch durch so stinklinien drüber. durch, durch, durch, over, out, ende, aus. du bist durchland.

gesicht
wer ist das? ich? meine nase sieht manchmal so aus. oder ix? sieht ihm gar nicht ähnlich. trotzdem sehr gelungen, sehr schön gestaltet, wirklich. das gesicht angedeutet, die hand angeschnitten, eine geste drin, ein blick, das ist ein haiku in logoform. grosses lob. sollte kafka je bloggen - das wäre sein logo.

abschluss
viele logos, viele worte, aber es kann nur einen geben. die begründung richtig hinzubiegen fällt leicht. bei 31 logos ist das mittelste das sechzehnte. die verteilung der plätze ist einfach. platz eins bis siebzehn belegt gleichzeitig die schreibmaschine, auf den restlichen plätzen halt die restlichen logos. damit ist das mittelste eindeutig ermittelt, die schreibmaschine nämlich, nicht zu kompliziert, nicht zu überinterpretativ, nicht zu verkopft, aber schmuck und charmant. hurra!

[das gewinnerlogo von jan wird jetzt also für eine ganze weile oben links zu sehen sein. danke an alle die mir ein, zwei oder drei logos zugesand haben. noch mehr dank an alle, die sie sich angeguckt haben.]