ger­man angst?

felix schwenzel

auf den ers­ten blick ein in­ter­es­san­ter ge­dan­ke von chris­ti­an scholz (@mr­topf):

In­ter­es­sant ist da­bei, dass Pi­ra­ten, CCC und Co. gar nicht so­weit weg sind von Ai­gner, Fried­rich und Uhl. Auch dort liegt bei all den Ak­tio­nen die Angst zu Grun­de, dass man das In­ter­net und die da­durch ent­ste­hen­den Frei­hei­ten ir­gend­wann nicht mehr be­herr­schen kann. Also müs­sen sie ge­bän­digt wer­den, Re­gu­lie­rung ist das Mit­tel. Bei Fried­rich und Uhl sind dies die in­ne­re Si­cher­heit be­tref­fen­de Din­ge, denn schliess­lich ist man da auch noch in der Ver­ant­wor­tung, wenn doch mal was pas­siert. Bei Ai­gner ist es der Ver­brau­cher­schutz, der lie­ber über­re­gu­liert und nicht auf­klärt oder aber die Auf­klä­rung über­re­gu­liert. Die Un­ter­schie­de zwi­schen den Ak­teu­ren sind wohl eher im The­men­be­reich zu se­hen, der sich aus der ei­ge­nen Sicht der Din­ge speist, so­wie dem Wis­sens­stand, das man über die­ses The­ma hat (und nicht im­mer op­ti­mal ist).

wenn man die fra­gen wer oder was „und co.“ sein soll oder was „über­re­gu­lier­te auf­klä­rung“ sein soll mal bei­sei­te lässt, könn­te man für ei­nen mo­ment den­ken: ja, wol­len die uns denn alle be­mut­tern und für doof er­klä­ren? kön­nen wir als auf­ge­klär­te, kom­pe­ten­te bür­ger nicht selbst für un­ser wohl sor­gen, ohne stän­di­ge staat­li­che ein­grif­fe und re­gu­lie­rung?

ich habe beim the­ma in­ter­net auch lan­ge ge­glaubt, dass sich das in­ter­net vor­züg­lich selbst re­gu­liert. ab­ge­se­hen da­von, dass selbst­re­gu­lie­rung na­tür­lich auch eine form der re­gu­lie­rung ist, ge­ra­ten selbst­re­gu­lie­rungs­me­cha­nis­men bei macht- oder mark­kon­zen­tra­tio­nen auch schnell aus dem gleich­ge­wicht (es fol­gen gleich noch mehr bin­sen­weis­hei­ten). es geht nicht dar­um ob re­gu­liert wer­den soll oder nicht, son­dern um das wie. um die fra­ge wie weit re­gu­liert wer­den soll und wo über­re­gu­lie­rung an­fängt oder wo die re­geln frei­räu­me las­sen müs­sen. re­geln wol­len wir alle, die fra­ge ist, wo wir je­weils die gren­zen zie­hen und wie wir die­se gren­zen ver­han­deln.

nie­mand, selbst chris­ti­an scholz, ist da­für, dass, zum bei­spiel, sein email­pro­vi­der mit sei­nen emails ma­chen kann was er will und in sei­nen frei­hei­ten nicht ein­ge­schränkt wird. spä­tes­tens dann, wenn sein email­pro­vi­der an­fängt sei­ne emails zu ver­öf­fent­li­chen, wird auch er nach re­geln ru­fen. nach re­geln, die ihm pri­vat­s­hä­re und ein­klag­ba­re rech­te zu­ge­ste­hen.

an­ders ge­fragt: geht es wirk­lich, wie chris­ti­an scholz sug­ge­riert, um frei­heit? un­ge­zü­gel­te frei­heit gibt es mei­nes wis­sens in kei­nem le­bens­be­reich, aus­ser viel­leicht in ei­ner dik­ta­tur, für den dik­ta­tor. frei­heit, bzw. frei­räu­me sind stets ein­ge­schränkt. frei­heit funk­tio­niert im prin­zip wie eine skib­in­dung: ist sie zu lo­cker ein­ge­stellt fliegt man stän­dig auf die fres­se, ist sie zu fest ein­ge­stellt, bricht man sich die bei­ne. frei­heit funk­tio­niert nur mit re­geln, ge­set­zen, eti­quet­ten, selbst­ein­schrän­kun­gen oder selbst­re­gu­lie­rung.

ein bei­spiel zeigt, dass chris­ti­an scholz im prin­zip recht hat und le­dig­lich mit sei­nen schluss­fol­ge­run­gen da­ne­ben liegt. zum bei­spiel die fra­ge der re­gu­lie­rung des er­werbs von schuss­waf­fen. in chris­ti­an scholz’ wor­ten: der re­gu­lie­rung des er­werbs von schuss­waf­fen liegt die angst zu grun­de, dass man un­kon­trol­liert be­waff­ne­te und die da­durch für die be­waff­ne­ten ent­ste­hen­den frei­hei­ten ir­gend­wann nicht mehr be­herr­schen kann.

das bei­spiel zeigt aber auch, dass es bei der ein­schrän­kung von frei­hei­ten nicht un­be­dingt im­mer um die ein­schrän­kung von frei­heit geht, son­dern oft um die wah­rung von frei­heit. hört sich pa­ra­dox an, ist es aber nicht.

es geht nicht um das ob, son­dern um das wie.

man muss das auch gar nicht so weit oben, mit dem gros­sen wort frei­heit auf­hän­gen, man er­kennt auch ganz weit un­ten im ver­brau­cher­schutz­re­gu­lie­rungs­dschu­gel, wie ab­surd chris­ti­an scholz’ ar­gu­men­te ei­gent­lich sind. scholz:

Die durch Ger­man Angst ver­ur­sach­ten Schutz­re­fle­xe sieht man na­tür­lich nicht nur im Be­reich In­ter­net, auch im rest­li­chen Le­ben sind sie zu fin­den, z.B. beim Ver­brau­cher­schutz. Wie­so sonst soll­te man eine Am­pel-Kenn­zeich­nung für Le­bens­mit­tel brau­chen, wenn nicht, weil deut­sche Bür­ger zu dumm sind, die Ka­lo­rien­zahl zu le­sen und zu in­ter­pre­tie­ren?

re­gu­lie­run­gen wie die le­bens­mit­tel­am­pel sind ein an­zei­chen da­für, dass ver­brau­cher­schüt­zer die „deut­schen Bür­ger“ für zu dumm hal­ten die ka­lo­rien­an­ga­be auf ei­ner ver­pa­ckung zu le­sen? nur ist ja ge­nau die­se ka­lo­rien­an­ga­be auf der ver­pa­ckung be­reits ein er­geb­nis von re­gu­lie­rung und ver­brau­cher­schutz. hät­ten le­bens­mit­tel­her­stel­ler un­ein­ge­schränk­te frei­heit beim ver­pa­ckungs­de­sign, wür­de es auch dem auf­ge­klär­tes­ten bür­ger schwer­fal­len die ge­sund­heit­li­chen aus­wir­kun­gen ein­zu­schät­zen. ohne re­gu­lie­rung von le­bens­mit­tel­ver­pa­ckun­gen fän­den sich mit gros­ser si­cher­heit we­der ka­lo­rien­an­zahl noch in­halts­stof­fe auf ei­ner le­bens­mit­tel­ver­pa­ckung.

es geht nicht dar­um ob die „deut­schen Bür­ger“ zu dumm sind, son­dern dar­um, ob man täu­schung, ta­schen­spie­ler­tricks, über­vor­tei­lung oder be­trug zu­lässt oder nicht. dass man lü­gen oder eti­ket­ten­schwin­del theo­re­tisch auf­de­cken oder er­ken­nen kann, heisst doch nicht, dass sie le­gi­tim oder hin­zu­neh­men sind.

an­ders ge­sagt: ich bin für eine le­bens­mit­tel­am­pel (und ka­lo­rien­an­ga­ben und in­hals­stoff­auf­lis­tung) auf in­dus­tri­ell her­ge­stell­ten le­bens­mit­teln, weil es da­durch schwe­rer wird mich zu täu­schen. nicht weil ich dumm bin, son­dern weil ich be­quem und nach­läs­sig bin. weil ich bes­se­res zu tun habe, als mich zum öko­tropho­lo­gen aus­bil­den zu las­sen, nur um ge­sund ein­kau­fen zu kön­nen.

chris­ti­an scholz meint die an­geb­li­che „ger­man angst“ füh­re zu re­gu­lie­rungs­wut. ich glau­be „ger­man angst“ ist re­gu­lie­rungs­pa­ra­noia, die ei­ner kon­struk­ti­ven dis­kus­si­on um sinn­vol­le re­gu­lie­rung im wege steht. „ger­man angst“ ist es, am ei­nen tag mit­ar­bei­ter des ord­nungs­am­tes mit „heil hit­ler“ zu be­grüs­sen und als block­war­te zu be­schimp­fen und am nächs­ten tag, wenn der nach­bar auf dem bal­kon grillt, die po­li­zei an­zu­ru­fen.

und ja, das in­ter­net braucht re­gu­lie­rung.