blogger vs. nyt
klar ist nie etwas. schon gar nicht im iran und erst recht nicht wenn man ausserhalb des irans vor der glotze sitzt. deshalb ist kritische distanz immer vonnöten.
aber als ich eben frédéric valins text darüber las, dass im iran irgendwie alles unklar ist („Unruhen im Iran - You don’t know, Jack.“), da rollten sich meine fussnägel hoch:
Unklar ist allerdings auch, woran sich der Konflikt entzündet hat. Es soll ein Wahlbetrug zugunsten Ahmadinedschads stattgefunden haben. Aber kann man einen Vorsprung von 11 Millionen Stimmen fälschen? Es wurde zwarvorab vor Manipulationen gewarntundverschiedentlich von massiven Unregelmäßigkeiten berichtet. Aber reicht das als Indizien?
es mag ja sein, dass sich sämtliche klassischen medien und blogs die ich lese irren und dass es blödsinn ist zu schreiben, dass hunderttausende auf die strasse gingen um in erster linie gegen wahlbetrug zu protestieren. wozu gerade jetzt nach der wahrscheinlichkeit fragen ob die wahl gefälscht war, wenn hunderttausende genau deshalb auf der strasse protestieren?
auch um zu lesen, dass mussawi kein reformer war, sondern aus dem „establishment“ kam und dass die lage im iran extrem unübersichtlich ist, muss man frédéric valins text nicht lesen. ich frage mich wozu man seinen text überhaupt lesen sollte, einen text der wirkt als sei er allein deshalb verfasst worden, um zu zeigen was frédéric valin alles zu recherchieren und sich anzulesen imstande ist.
statt frédéric „guck–mal-was-ich-weiss“ valin empfehle ich lieber roger „guck-mal-ich-bin-da“ cohen, der diese reportage aus teheran schrob:
Khamenei has taken a radical risk. He has factionalized himself, so losing the arbiter’s lofty garb, by aligning himself with President Mahmoud Ahmadinejad against both Mir Hussein Moussavi, the opposition leader, and Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, a founding father of the revolution.He has taunted millions of Iranians by praising their unprecedented participation in an election many now view as a ballot-box putsch. He has ridiculed the notion that an official inquiry into the vote might yield a different result. He has tried pathos and he has tried pounding his lectern. In short, he has lost his aura. (weiterlesen …)
[via daringfireball.net]
demo in hamburg gegen internet-zensur



- in berlin hat jörg tauss angekündigt künftig mitglied in der piratenpartei sein zu wollen.
- bilder von der berliner demo im hauptstadtblog
- in hamburg hat mich nico lumma fotografiert.
- qik-videos von der demo lassen mein safari abstürzen.
- fiete stegers schreibt „Schizophren: Blogger im Ausland werden bejubelt, zu Hause verlacht“
- in hamburg wurde heute auch noch anderswo demonstriert.
- in münchen war auch super wetter.
- jörg-olaf schäfers hat bilderlinks zusammengetragen
[nachtrag 23:03]
richard gleim schreibt nochmal sehr lesbar und schön knapp zusammen um was es bei dem protest eigentlich geht und jens scholz zeigt nochmal, genau wie fiete stegers, den grösseren rahmen der jüngsten regierungsbemühungen auf (Der Freiheitskämpfer im Ausland ist der Terrorist im Inland): das es eigentlich um die angst de staates vor kontrollverlust geht.
t-shirts
schon lange keine t-shirts mehr gebaut. hier zwei neue im spreadshirt-shop:


zensursula-t-shirts gibts unter anderem hier.
„der tausend-meter-lauf der orientierungslosen“
für diesen artikel wäre ich gerne auf diese überschrift gekommen.

„onlinecommunitybenutzer“
in der bundestagsdebatte zum gesetzentwurf der regierung für das sogenannte zugangserschwerungsgesetz zur kinderpornographie, die ich mir heute abend im kreis meiner familie live angesehen habe (selbst das 13jährige kind hat die debatte von anfang bis zum ende verfolgt!) hat die abgeordnete michaela noll sehr laut und schnell und offenbar auch sehr erregt gezetert geredet und sich beklagt, dass über dieses schöne gesetz so viel „gezetert“ und diskutiert wird. gegen ende ihrer rede hat sie ein sehr schönes neues wort erfunden, als sie über die jüngste allensbach-studie geredet hat, die irgendwas belegen soll. die aussagekraft der studie hat torsten kleinz heute bereits ein bisschen analysiert. so traurig die ganze debatte vor allem hinsichtlich der redebeiträge der SPD und CDU/CSU-fraktion war, so erheiternd empfand ich diesen neologismus:
… und nochmal den hinweis gemacht auf die allensbachstudie. 91% der menschen die sind über 16 sind dazu befragt worden, die halten das für wichtig und es gibt nur 9% der gegner und das sind die sogenannten onlinecommunitybenutzer.
mal abgesehen davon, dass die formulierungen semantisch und grammatikalisch höchst fragwürdig sind, was wahrscheinlich der aufregung geschuldet war, dieses wort ist grossartig und höchst bescheuert.
ich habe die entscheidende stelle von frau nolls redebeitrag aus einer aufzeichnung der debatte herausgeschnitten: onlinecommunitybenutzer_lang.mp3. die ganze debatte habe ich hier als .m4b-datei gefunden [via].
die „persönliche erklärung“ von jörg @tauss nach der abstimmung fand ich übrigens ziemlich überzeugend und aufrichtig. er zeigt, dass in der SPD nicht alles schlecht gewesen ist, aber wie diese „bundestagscommunity“ seine 5minuten rede quittierte, die immerhin die letzte seiner parlamentarischen karriere gewesen ist, fand ich peinlich. akkustisch hörte es sich an, als ob ihm am ende nur 5 abgeordnete applaudiert hätten, @343max meinte gar, dass ihm nur die FDP applaudiert hätte (spekulationen gibts dazu auch). schon erstaunlich, dass es sogar beim applaus fraktionszwang zu geben scheint und sich die SPD-abgeordenten nicht zu schade sind, geschlossen so mit einem fraktions-kollegen umzugehen.
seit gestern wächst gras über die sache
ahnungslos und symbolhaft
prima artikel von kai biermann zum zensursula-gesetz. eigentlich muss doch jeder, der das liest und ansatzweise vernunftsbegabt ist, dieses gesetz als blinden und gefährlichen aktionismus erkennen. oder andersrum, hier erkennt man, „Wie ahnungslos und symbolhaft Politik manchmal handelt“. die passende illustration liefert mediengestalter.cc.

„Löschen statt Sperren - Stoppt die Zensur“

So lautet die Parole einer bundesweitenDemonstrationam 20 Juni gegen die Internetsperren, wie sie von Ursula von der Leyen initiiert wurden.→ weiterlesen
das internet darf kein bürgerrechtsfreier raum werden

aber das internet könnte möglicherweise ein SPD-freier raum werden.
john dean versucht die SPD zu verteidigen:
[Die SPD hat] entscheidende Punkte der Protestbewegung in die Verhandlungen eingebracht hatte und erfolgreich durchgesetzt hat. Darunter:
- keine Strafbarkeit [1]
- keine Anwendung über KiPo hinaus [2]
- Befristung des Gesetzes auf 3 Jahre [3]
- Einbindung des Datenschutzbeauftragten [4]
- Bevorzugung von Löschen statt Sperren [5]
Ist das so abgrundtief übel?
punkt eins ist witzig. wenn ich mich recht erinnere hat brigitte zypries, die SPD-justizminterin die strafrechtliche verfolgung von stopp-schild-surfern erst in den gestzentwurf eingebracht (zumindest kann man diesen sz-bericht so lesen). erst dafür sorgen, dass die strafverfolger zugriff auf die IP-adressen erhalten und sich dann als verhinderer darstellen? [nachtrag: ich habe mich recht erinnert: „Zypries will versuchten Zugriff auf Kinderporno-Seiten bestrafen.“ danke jens!]
punkt zwei ist eher unglaubwürdig. immer wieder melden politiker und verbände begehrlichkeiten an, auch andere inhalte zu „sperren“. auch aus den obersten reihen der SPD kommen solche gedankenspiele. ganz platt formuliert das auch die CDU in einer pressemitteilung die auf die SPD-beschlüsse zum zensursula-gesetz zielt:
Damit ist eine gefährliche Entwicklung gestoppt worden. Unter Berufung auf eine angebliche Internetzensur durch den Staat wollten die Linksaußen in derSPD durchsetzen, dass das Internet zum rechtsfreien Raumwird. Die SPD wäre dadurch Gefahr gelaufen,Straftaten im Internet Vorschub zu leisten, von derVergewaltigung und Erniedrigung kleiner Kinderbis hin zuUrheberrechtsverletzungen in breitestem Ausmaßgegenüber Künstlern und Kreativen. Allen engagierten Streitern gegen das abscheuliche Verbrechen der Kinderpornografie ist angesichts des Scheiterns der SPD-Linken ein Stein vom Herzen gefallen.
da steckt einerseits drin, dass die CDU durchaus an das sperren von angeblich das urheberrecht-verletzenden inhalten denkt und ausserdem, dass die CDU zu beschränkt zum klar-formulieren ist und den eindruck erweckt, urheberrechtsverletzungen seien schlimmer als kinderpornographie.
punkt vier fällt flach, der bundesdatenschutzbeauftragte hate keine lust oberzensor zu werden.
ebenso erscheint punkt fünf eher unglaubhaft: der gesetzentwurf besagt:
Die Aufnahme in die Sperrliste erfolgt nur, soweit zulässige Maßnahmen, die auf die Löschung des Telemedienangebots abzielen, nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind.
ist das jetzt ein begrüssenswerter kompromiss, auf den die SPD sich mit ihrem koalitionspartner geeinigt hat und ist das klagen über diesen kompromiss „ein Beweis dafür […], dass es den Kritikern der Sperren absolut an Kompromissfähigkeit mangelt“?
1996, als sabine leutheusser-schnarrenberger aus protest gegen die einführung des grossen lauschangriffs als justizministerin zurücktrat, herrschte meiner meinung nach eine vergleichbare situation. damals fiel der startschuss für immer ausufernde einschnitte in die bürgerrechte, die im übrigen fast alle von der SPD mitgetragen oder initiert wurden (erinnert sich noch jemand an otto schily?), bis hin zum beschluss zur vorratsdatenspeicherung. wie weit soll die kompromissfähigkeit gehen? wenn man die einschränkung der bürgerrechte mit ladendiebstahl vergleichen würde (ein vergleich der sicherlich hinkt), dann würde politische kompromissfähigkeit darin bestehen, statt zehn tafeln nur acht tafeln schokolade zu klauen? oder sieben? warum nicht einfach auf den kompromiss scheissen und die schokolade kaufen?
die einrichtung einer zensurinfrastruktur, die massenhafte verdachtsunabhängige speicherung von kommunikations-vekerhrsdaten aller deutschen, die ausufernde telefonüberwachung, die übermittlung von fluggastdaten an ausländische behörden — all das geschah mit der kompromissbereiten SPD — und soll offenbar vorerst nicht enden.
enttäuschte liebhaber sind die schlimmsten feinde. ich war noch bis vor ein paar jahren sympathisant und wähler der SPD (ix qwählte thierse). aber je unverständlicher, fremder das ehemalige objekt der sympathie sich verhält, desto grösser die enttäuschung. bei mir lief das fass vor ca. einem jahr über. bei johnny ist es jetzt übergelaufen.
bei einigen anderen ist das fass ebenso übergelaufen, vielleicht sogar bei einer ganzen generation, die die SPD jetzt vor den kopf stösst und verliert.
auch wenn es noch ein paar aufrechte in der SPD gibt die jetzt fleissig briefe an ihre kollegen genossen schreiben (björn böhning und mathias richel oder jörg tauss), ich glaube auch, dass meine sympathie zur SPD an einem stopp-schild angelangt ist.
die SPD ist doof

[via]
steinmeier-rede als tagcloud

[via, siehe auch meinen text zu steinmeiers rede]
joachim huber bellt das internet an
muss man sich über solche artikel eigentlich noch aufregen? joachim huber, leiter des medienressorts des tagesspiegels nimmt das abschneiden der piratenpartei zum anlass, irgendwas über das internet zu schreiben. das ergebnis liest sich wie popel, so als ob sich huber einen ganzen nachmittag alles dessen er habhaft werden konnte aus der nase zog und aufschrob. und die popel aus hubers nase gleichen den ollen popeln die uns die zeit und der tagesspiegel in den letzten wochen versuchen aufzutischen ganz frappierend. hier meine lieblingspopel:
„Es gibt kein Menschenrecht auf kostenloses Internet.“
„[…] das Programm der Piratenpartei [ist] schmal: ein minimal reglementiertes Internet mit dem Recht auf kostenlose Downloads.“
„Der Urheber ist rechtlos in einem rechtsfreien Raum.“
„Was einmal produziert und bezahlt worden ist, darf immer wieder reproduziert und muss niemals bezahlt werden, sagt der Nutzer.“
nachdem ich den scheiss eben kostenlos in der tram auf meinem handy gelesen habe, hab ich mich tatsächlich geärgert. auf dem fussweg zu meinem ersten morgenkaffee hab ich mich dann gefragt, warum ich mich eigentlich über die selbstbewusst vorgetragene ahnungslosigkeit eines promovierten theaterwissenschaftlers aufregen soll. zumal die redaktion des tagesspiegels (oder deren spin-offs) es ja auch witzig findet eine magere topmodel-kandidatin fussball-zeug kommentieren zu lassen und manch einer in der redaktion es sicher auch auch witzig fände einen tennisspieler plattenkritiken schreiben zu lassen oder einen wissenschaftsredakteur mal dazu zu verdonnern in die oper zu gehen. soll der theaterwissenschaftler mal schön was zusammen-polemisieren, damit sich die „nutzer“ und „downloader“ oder „netz-piraten“ mal wieder so richtig aufregen.
also hab ich mich entschlossen mich nicht aufzuregen. man muss ja nicht auf jeder provokation antworten.
was mich aber wundert ist, dass huber hier behauptet, das internet sei ein rechtsfreier raum („Es herrscht das Regime des Nutzers. Wer klickt, hat recht, wer angeklickt, downgeloaded, kopiert wird, der hat Pech. Der Urheber ist rechtlos in einem rechtsfreien Raum.“). hier behauptet er aber das gegenteil: „Der Räuber geistigen oder jedweden anderen Eigentums wird auf der Erde, zu Wasser und in der Luft dafür belangt. Also auch im Netz.“ huch? doch kein rechtsfreier raum?
im dezember 2007 meint huber also, das internet „hat das Rechtsbewusstsein an einigen Stellen erodieren lassen“, im juni 2009 meint er der „nutzer“ fordere „kostenloses internet“ und das recht bezahlte inhalte „immer wieder“ zu reproduzieren und runterzuladen. ich wüsste ja mal gerne welche „nutzer“ das behaupten oder in welcher version des programms der piratenpartei das steht. und ich frage mich welche dieser „nutzer“ das wohl sind, die für die milliarden-dollar-umsätze im itunes music store verantwortlich sind (3,34 milliarden dollar umsatz in 2008), wer sind die „nutzer“ die geld ablatzen an xing, partnerbörsen, stayfriends und co und diesen firmen im internet satte gewinne beschweren? welcher „nutzer“ ist das eigentlich, der niemals bezahlen möchte? hat herr huber mal so einen gesprochen? ich kenne keinen.
ich kenne allerdings einige, die für den scheiss der manchmal im tagesspiegel steht nix bezahlen wollen.
[nachtrag 15.06.2009]
- dieser artikel wurde ursprünglich am 10.06.2009 veröffentlich und hat sich für eine weile von dieser webseite entfernt. ich weiss nicht warum. jetzt isser wieder da, allerdings mit neuem veröffentlichungsdatum. technik!
- mercedes bunz vom tagesspiegel online hat joachim huber im oder auf dem tagesspiegel geantwortet.
das leben in der blase

wozu dient so ein „ausserordentlicher“ parteitag eigentlich? viele, vorwiegend sehr alte menschen treffen sich hier, setzen sich in einen grossen kreis und lassen ihren kanzlerkandidaten eine rede halten, die man anschliessend verteilt und interessierten zum runterladen anbietet. danach wird das „regierungsprogramm“ diskutiert, die änderungsanträge werden abgeschmettert und danach wirds beschlossen oder schöner: „verabschiedet“. danach gehen alle wieder nachhause. wozu? ich glaube so ein parteitag dient ausschliesslich der selbstvergewisserung und selbstbestätigung, der „mobilisierung“ der alten und müden partei-mitglieder.
mir kam zum beispiel die angeblich mit spannung erwartete rede frank-walter steinmeiers vor wie ein zu lang und pathetisch geratener blogartikel, voller unbewiesener behauptungen und wildem rumgemeine. die rede sollte ja zeigen, dass steinmeier und die SPD „es“ wissen wollen. die parallele zur „blogoshäre“ ist frappierend. blogger, wenn sie unter sich sind, werden nicht müde, sich zu versichern, dass sie cooler, schneller, transparenter, besser als journalisten sind, dass twitter das nächste grosse ding sein wird, dass dieses web2.0 die welt revolutionieren wird und dass die piratenpartei demnächst erdrutschsiege einfahren wird. in der eigenen blase hagelt es dann bestätigenden applaus (links, rivva-erwähnungen, retweets), ausserhalb der blase reichts dann gerade mal für 1,3 prozent. bei der SPD euphorisiert man sich mit gelaber über soziale gerechtigkeit, bildung als menschenrecht und arbeit für alle, klascht sich die hände wund und am ende, am wahltag, reichts dann gerade mal für 18 prozent. oder so.
das leben in der blase, wunschdenken bis zum abwinken, sich selbst, seinen überzeugungen und gleichdenkenden zu applaudieren, ist ja auch an sich völlig ok. um sich eine meinung oder überzeugung zu bilden muss man die welt ein bisschen ausblenden. wer nach allen seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein hat mal einer meiner lehrer gesagt. man muss sich abgrenzen. das problem ist nur, wenn man sich zu sehr abgrenzt, zu sehr einigelt, wenden sich die leute ausserhalb der eigenen blase von einem ab.
ich kann gar nicht zählen wie oft ich mir von freunden und bekannten anhören musste, dass sie wirres.net nicht mehr lesen, weil sie diese blogdings-diskussionen und themen, diese lächerlichen kleinkriege und abgrenzungsversuche zu anderen bloggern oder journalisten nerven.
sich vergewissern, dass das was man tut, wie man es tut, richtig ist, sich bestätigen zu lassen dass man nicht alleine so denkt, ähnliche meinungen, lebens und schreibweisen beklatschen, andere abwatschen ist wichtig und identitätsstiftend. man darf es nur nicht übertreiben und beim sich gegenseitig auf die schulter klopfen die anderen vergessen.
ich bin ja durchaus das, was parteistrategen als SPD-nah bezeichnen würden. ich habe in meinem leben mindestens so oft SPD wie die grünen gewählt, wenn nicht sogar ein bisschen öfter. wenn ich aber die rede von steinmeier als meilenweit vorbei an allem was mir politisch wichtig ist empfinde, wenn alle themen die mir politisch auf der seele brennen ignoriert werden und ich mich nicht mal ansatzweise vom SPD-kanzlerkandidaten angesprochen fühle, im gegenteil, wie will die SPD da menschen die weder ein SPD-parteibuch haben, noch stammwähler sind, zu sich hinüberziehen? wie will die SPD die SPD-nahe und -ferne „neue mitte“ (auf die bezog sich steinmeier ausdrücklich) anziehen?
steinmeier hat viel über soziale gerechtigkeit und arbeit geredet und ein bisschen über den umweltschutz, bildung und bildungschancen. diese punkte bezeichnete steinmeier als „richtungsfragen“. das problem bei diesen angeblichen „richtungsfragen“ ist, dass sowohl die CDU, die linke, die grünen und ein bisschen sogar die FDP behaupten dazu gute antworten zu haben. niemand wählt die SPD (oder steinmeier), weil sie ein bisschen bessere oder ein bisschen andere antworten zu diesen fragen hat. im kern unterscheiden sich die antworten der SPD nicht von denen der linken, den grünen oder der CDU. niemand glaubt steinmeier, allein für die angebliche rettung von opel verantwortlich zu sein. niemand nimmt steinmeier ab, dass die insolvenz von arcandor allein der CDU zuzuschreiben ist und zu grösseren sozialen verwerfungen oder schlimmer massenarbeitslosigkeit führen wird.
steinmeier wirkt wie ein mitläufer der laut schreit, wenn ich allein laufe, wird alles besser. steinmeier sitzt im schlamm festgefahren, mit der karte auf dem schoss auf dem beifahrersitz und schreit: „wenn ich am steuer wäre, ich würde die karre wieder aus dem schlamm fahren“. steinmeier ist 4 jahre lang mit angela merkel händchenhaltend im wald herumgeirrt und meint irgendwer würde ihm glauben, wenn er plötzlich behauptet: „jetzt weiss ich wo es langgeht.“ das schlimmste ist, steinmeier glaubt er könne orientierungslos wie alle anderen im wald stehend den wahlkampf auf die frage zuspitzen in welche richtung man von nun an marschiere.
einen satz in steinmeiers rede fand ich entlarvend. er sagte:
Ich sage niemandem in Not: »Du bist nicht systemrelevant.« Keiner von uns würde das tun. Das ist der Unterschied zur Union!
das sagt jemand, der sich 2002 mutmasslich dafür einsetzte murat kurnazs freilassung aus guantanamo zu verhindern und ihn dort weitere vier jahre schmoren zu lassen. die süddeutsche schrieb 2007:
Die Bundesregierung war schon 2002 darüber informiert, dass Kurnaz in Guantanamo physisch und psychisch misshandelt wurde. Beamte des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes, die Kurnaz im September 2002 auf Kuba verhörten, fanden keine Belege für terroristische Aktivitäten von Kurnaz. Dennoch hat die rot-grüne Regierung noch nach der Bundestagswahl 2005 versucht, eine Rückkehr von Kurnaz nach Deutschland zu verhindern.
steinmeier, bzw. die bundesregierung sollen nach berichten der süddeutschen „auch noch 2005 versucht [haben], einen neuen Terrorverdacht gegen den in Bremen geborenen Türken zu konstruieren“. ich persönlich nehme steinmeier seine menschenliebe, seine retter-haltung nicht ab. steinmeier ist über 10 jahre in der regierung und will uns weismachen plötzlich nicht mehr sachzwängen und dienstanweisungen zu gehorchen, sondern menschlich und empörungs-getrieben zu handeln? steinmeier sagte an anderer Stelle: „Das ist der Unterschied zwischen mir und diesen Leuten: dass ich mich noch empöre! Mir macht das was aus! Ich nehme die Sorgen der Menschen ernst.“ dass er die empörung nicht auf deutsche die in todesangst leben, sondern auf deutsche die angst um ihren arbeitsplatz haben beschränken möchte, vergass er zu erwähnen.
steinmeier behauptet er wolle alles besser machen als er es bisher gemacht hat. er behauptet die SPD könne mit ihrem neuen programm, mit ihrer willenserklärung neue arbeitsplätze schaffen, soziale gerechtigkeit schaffen und nebenbei das klima retten. wie? mit mindestlohn, einem button am revers auf dem steht „ich bin gerecht“ und indem man nicht die steuern senkt, sondern in ein paar euro mehr in bildung investiert?
abgesehen davon, dass mehr arbeit, soziale gerechtigkeit, umweltschutz und bessere bildungschancen wichtig und richtig sind, konnte er mich nicht überzeugen, dass er es besser als die derzeitige oder vorherige regierung, denen er seit vielen, vielen jahren angehörte, machen kann. er konnte mir nicht überzeigend erklären wie er und die SPD ihre ziele zu erreichen gedenken, er konnte mich noch nichteinmal davon überzeugen, dass er für die umsetzung seines vorhabens gute und kompetente leute auftreiben kann. und jemand der nichts zu den herausforderungen und vielen offenen fragen und gesellschaftlichen umwälzungen sagt, vor denen wir durch das internet stehen, jemand der nichts zum datenschutz, zu bürgerrechten, zur ausufernden bürokratie und zum zunehmend paranoid und autoritär agierenden staat sagt, jemand der nichts zum ausufernden staatsdefizit, maroden gesundheits- und rentensystem sagt und konkrete vorschläge macht, sondern sich nur hinstellt und sagt „wir können es besser“, so jemanden oder seine partei die das gut findet, möchte ich nicht wählen.
i am not convinced!
[etwas allgemeiner, frédéric valin über den untergang der SPD als „volkspartei“]
[nachtrag 21:53h]
der SPD-politiker urich kelber meint ich irre, wenn ich sage, alle änderungsanträge am regierungsprogramm seien abgeleht worden. er hat sicher recht. vielleicht irre ich auch hier, aber ich hatte den eindruck, dass alle änderungsanträge die während des parteitages vorgetragen wurden, abgeleht wurden. ich weiss von mindestens einem antrag, der vorher eingereicht wurde und ebenso abgelehnt wurde, bzw. gar nicht zur abstimmung kam. gut möglich, dass auch noch während des parteitages am regierungsprogramm was geändert wurde. als zuschauer hatte ich jedoch einen anderen eindruck und genau das wollte ich zum ausdruck bringen.
die SPD, die mauer und staatskarossen
spd-parteitag
am eingang des estrel-hotels und auf kleinen hochhalte-plakaten lächelt frank-walter steinmeier in zensursula- und stasi-2.0-schäublonen-optik durch die gegend.

* * *
andrea nahles hat sich offensichtlich überlegt, dem linken flügel der SPD mehr gewicht zu verleihen. trotzdem sitzt sie rechts von franz müntefering.
* * *
nach seiner rede war frank-walter steinmeier klatschnass geschwitzt. schröder hat vor, während und nach seiner rede vor vier jahren nicht ein bisschen geschwitzt.
* * *
olaf scholz sagte irgendwann den schönen satz: „wir sind geschlossen und wir wollen gewinnen.“ während seiner rede, bewegt er sich oft synchron zum gebärden-dolmetscher. wenn sich seine rede ein bisschen reimen würde, könnte man sagen er rappt.
* * *
erstaunlich wie ähnlich sich sigmar gabriel und hubertus heil sehen. sie haben sogar beide die gleichen hochfrequenten, leicht hysterischen stimmen.
olaf scholz sieht aus wie der gewerkschaftsboss in der zweiten staffel von „the wire“, frank sobotka .
* * *
während frank-walter steinmeiers rede hat brigitte zypries mal den michelle obama-look versucht. nach der rede zog sie gott sei dank wieder ihr rotes jacket an.
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die worte bürgerrechte oder internet waren weder in der rede von müntefering, noch von steinmeier zu hören. über sicherheits- oder innenpolitik- wurde auch nicht geredet.
* * *
als die juso vorsitzende ans rednerpult tritt, wirkt sie nach all den alten männern und frauen wie ein kind. dass sie das (natürlich) nicht ist, fällt mir auf, als ich mir einbilde, dass frank-walter steinmeier ihr nach ihrem mündlichen antrag auf den arsch guckt.
* * *
die zeit der blogger auf parteitagen ist auch vorbei. die machen das jetzt alles selbst. fotos stellt die partei selbst auf flicker , natürlich nicht unter einer freien lizenz, sondern mit „All rights reserved“, soll ja nicht zu obama hier werden in deutschland.
aber selbst das twittern kluger beobachtungen übernehmen die politiker selbst.
die handvoll blogger die da waren, waren laut schild (nennt man hier „ID-karte“) alle pauschal von „spreeblick“. ausser mir, ich war einfach „blogger“. bei der akkreditierung musste man wie gehabt einen presseausweis vorzeigen oder zu der dame mit einem verwaschenen DIN-A4 ausdruck mit einer von bloggern-liste gehen. die journalisten hatten als ich nach steinmeiers rede aufwachte schon das ganze internet voll damit geschrieben, das steinmeier einen „harten richtungswahlkampf“ angekündigt hätte oder „zum kampf“ aufrief.
ich habe, im gegenteil zu den meisten journalisten, meinen laptop die ganze zeit zu gehabt, während die mulitaskend mit handy, laptop und reden-ausdrücken jonglierten und schrieben.
* * *
martin sonneborn trug skischuhe , während er vor laufender kamera versuchte politiker zu verarschen. sein grinsen ist kein ausdruck von amüsiertheit, sondern — so siehts zumindest aus — eingewachsen.
* * *
keiner der am podium etwas gesagt hat, hat versucht unterhaltsam oder humorvoll zu wirken. kein witz, kein gag, noch nichtmal auf kosten des politischen gegners. das ist sicher nix neues, aber es fiel mir sehr schmerzhaft auf.
heiner geissler hat der FAS auf die frage ob es angela merkel nicht ein wenig an charisma mangele geantwortet, dass wir in deutschland bereits ausreichend schlechte erfahrungen mit sogenannten charismatischen führerfiguren hatten. ich glaube ein politiker mit humor wäre eine echte marktlücke.
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hubertus heil will politik-verdruss mit politischer bildung bekämpfen.
* * *
thorsten schäfer-gümbel sieht von hinten sehr sympathisch aus.
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hat die SPD auf dem parteitag ein wahlprogramm oder ein regierungsprogramm „verabschiedet“? ich habs bis jetzt nicht gerafft. oder die redner nicht.
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auf der pressetribüne war die luft angenehm kühl und frisch. im plenum, unten im saal, war die luft heiss und dick und schweissgetränkt.
ich hab da eigentlich gar kein verständnis für
witzig und souverän
unfassbar, wie souverän und witzig david letterman auf kritik reagiert. ich fand das extrem sehenswert.
projekt18
andrea nahles im spiegel-interview:
Ich sage Ihnen: Die SPD will es wissen. Und Frank-Walter Steinmeier ganz besonders. Das wird der Parteitag am Wochenende zeigen.
da bin ix ja mal gespannt. ich werde mir das mal angucken, am sonntag, was die SPD eigentlich wissen will und was der parteitag so zeigen wird.
eins hat mir die einladung zum parteitag bereits gezeigt, die SPD-pressestelle legt besonderen wert auf das wohlergehen und die privatssphäre der journalisten:
„Keine Berichterstattung, keine Fotos über die Lounge und über die Personen, die sich dort aufhalten.“ Gemeint ist die Presselounge, inklusive Buffet.
wer geht denn sonst noch zum SPD-parteitag und berichtet dort nicht über die presselounge?
wer erkennt hier ein muster?

ich erkenne folgendes:
- jochen reinecke liest alle paar monate vor.
- jochen reinicke schickt einladungen immer nach 19 uhr ab (und — das erkennt man nicht — immer einen tag vorher).
die einladung für morgen lautet übrigens:
ich bin morgen, am samstag, um 21:00 uhr zu gast bei der lesebühne „lesershow“ und lese dort einige texte, die möglicherweise lustig sein könnten.
ort der veranstaltung mastul, liebenwalder str. 33.