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panikherz

felix schwenzel in gelesen

fried­rich küp­pers­busch meint in sei­ner re­zen­si­on auf spie­gel.de, das neue buch von ben­ja­min stuck­rad-bar­re sei „geil“. ich fin­de das wort geil eher un­geil und fand das buch ein­fach ziem­lich gut.

tat­säch­lich habe ich mir das buch, wie ein sehr gute fern­seh­se­rie, in an­der­t­alb bin­ge-sit­zun­gen, übers letz­te wo­chen­en­de, am stück rein­ge­zo­gen. eine staf­fel fern­seh­se­rie dau­ert so in etwa 8 bis 14 stun­den, je nach­dem wie vie­le fol­gen sie hat, das panik­herz zu le­sen, dau­ert, laut kind­le-app, ca. 14 stun­den. dass ich nun aus­ge­rech­net ben­ja­min stuck­rad-bar­re bin­ge-ge­le­sen habe und die an­de­ren, ganz si­cher sehr tol­len bü­cher auf mei­nem bü­cher­sta­pel, ne­ben dem bett, wei­ter un­ge­le­se­nes pa­pier sein las­se (so­gar bov’s un­zwei­fel­haft gran­dio­ses au­er­haus) hat­te zwei grün­de. ich hat­te ge­ra­de ein biss­chen die nase voll vom fern­seh­se­ri­en gu­cken und ich hat­te so eine ah­nung.

nach­dem ich die re­zen­si­on von küp­pers­busch und eine von he­le­ne he­ge­mann ge­le­sen hat­te, war ich si­cher, dass mir das buch sehr ge­fal­len wür­de. in bei­den re­zen­sio­nen wur­de klar, dass sich stuck­rad-bar­re in panik­herz, un­ter an­de­rem, mit pro­mi­nen­ten trifft und dar­über schreibt. das roch sehr an­ge­nehm nach deut­sches thea­ter, mei­nem lieb­lings­buch von stuck­rad-bar­re, in dem er iro­nisch di­stan­ziert, aber teil­wei­se mit viel herz und zu­nei­gung, über pro­mi­nen­te schreibt, die er be­sucht. 2010 gab’s dazu eine fort­set­zung, so steht’s zu­min­dest im klap­pen­text von auch deut­sche un­ter den op­fern. nur: auch deut­sche un­ter den op­fern hat­te mir da­mals (bis heu­te) nie­mand emp­foh­len.

nicht dass ich auf das ur­teil oder emp­feh­lun­gen von he­le­ne he­ge­mann be­son­ders viel ge­ben wür­de, aber ich muss nach­träg­lich sa­gen, sie hat in ih­rer re­zen­si­on den geist des bu­ches ziem­lich gut auf den punkt ge­bracht:

Wo nor­ma­ler­wei­se ef­fekt­ha­sche­ri­sche Aus­füh­run­gen dar­über er­fol­gen, wie schlimm al­les ist und wie ernst man sich trotz­dem nimmt, wird hier al­les, was so schlimm ist, mit ei­ner selbst­iro­ni­schen, to­tal kla­ren und un­zy­ni­schen Trau­rig­keit ab­ge­ar­bei­tet, die rüh­rend und ab­schre­ckend und er­hel­lend und in ih­rer, ja, Lie­bens­wür­dig­keit wirk­lich, wirk­lich wich­tig ist.

be­vor ich panik­herz ge­le­sen hat­te, hielt ich die auf­ge­regt­heit ih­rer re­zen­si­on um den „Teu­fels­kreis von De­pres­si­on und Selbst­me­di­ka­men­ti­on“, das „ganz un­ten an­kom­men“ und die to­des­nä­he von ben­ja­min stuck­rad-bar­re für über­trie­ben und er­war­te­te im buch, ne­ben den be­geg­nun­gen mit pro­mi­nen­ten, eher eine öde, mor­gen­ma­ga­zi­ni­ge dro­gen­beich­te: „och ja, hab halt n biss­chen viel ge­kokst, hab mir ein­mal bei­na­he auf die maß­schu­he ge­kotzt und am ende muss­te ich dann die vil­la im tes­sin ver­klop­pen.“

na­tür­lich hat­te he­ge­mann recht (sie hat­te das buch ja auch schon ge­le­sen) und ich nicht, mit mei­nen be­scheu­er­ten vor­ur­tei­len. die „selbst­iro­ni­sche, to­tal kla­re und un­zy­ni­sche“ art, mit der ben­ja­min stuck­rad-bar­re die jah­re sei­ner ma­ni­schen sucht er­zählt, ging mir wirk­lich nah. ob­wohl sich stuck­rad-bar­re je­den pa­thos in sei­ner er­zäh­lung ver­kneift, aus­ser bei sei­nem hem­mungs­lo­sen en­thu­si­as­mus und fan­tum, vor al­lem ge­gen­über udo lin­den­berg, ha­ben mich man­che tei­le der er­zäh­lung tief be­rührt und ge­rührt.

für mich am er­staun­lichs­ten war, wie nach­voll­zieh­bar das al­les er­zählt ist, auch wenn mir der le­bens­til von ben­ja­min stuck­rad-bar­re frem­der nicht sein könn­te. die cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, die er am hel­den sei­ner au­to­bio­gra­phie her­aus­ar­bei­tet, die irre ei­tel­keit, das be­ses­se­ne ach­ten auf äus­ser­lich­kei­ten und kla­mot­ten, sei­ne tie­fe lie­be zur mu­sik, sei­ne (wahr­schein­lich gut ent­lohn­te) zu­nei­gung zum ver­kack­ten sprin­ger-ver­lag und sei­ne über­bor­den­den emo­tio­nen und ek­sta­tik — da­mit kann ich in mei­nem le­ben we­nig an­fan­gen. mei­ne se­ro­to­nin-pro­duk­ti­on reicht of­fen­bar aus, um mich in ei­nen dau­er­zu­stand brä­si­ger selbst­zu­frie­den­heit zu ver­set­zen.

aber ich er­kann­te auch ge­mein­sam­kei­ten. udo lin­den­berg fand ich im­mer ganz lus­tig, über den song­text von re­na­te von stich konn­te ich mich da­mals ka­putt­la­chen, stark wie zwei hab ich mir mehr oder we­ni­ger am er­schei­nungs­tag ge­holt und cel­lo kann ich stun­den­lang in dau­er­schlei­fe hö­ren. und, jetzt kommts raus, ich will so schrei­ben kön­nen wie ben­ja­min stuck­rad-bar­re. ich war nie ein aus­ge­spro­che­ner fan von ben­ja­min stuck­rad-bar­re, ich hab we­nig bü­cher von ihm ge­le­sen und noch we­ni­ger gut ge­fun­den, ich fand all die fern­seh­auf­trit­te, die ich von ihm sah, doof, aber das was er in deut­sches thea­ter und jetzt in panik­herz ver­an­stal­tet hat, das nö­tigt mir ei­fer­sucht und be­wun­de­rung ab. ben­ja­min stuck­rad-bar­re be­schreibt die­ses ge­fühl in panik­herz auf den punkt ge­nau:

Und dann kün­dig­te [Ha­rald Schmidt] den Gast Adam Green an, des­sen ödes Song­wri­terschluf­fi­tum ge­ra­de der hei­ße Scheiß war, oben­drein hat­te er ein Ge­dicht­bänd­lein bei SUHR­KAMP ver­öf­fent­licht und war also der Hips­ter der Sai­son, ekel­haft — be­zie­hungs­wei­se scha­de, dass ich selbst das nicht war.

ich be­wun­de­re auf­rich­tig die fä­hig­keit von ben­ja­min stuck­rad-bar­re, si­tua­tio­nen und men­schen gleich­zei­tig glas­klar und am­bi­va­lent zu be­schrei­ben, iro­ni­sche di­stanz mit auf­rich­ti­ger be­wun­de­rung zu kom­bi­nie­ren. er schafft es, as­so­zia­ti­ons­ket­ten und me­ta­ebe­nen in luf­ti­ge hö­hen zu schrau­ben und doch im­mer wie­der hei­le un­ten an­zu­kom­men.

ei­ner­seits weil die kind­le-app, mit der ich das buch vor al­lem auf mei­nem lap­top ge­le­sen habe, kein copy und pas­te er­laubt und an­de­rer­seits weil mir vie­le pas­sa­gen im buch so irre gut ge­fie­len, habe ich wäh­rend des le­sens, das hal­be buch un­ge­fähr zwan­zig­tau­send zei­chen ab­ge­tippt. ich bil­de mir ein, dass ich so dem text ein biss­chen nä­her ge­kom­men bin, ein biss­chen so, wie ich im­mer die quell­tex­te von web­sei­ten oder an­wen­dun­gen lese, um zu ver­ste­hen wie man sol­che sa­chen baut.

na­tür­lich ist das eine völ­lig ab­sur­de hoff­nung durchs le­sen oder ab­schrei­ben oder in­ten­si­ves stu­di­um ei­nes frem­den schreib­stils, selbst bes­ser schrei­ben zu ler­nen, aber dass wir alle auf den schul­tern von (grös­se­ren oder klei­ne­ren) gi­gan­ten ste­hen hat ben­ja­min stuck­rad-bar­re selbst wun­der­bar be­schrie­ben:

So wie ich di­rekt nach dem Ab­itur zur Mu­sik­mes­se »Pop­komm« nach Köln ge­fah­ren war mit hoch­stap­le­ri­schen Vi­si­ten­kar­ten, die ich bei Kar­stadt in ei­nem Au­to­ma­ten an­ge­fer­tigt hat­te […], und durch Nach­ah­mung vor­ge­fun­de­ner Sprech- und Ver­hal­tens­wei­sen und Ak­zen­tu­ie­rung vor­han­de­ner PER­SÖN­LICH­KEITS­MERK­MA­LE dann ein­fach Mu­sik­jour­na­list wur­de; durch Hö­ren sehr al­ter Plat­ten und Bier­trin­ken: Rol­ling-Stone-Re­dak­teur; durch eng sit­zen­de Po­ly­es­terober­tei­le und gute Lau­ne: Plat­ten­fir­men­mit­ar­bei­ter; durch Ka­putt­heits­mit­tei­lungs­drang und Welt­erschöp­fung: Buch­au­tor; durch Zu­kurz­ge­kom­me­nen-Sar­kas­mus: Schmidt-Wit­ze­schrei­ber; durch Licht­sucht: Fern­seh­depp — und, mög­li­cher­wei­se, durch all das zu­sam­men schließ­lich: Ess­ge­stör­ter.

ich be­wun­de­re die stän­dig auf­flam­men­de scharf­sin­nig­keit von ben­ja­min stuck­rad-bar­re, beim be­schrei­ben von all­tags­si­tua­tio­nen, ich be­ob­ach­te­te mich beim le­sen öf­ter beim in­ner­li­chen ni­cken und zu­stim­men, als beim kopf­schüt­teln und „du ober­fläch­li­cher depp“-den­ken. auch wenn ben­ja­min stuck­rad-bar­re zum ende des bu­ches et­was ins schwa­dro­nie­ren ge­rät und stel­len­wei­se et­was arg viel über mu­sik tönt, das buch ist so voll­ge­stopft mit klu­gen all­tags­be­ob­ach­tun­gen, lie­be­vol­len par­odien und welt­deu­tun­gen, dass es mir mög­li­cher­wei­se noch jah­re­lang als zi­tat­schatz­kam­mer die­nen wird.

Wenn uns Men­schen ir­gend­wer oder ir­gend­was — sei es JE­NES HÖ­HE­RE WE­SEN oder auch nur ein Sa­tel­lit — zu­schaut hier un­ten, muss doch den­ken, wir spin­nen. Manch­mal schaue ich mir Amei­sen an, wie die da auf ei­nem hal­ben Qua­drat­me­ter stun­den­lang vor sich hin schuf­ten, ex­trem di­zi­spli­niert und of­fen­kun­dig von kei­nem Zwei­fel an­ge­krankt, die­ses Sand­korn, das muss jetzt aber so was von drin­gend nach da drü­ben trans­por­tiert wer­den und im­mer so wei­ter — und dann den­ke ich, das ist doch voll­kom­men irre, wozu denn die Hek­tik, war­um so be­flis­sen, was sind denn das für Prio­ri­tä­ten? We­nigs­tens nicht ganz so be­ei­len müss­tet ihr euch! Das mit dem Sand­korn — hat das nicht, auf den Wel­ten­lauf um­ge­rech­net, even­tu­ell auch Zeit bis mor­gen, über­mor­gen?

ne­ben dem schreib­stil- und zi­ta­te-berg­bau dien­te mir das buch aber auch als ver­tie­fung von ah­nun­gen und längst vor­han­de­nen über­zeu­gun­gen. es zeigt, vor al­lem im ers­ten teil des bu­ches, wie wich­tig, und wie schwer es ist, lei­den­schaf­ten zu ent­wi­ckeln. wir brau­chen da­für men­to­ren, leh­rer, freun­de, zu­fäl­le und mit­un­ter zeit. es ist für alle be­tei­lig­ten nicht im­mer ganz leicht die qua­li­tä­ten oder den nut­zen der lei­den­schaf­ten zu er­ken­nen, oder sie mit den er­war­tun­gen ans le­ben über­ein­zu­brin­gen. das buch zeigt aber auch, wie wich­tig es ist, dass es leu­te gibt die sich an den rand be­we­gen, die die li­ni­en über­schrei­ten, die die meis­ten nicht über­schrei­ten wol­len oder kön­nen und von dort be­rich­ten. wenn die, die die­se gren­zen über­schrei­ten, auch noch an­stän­dig schrei­ben, be­rich­ten oder mu­si­zie­ren kön­nen und uns von ih­ren er­fah­run­gen so be­rich­ten kön­nen, dass wir auf ir­gend­ei­ner ebe­ne et­was da­von re­zi­pie­ren kön­nen, ha­ben sie ei­nen teil der mis­si­on er­füllt. der an­de­re teil der mis­si­on ist na­tür­lich, sich selbst wie­der zu fan­gen, zu ih­ren ur­sprün­gen zu­rück­zu­keh­ren, oder wie ben­ja­min stuck­rad-bar­re das in ei­nem an­ge­neh­men an­flug von pa­thos ganz ein­fach sagt: „nach hau­se kom­men“. ich fin­de, bei­des ist ben­ja­min stuck­rad-bar­re ziem­lich gut ge­lun­gen.


zwei le­se­pro­ben bei sprin­ger:

re­zen­sio­nen:

(4/5)

pullern im stehn

felix schwenzel in gelesen

gross­ar­ti­ges buch. durch­zo­gen von sehr sub­ti­ler wit­zel­sucht und scho­nungs­lo­ser of­fen­heit, mit der sich fil teil­wei­se so lä­cher­lich macht, dass man die ge­schich­ten gar nicht glau­ben will, es aber trotz­dem tut. ich per­sön­lich glau­be ihm tat­säch­lich al­les, was er in das buch ge­schrie­ben hat, vor al­lem weil ich mich in sehr vie­len der ab­sur­den si­tua­tio­nen wie­der­erken­ne. al­lein da­für, dass er der welt (mir) in er­in­ne­rung ruft welch ver­lo­re­nes und ab­sur­des welt- und men­schen­bild in den köp­fen von pu­ber­tie­ren­den men­schen wab­bert, ge­bührt fil dank­bar­keit — und von mir aus auch gros­se li­te­ra­ri­sche an­er­ken­nung.

die ge­hei­men ta­ge­bü­cher des adri­an mole wa­ren in die­sem gen­re ziem­lich wit­zi­ge vor­rei­ter, aber bei fil ist das al­les noch­mal zeh­mal wit­zi­ger und er­schüt­tern­der, weil ich mich viel bes­ser mit der haupt­fi­gur iden­ti­fi­zie­ren konn­te als mit adri­an mole. die le­bens­ge­schich­te von fil ist al­ler­dings auch we­gen der vie­len ein­ge­wo­be­nen iro­nie- und me­ta­ebe­nen um ein viel­fa­ches wit­zi­ger — viel­leicht aber auch dop­pelt so schwer ver­dau­lich. aus­ser fil kön­nen das nicht vie­le: ei­nen text bis zu bers­ten mit ste­reo­ty­pen und dumm­heit voll­pa­cken und dann al­les bis zur un­kennt­lich­keit ver­rüh­ren, mit me­ta­ebe­nen und di­stanz wür­zen und zu ei­nem gros­sen le­se­ver­gnü­gen ma­chen.

es gibt we­nig bü­cher bei de­nen ich beim le­sen laut la­che, bei „pul­lern im stehn“ muss­te ich das alle paar sei­ten. al­ler­dings funk­tio­nie­ren die stel­len die ich mir im ebook mar­kiert habe aus dem kon­text des bu­ches ge­ris­sen über­haupt nicht mehr. ge­nau­so wie üb­ri­gens die live-shows von fil nicht auf­ge­zeich­net oder auf you­tube funk­tio­nie­ren. man muss ich die auf­trit­te von fil schon sel­ber an­se­hen — und das buch eben auch selbst le­sen. ich fin­de das lohnt sich, ich fands bril­li­ant.

[ama­zon-wer­be­link] pul­lern im stehn: die ge­schich­te mei­ner ju­gend von fil.


john­ny haeus­ler hat vor ein paar wo­chen in fluxfm spree­blick mit fil über das buch ge­spro­chen. lohnt sich auch, das an­zu­hö­ren.


die bei­fah­re­rin mein­te eben zu mir:

ge­nia­les buch — müs­sen alle le­sen! das ist ein meis­ter­werk — und auch wenn das kein kom­pli­ment ist: man merkt dem buch die vie­le ar­beit an, die er da rein ge­steckt hat.


„Riesen-Scheiss-Pleite“

felix schwenzel

in der dank­sa­gung am ende sei­nes neu­en bu­ches be­schreibt an­drew keen, wie ihn der at­lan­tic-books-chef toby mun­dy über­re­de­te ein buch zu schrei­ben, in dem er sei­ne „Über­le­gun­gen zum In­ter­net“ zu­sam­men­fas­sen sol­le:

»Es ist ganz ein­fach«, ver­sprach er mir. »Schreib ein­fach al­les auf, was du über das In­ter­net denkst.«

keen hat das tat­säch­lich ge­macht und man kann das auch re­la­tiv kurz zu­sam­men­fas­sen: er denkt über das in­ter­net nicht viel gu­tes. das in­ter­net, schreibt er ein­mal in ei­nem ne­ben­satz, habe zwar ein paar gute sei­ten, sei un­term strich aber eine „Rie­sen-Scheiss-Plei­te“. die „Rie­sen-Scheiss-Plei­te“ ist ei­gent­lich ein zi­tat, das er in ka­pi­tel 8 ei­nem „un­ge­kämm­ten und un­ra­sier­ten Jun­gen“, der auf ei­ner kon­fer­nez ne­ben ihm sass, in den mund legt. im ori­gi­nal lau­te­te das zi­tat wahr­schein­lich „epic fuck­ing fail“. keen greift die­ses zi­tat auf den fol­gen­den sei­ten (oder im buch-pro­mo-ma­te­ri­al) wie­der auf, um zu be­schrei­ben was er über das in­ter­net denkt.

keen woll­te das buch ur­sprüng­lich auch „epic fail“ nen­nen, nann­te es dann im ori­gi­nal dann aber „the in­ter­net is not the ans­wer“. auf deutsch ent­schied sich die deut­sche ver­lags-an­stalt dann für den epi­schen ti­tel: „Das di­gi­ta­le De­ba­kel: War­um das In­ter­net ge­schei­tert ist - und wie wir es ret­ten kön­nen“.

der deut­sche ti­tel ist ver­ständ­li­cher­wei­se et­was auf ran­da­le ge­bürs­tet. nach der ver­lei­hung des frie­dens­prei­ses des deut­schen buch­han­dels an ja­ron la­nier er­war­tet der ver­lag of­fen­bar zu recht, dass die in­ter­net-kri­ti­schen deut­schen in­tel­lek­tu­el­len und feuil­le­tons neue nah­rung brau­chen. um ganz si­cher zu ge­hen, dass die ziel­grup­pe das buch auch als in­ter­net­kri­tisch er­kennt, hat man das buch dann gleich auf dem co­ver in 14 wor­ten zu­sam­men­ge­fasst.

auch beim um­schlag­text über­trieb man zur si­cher­heit gleich ein biss­chen und sagt über keen:

Er lehr­te an meh­re­ren US-ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten und grün­de­te 1995 ein er­folg­rei­ches In­ter­net­un­ter­neh­men im Si­li­con Val­ley.

im buch schreibt keen auf sei­te 226 das ge­gen­teil:

Wäh­rend Ka­l­a­nick in den Neun­zi­gern mit Scour schei­ter­te, schei­ter­te ich mit mei­nem ei­ge­nen Mu­sik-Start-Up Au­dio­Ca­fe.


um die ein­lei­tung von keens buch zu le­sen, habe ich meh­re­re an­läu­fe ge­braucht. tex­te in de­nen mehr rum­be­haup­tet als ar­gu­men­tiert wird, ver­lie­ren ganz schnell mein in­ter­es­se. nach­dem er 5 sei­ten auf mi­cha­el und xochi birch und de­ren bat­tery-club rum­hackt, füllt er die rest­li­chen 7 ein­lei­tungs­sei­ten mit all­ge­mei­nem in­ter­net-ge­mä­kel, das der ver­lag im pro­mo­ti­on-ma­te­ri­al auf die­sen ab­satz zu­sam­men­ge­dampft hat:

Nicht die Ge­sell­schaft pro­fi­tiert von ei­ner „hy­per­ver­netz­ten“ Welt, son­dern eine eli­tä­re Grup­pe jun­ger wei­ßer Män­ner. Was ih­nen im­mer mehr Reich­tum be­schert, macht uns in vie­ler­lei Hin­sicht är­mer. Das In­ter­net ver­nich­tet Ar­beits­plät­ze, un­ter­bin­det den Wett­be­werb und be­för­dert In­to­le­ranz und Voy­eu­ris­mus. Es ist kein Ort der Frei­heit, son­dern ein Über­wa­chungs­ap­pa­rat, dem wir kos­ten- und be­den­ken­los zu­ar­bei­ten. Kurz­um: Das In­ter­net ist ein wirt­schaft­li­ches, kul­tu­rel­les und ge­sell­schaft­li­ches De­ba­kel.

ganz ein­fach: schreib ein­fach auf was du über das in­ter­net denkst — zack, ist die ein­lei­tung fer­tig!

ich habe keen ein paar mal live er­lebt und ge­se­hen und fand ihn mit sei­ner schnei­den­den stim­me und bril­li­an­ten rhe­to­rik im­mer sehr über­zeu­gend. ei­ner sei­ner vor­trä­ge auf der next-kon­fe­renz im jahr 2009 hat mich mass­geb­lich zu mei­nem vor­trag war­um das in­ter­net scheis­se ist in­spi­riert. aber ge­ra­de weil ich keen schät­ze, hat mich die feh­len­de tie­fe der ar­gu­men­ta­ti­on in der ein­lei­tung be­son­ders ge­nervt.

die fol­gen­den ka­pi­tel kom­men ei­ner ana­ly­se dann schon et­was nä­her. keen zeich­net die ent­ste­hung des in­ter­nets und des world wide webs nach und hält sich mit dem, was er über das in­ter­net denkt, ein biss­chen zu­rück. er zi­tiert freund und feind und ir­gend­wann beim le­sen wird ei­nem klar, dass keen ei­gent­lich gar nicht das in­ter­net scheis­se fin­det, son­dern den ka­pi­ta­lis­mus.

Die Spiel­re­geln der New Eco­no­my sind da­her die­sel­ben wie die der Old Eco­no­my — nur mit Auf­putsch­mit­teln.

Si­mon Head vom In­sti­tu­te for Pu­plic Know­ledge an der New York Uni­ver­si­ty er­klärt, da­mit sei Ama­zon zu­sam­men mit Wal-Mart »das un­ver­schämt rück­sichts­lo­ses­te Un­ter­neh­men der Ver­ei­nig­ten Staa­ten«.

im prin­zip er­füllt keen also sa­scha lo­bos for­de­rung, kei­nen quark zu er­zäh­len:

Be­schleu­ni­gungs­kri­tik ohne Ka­pi­ta­lis­mus­kri­tik ist Quark.

tat­säch­lich dif­fe­ren­ziert an­drew keen in sei­nen ana­ly­se-ka­pi­teln auch ge­le­gent­lich und räumt ein, dass die pro­ble­me die das in­ter­net ver­ur­sacht auch schon in der welt ohne in­ter­net exis­tier­ten. aber lei­der ver­ein­facht er mit­un­ter auch so sehr, dass das bild, das er zeich­net, mir stel­len­wei­se sehr ver­zerrt er­scheint.

in keens welt­bild ist das in­ter­net am nie­der­gang der kul­tur schuld. sei­ne lieb­lings­bei­spie­le sind der buch­han­del und die mu­sik­bran­che. er be­klagt sich so­gar dar­über, dass es kaum noch vi­nyl-plat­ten gebe und sieht die schuld im nie­der­gang der mu­sik­in­dus­trie nicht nur in pi­ra­te­rie, der „Mo­no­po­li­sie­rung des On­line-Mu­sik­markts durch An­bie­ter wie iTu­nes und Ama­zon“ (und spo­ti­fy und you­tube und sound­cloud [sic!]), son­dern auch in ei­ner von ihm per­sön­lich aus­ge­dach­ten neu­en ge­fahr, der „Ty­ran­nei der über­gros­sen Aus­wahl“. stö­ren­de fak­ten lässt keen ein­fach weg. bei ihm liest sich der nie­der­gang der buch­bran­che wie eine lo­gi­sche fol­ge von ama­zon:

Im Jahr 2014 gab es rund 3440 im Bör­sen­ver­ein des Deut­schen Buch­han­dels or­ga­ni­sier­te Buch­lä­den und da­mit fast ein Drit­tel we­ni­ger als noch 1999.

keen ver­liert kein wort dar­über, dass ende der neun­zi­ger jah­re ein bru­ta­ler kon­zen­tra­ti­ons­pro­zess im buch­han­del be­gann, bei dem fi­lia­lis­ten wie tha­lia oder hu­gen­du­bel ag­gres­siv ex­pan­dier­ten. tors­ten mei­ni­cke, ein buch­häd­ler aus ham­burg, er­in­ner­te im deutsch­land­funk dar­an, wel­che pro­ble­me in den neun­zi­ger jah­ren auch er­kenn­bar wa­ren:

Es sind zu vie­le Bü­cher, wir müs­sen we­ni­ger pro­du­zie­ren. Mit dem Er­geb­nis, dass bei der nächs­ten Herbst­vor­schau die Ti­tel­zahl der Neu­erschei­nun­gen noch ein­mal er­höht wor­den ist. Das hat sehr lan­ge ge­dau­ert, bis ein paar Sa­chen erst­mals zu­rück­ge­fah­ren wur­den.

ganz ohne die hil­fe des in­ter­nets kre­ierte die buch­bran­che eine „Ty­ran­nei der über­gros­sen Aus­wahl“; 1969 lag die an­zahl der neu­erschei­nun­gen und neu­auf­la­gen bei 35.577, um 40 jah­re spä­ter, 2007 und 2011, auf re­kord­wer­te von über 96.000 zu stei­gen. kon­zen­tra­ti­ons­pro­zes­se, „eine Fo­kus­sie­rung des Ge­schäfts auf im­mer we­ni­ger und schnell­le­bi­ge­re Ti­tel“ (noch­mal deutsch­land­funk) und vie­le an­de­re fak­to­ren, sor­gen da­für, dass sich die buch­bran­che seit jahr­zehn­ten in un­ru­hi­gen ge­wäs­sern be­fin­det — aber für keen ist die ant­wort ganz ein­fach: ama­zon, in­ter­net — die sind schuld.

„Mir per­sön­lich ge­fällt das, was ich da sehe, nicht.“ an­drew keen über in­sta­gram, aber ei­gent­lich über das in­ter­net.

keen schreckt auch vor un­sin­ni­gen be­haup­tun­gen nicht zu­rück. ba­sie­rend auf sei­ner un­be­grün­de­ten, ein­fach in den raum ge­stell­ten the­se, dass „das pu­bli­kum“ schlech­ter in­for­miert denn je sei, ver­steigt er sich zu der ge­wag­ten the­se, dass frü­her™, als es noch me­di­en gab die „un­ein­ge­schränkt ver­trau­ens­wür­dig“ wa­ren, so­gar über krie­ge wahr­heits­ge­mäss, ob­jek­tiv und ohne jede pro­pa­gan­da be­rich­tet wur­de. das sei jetzt „an­ge­sichts der Macht und Po­pu­la­ri­tät der so­zia­len Me­di­en“ vor­bei. plötz­lich, we­gen des in­ter­nets, blei­be die wahr­heit bei der kriegs­be­richt­erstat­tung auf der stre­cke.

die­se ver­ein­fa­chun­gen, zu­spit­zun­gen, ein­sei­tig­kei­ten und blöd­sin­nig­kei­ten, die sich durch das gan­ze buch zie­hen, rau­ben keens ana­ly­se ei­ni­ges an glaub­wür­dig­keit und durch­schlag­kraft. das ist scha­de, denn vie­les an sei­ner ana­ly­se ist na­tür­lich rich­tig und dis­kus­si­ons­wür­dig.

die feh­len­de tie­fe der ana­ly­se und die teil­wei­se ge­ra­de­zu schlam­pi­ge an­ein­an­der­rei­hung von be­ge­ben­hei­ten, zi­ta­ten, be­schimp­fun­gen und stei­len the­sen ist die gröss­te ent­täu­chung an keens buch. viel­leicht hat sich keen aber auch ein­fach nicht ge­traut, das gros­se fass auf­zu­ma­chen, näm­lich statt in­ter­net­kri­tik ge­sell­schafts­kri­tik zu üben. so­gar sei­ne hin und wie­der durch­schei­nen­de ka­pi­ta­lis­mus­kri­tik re­la­ti­viert er mehr­fach, of­fen­bar um das fass ge­schlos­sen zu hal­ten. er kon­zen­triert sich lie­ber dar­auf, „jun­ge wei­ße“ in­ter­net­fuz­zis wie mark zu­cker­berg, tra­vis ka­l­a­nick, eric schmidt oder ste­ve jobs [sic!] (zu recht) an­zu­pran­gern — aber ver­zich­tet dar­auf, die sel­ben struk­tu­rel­len miss­stän­de im fi­nanz­sek­tor, jus­tiz­sys­tem oder glo­ba­len han­del auf­zu­zei­gen. flap­sig und ver­ein­fa­chend aus­ge­drückt, für an­drew keen ist das in­ter­net nicht scheis­se, weil die welt scheis­se ist, son­dern das in­ter­net ist für ihn scheis­se, weil das in­ter­net scheis­se ist und al­les zer­stört.

teil­wei­se sind keens aus­las­sun­gen auch frap­pie­rend. über mi­cro­soft oder den ehe­mals eli­tä­ren „jun­gen wei­ßen Mann“ bill gates ver­liert keen nicht ein ein­zi­ges ne­ga­ti­ves wort. wenn es um das böse geht, schreibt er im­mer von der drei­er­kom­bi­na­ti­on goog­le, ap­ple, face­book — manch­mal er­gänzt von uber, in­sta­gram und twit­ter. und wäh­rend er sei­ten­wei­se über jun­ge, weis­se, gross­kot­zi­ge män­ner wie zu­cker­berg, ke­vin systrom, lar­ry page, tra­vis ka­l­a­nick schimpft, die sich ihre je­weils un­ge­fähr 30 mil­li­ar­den dol­lar pri­vat­ver­mö­gen aus „un­se­rer Ar­beit, un­se­rer Pro­duk­ti­vi­tät“ zu­sam­men­ge­klaubt hät­ten, er­wähnt er men­schen wie craig new­mark gar nicht. der hat zwar auch, wie die vor­her ge­nann­ten, eine gan­ze bran­che zer­stört, aber sich dar­an nicht „gross­kot­zig“ be­rei­chert. das passt keen dann ein­fach nicht ins nar­ra­tiv von der „ei­nen eli­tä­re Grup­pe jun­ger wei­ßer Män­ner“ und so lässt er es ein­fach aus.

keen re­det auch un­ab­läs­sig vom nie­der­gang der kul­tur, vor al­lem we­gen des von ihm fest­ge­stell­ten ab­sur­den kult um ama­teu­re, der „Ty­ran­nei der über­gros­sen Aus­wahl“, der pi­ra­te­rie und kos­ten­lo­s­kul­tur, ver­gisst aber zu er­wäh­nen, dass der­zeit alle welt zeu­ge ei­ner re­nais­sance des qua­li­täts-fern­se­hens wird, die nicht un­we­sent­lich durch die ver­net­zung und das in­ter­net be­feu­ert wird. keen bie­tet aman­da pal­mer als zeu­gin ge­gen die schlech­te be­zah­lung von künst­lern durch spo­ti­fy auf, er­wähnt aber nicht, dass sie eine gros­se ver­fech­te­rin der „kos­ten­los-“ und „sha­ring-kul­tur“ ist, die keen so sehr ver­ach­tet und als eu­phe­mis­men für pi­ra­te­rie ver­steht.

aman­da pal­mer:

Free Di­gi­tal Con­tent (and Tits) for Ever­y­bo­dy.

an­drew keen:

»Kos­ten­lo­se« In­hal­te ha­ben in Wirk­lich­keit ei­nen un­be­zahl­ba­ren Preis. Und der Er­folg des In­ter­nets ist in Wirk­lich­keit eine rie­si­ge Plei­te. Eine Rie­sen-Scheiß-Plei­te.

noch­mal zum pro­mo-ma­te­ri­al des ver­lags. dort heisst es:

An­drew Keen lie­fert eine schar­fe, poin­tier­te Ana­ly­se un­se­rer ver­netz­ten Welt und zeigt, was sich än­dern muss, um ein end­gül­ti­ges Schei­tern des In­ter­nets zu ver­hin­dern.

tat­säch­lich ver­sucht keen nach 248 sei­ten die ant­wort (auf 22 ½ sei­ten) dar­auf zu ge­ben, wie man das schei­tern des in­ter­nets ver­hin­dern könn­te. auch das kann man flott zu­sam­men­fas­sen: re­gu­lie­rung, glo­ba­le steu­ern für olig­ar­chen und ei­nen neu­en ge­sell­schafts­ver­trag an den sich alle hal­ten:

Die Ant­wort ist, das In­ter­net mit Ge­set­zen und Ver­ord­nun­gen aus sei­ner Dau­er­pu­ber­tät zu ho­len.

»Was für eine Ge­sell­schaft schaf­fen wir hier ei­gent­lich?«, fragt Jeff Jar­vis. Die­se Fra­ge soll­te am An­fang je­des Ge­sprächs über das In­ter­net ste­hen.

das ist nicht falsch, aber auch irre un­kon­kret. im­mer­hin ha­ben wir das jahr 2015 und nicht nur das in­ter­net soll­te aus sei­ner „Dau­er­pu­ber­tät“, in der es sich zwei­fel­los be­fin­det, ge­holt wer­den, auch die in­ter­net­kri­tik soll­te mitt­ler­wei­le et­was wei­ter sein, als le­dig­lich „re­gu­lie­rung“ zu ru­fen oder auf re­gie­run­gen zu hof­fen, die „Goog­le die Stirn bie­ten“. die­se for­de­run­gen er­hob an­drew keen schon, als ich ihn 2009 erst­mals sah. dass es auch kon­kre­ter und klü­ger geht, zeigt üb­ri­gens ein an­de­res jüngst er­schie­nes buch: mi­cha­el see­manns „das neue spiel“. sei­ne ana­ly­se ist der von keen sehr ähn­lich (al­ler­dings im ge­gen­teil zu keen, ohne häme, ge­spött und ad-ho­mi­nem-an­grif­fe auf­ge­schrie­ben), aber sei­ne „10 re­geln für das neue spiel“ sind kon­kre­ter, klü­ger und dif­fe­ren­zier­ter als keens gan­zes buch. aber das, und stra­te­gien für den um­gang mit dem in­ter­net, sind das the­ma ei­nes ei­ge­nen texts, der wahr­schein­lich an­fang fe­bru­ar im in­ter­net er­scheint.


nach­dem ich das buch ge­le­sen habe, fiel mir ein bes­se­rer, pas­sen­de­rer um­schlag­text für an­drew keens buch ein als das ori­gi­nal:

Das In­ter­net hat ver­sagt. Trotz sei­ner of­fe­nen, de­zen­tra­len Struk­tur hat es uns nicht mehr Chan­cen­gleich­heit und Viel­falt ge­bracht, im Ge­gen­teil: Es ver­grö­ßert die wirt­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Un­gleich­heit. Der Gra­ben zwi­schen zwi­schen ei­ner Hand­voll jun­ger wei­ßer Män­ner, die an Reich­tum und Ein­fluss ge­win­nen, und dem Rest der Ge­sell­schaft wird im­mer grö­ßer. Bis­sig und poin­tiert rech­net Si­li­con-Val­ley-In­si­der An­drew keen mit un­se­rer ver­netz­ten Ge­sell­schaft ab und for­dert uns auf, staat­li­cher Un­tä­tig­keit und In­ter­net­mo­no­po­lis­ten wie Goog­le und Ama­zon den Kampf an­zu­sa­gen.

das ist mein vor­schlag:

Das In­ter­net ist nicht ge­schei­tert, wir ha­ben nur noch nicht die rich­ti­gen Stra­te­gien ent­wi­ckelt da­mit um­zu­ge­hen. An­drew Keen hat­te sich fest vor­ge­nom­men sich ein paar Stra­te­gien aus­zu­den­ken, es aber in der kür­ze der Zeit bis zur Druck­le­gung nicht ge­schafft sie aus­zu­for­mu­lie­ren. Da­für hat er bis­sig und poin­tiert auf­ge­schrie­ben, wie das In­ter­net ent­stan­den ist und was er über das In­ter­net denkt.


an­de­re über das buch:

youtube-video laden, info, direktlink

ich habe das buch vom ver­lag als re­zen­si­ons­exem­plar (als ge­bun­de­ne aus­ga­be) zur ver­fü­gung ge­stellt be­kom­men.


links vom 22.06.2014

felix schwenzel

  fuenf­bue­cher.de: Fünf Bü­cher von Fe­lix Schwen­zel   #

mei­ne fünf lieb­lings­bü­cher bei fuenf­bue­cher.de.

  ign.com: Do­mi­ni­on: "Pi­lot" Re­view   #

raum für ent­wick­lung ist da. die pi­lot-fol­ge hat mich zwar nicht irre neu­gie­rig ge­macht, vie­les an der ge­schich­te war so ste­reo­typ und vor­her­seh­bar wie in ei­ner talk­show, aber die nächs­ten paar fol­gen wer­de ich mir wohl noch an­se­hen, be­vor ich mich mög­li­cher­wei­se ge­lang­weilt an­de­ren her­aus­for­de­run­gen se­ri­en wid­me.

  in­sta­gram.com/glas­sof­whis­key: Hands down the grea­test pho­to of all time.   #

hihi.


max schrems, kämpf um deine daten

felix schwenzel

max schrems ist zu et­was be­rühmt­heit ge­langt, weil er ei­ner der ers­ten men­schen der welt war, der face­book nerv­te (zi­tat sz):

Der Mann, der Face­book nervt
Der Ös­ter­rei­cher Max Schrems woll­te wis­sen, wel­che In­for­ma­tio­nen Face­book über ihn spei­chert - und lös­te da­mit das größ­te Da­ten­schutz­ver­fah­ren in der Ge­schich­te des Un­ter­neh­mens aus. (auf sued­de­usch­te.de le­sen)

in ei­ner der letz­ten wo­chen kam sein buch mit dem ti­tel „kämpf um dei­ne da­ten“ raus. ich habs kos­ten­los zu­ge­schickt be­kom­men und ge­le­sen.

der ver­lag sieht das buch wie folgt:

Jetzt legt der Stu­dent mit der Gabe, den Da­ten­wahn­sinn so ein­fach zu erk­lären wie Ja­mie Oli­ver das Ko­chen, sein Wis­sen und sei­ne Er­fah­run­gen aus ers­ter Hand als Buch vor.
Ohne Pa­nik­ma­che und mit un­ge­bro­che­ner Lust an Tech­no­lo­gie, erk­lärt er, wie Kon­zer­ne ihre Kun­den durch­leuch­ten, auch ohne dass die ihre Da­ten an­ge­ben.

uwe eb­bing­haus ist in der faz vom „Er­zähl­ta­lent“ schrems be­geis­tert und fand die art und wei­se, in der schrems „die My­then der IT-In­dus­trie“ durch­leuch­te „ein in­tel­lek­tu­el­les Ver­gnü­gen“.

ich bin da in mei­nem mei­nungs­bild eher ge­spal­ten. we­der er­klärt schrems den „Da­ten­wahn­sinn“ ein­fach, noch ver­zich­tet er auf pa­nik­ma­che, noch ist die lek­tü­re des bu­ches ein „in­tel­lek­tu­el­les Ver­gnü­gen“.

schrems quält sich und sei­ne le­ser in den ers­ten hun­dert­fünf­zig sei­ten an der fra­ge ab, war­um pri­vat­s­hä­re „doch et­was wert“ sei. ei­gent­lich müs­se man das ja gar nicht er­klä­ren, sagt er in der ein­lei­tung, aber er hät­te da „ei­ni­ge Ele­men­te, Hin­ter­grün­de und Ge­dan­ken, die auch für be­reits Über­zeug­te in­ter­es­sant sein könn­ten“. lei­der fehlt es die­sen ele­men­ten und hin­ter­grün­den teil­wei­se an ar­gu­men­ten, in­ter­essanz und dif­fe­ren­ziert­heit. na­tür­lich ist das nicht al­les quatsch, was schrems da zu­sam­men­ge­tra­gen hat, aber so rich­tig rund ist das buch eben auch nicht.

am sauers­ten ist mir tat­säch­lich auf­ge­stos­sen, dass max schrems nir­gend­wo klar de­fi­niert was er ei­gent­lich mit „mei­nen da­ten“ meint, für die ich kämp­fen soll. auch um den be­griff der pri­vat­sphä­re drib­belt er stän­dig her­um und lan­det dann ir­gend­wann auch bei der geist­lo­sen und we­nig hilf­rei­chen ana­lo­gie von pri­vat­sphä­re und dem un­be­ob­ach­te­ten be­nut­zen der toi­let­te.

das mit der de­fi­ni­ti­on (oder pro­ble­ma­ti­sie­rung des be­griffs) von da­ten hat jür­gen ge­u­ter (auch an­läss­lich des buchs von schrems) hier auf­ge­schrie­ben: „Wem ge­hört mein di­gi­ta­ler Zwil­lig?

apro­pos de­fi­ni­tio­nen; auch wit­zig, dass aus­ge­rech­net ser­gey brin kürz­lich eine sehr kom­pak­te, braucht­ba­re de­fi­ni­ti­on von pri­vat­sphä­re ge­lie­fert hat: die er­war­tung das din­ge die man ge­heim­hal­ten möch­te, auch ge­heim blei­ben.

was an den ers­ten 150 sei­ten ne­ben der be­griffs­un­schär­fe und vie­len un­ge­nau­ig­kei­ten be­son­ders nervt, ist das un­dif­fe­ren­zier­te über­spit­zen, das schrems zu al­lem über­fluss auch noch mit flap­sig­keit und sar­kas­mus würzt.

[Es gibt] im­mer noch Nut­zer, die Un­men­gen an per­sön­li­chen Da­ten of­fen ins Netz stel­len. Die meis­ten von ih­nen sind mei­ner Be­ob­ach­tung nach aber vor al­lem süch­tig nach mensch­li­cher Zu­nei­gung, aus­ge­drückt in Li­kes, Ret­weets und Kom­men­ta­ren. Die De­si­gner die­ser Diens­te spre­chen hier von ei­ner »po­si­ti­ven Nut­zer­er­fah­rung«. Die Stimm­la­ge er­in­nert da­bei oft an Dro­gen­händ­ler […].

bei sol­chen ab­schnit­ten, in de­nen ar­ro­ganz und ver­ach­tung bei schrems durch­scheint, habe ich mich im­mer wie­der ge­fragt, war­um (of­fen­bar) nie­mand das ma­nu­s­tript ge­gen­ge­le­sen und kor­ri­giert hat. mög­li­cher­wei­se sind sol­che ab­sät­ze auch kö­der für pa­pier-feuil­le­to­nis­ten wie eb­bing­haus, die in sol­chen ab­sät­zen dann ihr in­tel­lek­tu­el­les ver­gnü­gen fin­den und das buch po­si­tiv re­zen­sie­ren. ich fin­de sol­che pas­sa­gen vor al­lem über­flüs­sig und der sa­che nicht dien­lich. be­nut­zer als däm­li­ches klick­vieh, dass sich von der in­dus­trie mit „ro­ten Zu­ckerln“ in „Paw­low­sche Hun­de“ ver­wan­deln lässt oder in „to­tal wil­len­lo­se Zom­bies“ fin­det max schrems dann nach vier, fünf sei­ten wort­schwall auch ir­gend­wie „über­spitzt“ und re­la­ti­viert sei­ne be­schimp­fun­gen dann als an­re­gung zum „über­den­ken“.

auch die pa­ter­na­lis­tisch an­ge­hauch­te pa­nik­ma­che in sa­chen fil­ter­bla­sen kommt nicht zu kurz:

[D]ie Al­go­rith­men [schnei­den] jene Sei­ten weg, die Sie sel­ten le­sen. Po­li­tik? Weg da­mit! Sie blät­tern eh im­mer nur dar­über. Da­für gibts jetzt 25 Sei­ten Sport und Chro­nik. Wenn Sie glau­ben, je­der be­kommt die glei­chen Er­geb­nis­se bei Goog­le, die glei­chen Up­dates bei Face­book oder die glei­chen Vor­schlä­ge bei Ama­zon, dann lie­gen Sie falsch. Es wird al­les an­hand Ih­rer Da­ten ge­fil­tert und an­ge­passt. […] An­de­re Mei­nun­gen und neue Din­ge, für die wir uns bis dato nicht in­ter­es­siert ha­ben, wer­den weg­ge­fil­tert. De­mo­kra­tie­po­li­tisch ein Wahn­sinn.

ein wahn­sinn, wie schwie­rig es ist ein dif­fe­ren­zier­tes buch zu schrei­ben, in dem an­de­re mei­nun­gen und neue din­ge nicht ein­fach weg­ge­fil­tert wer­den. noch schwe­rer ist es na­tür­lich ein buch zu schrei­ben, in dem man bei ei­ner mei­nung bleibt:

auf sei­te 88 er­zählt schrems wie nutz­los an­ony­mi­sie­rung und pseud­ony­mi­sie­rung von be­nut­zer­da­ten ist und zählt meh­re­re bei­spie­le auf, wie man aus ano- oder pseud­ony­mi­sier­ten da­ten auf iden­tä­ten zu­rück­schlies­sen kann. un­ter an­de­rem er­zählt er von der be­rühm­ten AOL-da­ten­spen­de vor acht jah­ren, aus der sich (na­tür­lich) zahl­rei­che per­sön­li­che da­ten re­kon­stru­ie­ren lies­sen.

auf sei­te 194 schlägt schrems dann plötz­lich im ka­pi­tel „was tun?“, bzw. „Pri­va­cy by De­sign“ vor, künf­tig ein­fach „vie­le Da­ten auch an­ony­mi­siert oder zu­min­dest pseud­ony­mi­siert zu spei­chern“, um sie zu schüt­zen.

auf sei­te 94 be­haup­tet schrems, dass auf der sei­te des ORF „kei­ne Da­ten der Nut­zer“ ge­sam­melt wer­den:

Je­den­falls funk­tio­niert das, wie bei den meis­ten klas­si­schen Web­sei­ten, ohne ir­gend­wel­che Über­wa­chung und Da­ten­sam­me­lei.

das stimmt eben auch nur so halb. die vier ex­ter­nen tra­cker die beim auf­ruf von orf.at auf­ge­ru­fen wer­den, sam­meln nach ei­ge­nen an­ga­ben an­ony­me („Ad Views, Brow­ser In­for­ma­ti­on, Hard­ware/Soft­ware Type, In­ter­ac­tion Data , Page Views“) und pseud­ony­me („IP Ad­dress (EU PII)“) da­ten, die sie wie­der­um auch mit drit­ten tei­len (xa­xis) oder nicht sa­gen ob sie das tun (adi­ti­on, mee­trics, owa). so oder so prei­sen sich so­wohl adi­ti­on, als auch xa­xis da­für an, tar­ge­ting, also per­so­na­li­sier­te, auf da­ten­sam­me­lei ba­sie­ren­de wer­bung an­zu­bie­ten.

zu­ge­ge­be­ner­mas­sen fin­det das „Aus­spä­hen für Wer­be­klicks“ (zi­tat uwe eb­bing­haus) beim ORF in ge­rin­ge­rem um­fang als auf vie­len an­de­ren wer­be­fi­nan­zier­ten nach­rich­ten­sei­ten statt, aber zu be­haup­ten, die meis­ten klas­si­schen web­sei­ten funk­tio­nier­ten ohne „ir­gend­wel­che Über­wa­chung und Da­ten­sam­me­lei“ ist quatsch. zu­mal schrems am ende des bu­ches sei­nen le­sern auch ex­pli­zit „Plug Ins für […] Brow­ser“ (schreib­wei­se schrems) emp­fiehlt, „die Track­ing so weit wie mög­lich un­ter­bin­den“. also plug­ins wie ghos­tery oder do­no­t­track­me oder dis­con­nect oder priv3.

die un­ge­nau­ig­kei­ten, die feh­ler, die aus­las­sun­gen, der un­wil­len zu dif­fe­ren­zie­ren und bin­de­stri­che zu be­nut­zen macht die ers­ten zwei tei­le des bu­ches wirk­lich schwer und un­ver­gnüg­lich zu le­sen. na­tür­lich stimmt vie­les was schrems sagt, das eine oder an­de­re ist so­gar ganz in­ter­es­sant, aber für ein buch reicht das nicht. oder bes­ser: hät­te je­mand das buch um min­des­tens die hälf­te ein­ge­dampft, ein paar feh­ler raus­kor­ri­giert und schrems dazu ge­drängt sich auf das kon­kre­te zu kon­zen­trie­ren, hät­te das ein le­sens­wer­tes buch wer­den kön­nen. (wenn ich, aus­ge­rech­net ich, über­mäs­sig vie­le feh­ler fin­de, ist das im­mer ein ganz schlech­tes zei­chen. CO² mit hoch­ge­stell­ter zwei schrei­ben? „Lö­sungs­fris­ten“?)

denn wenn schrems über die ju­ris­ti­schen und fis­ka­len tricks von face­book re­det, die hilf­lo­sig­keit des ge­setz­ge­bers, der da­ten­schüt­zer und die ab­sur­di­tä­ten des eu­ro­päi­schen rechts be­schreibt, liest sich das buch ganz gut. auch sei­ne kon­kre­ten vor­schlä­ge am ende des bu­ches, was ein­zel­ne, was alle tun könn­ten, wo aus­we­ge zu fin­den sein könn­ten, sind an­re­gend und bei­na­he in­spi­r­i­rend.

kurz vor ende schreibt schrems im ka­pi­tel „Be­wusst­seins­bil­dung“:

Ein gro­ßes Pro­blem ist da­bei, dass wir von sehr abs­trak­ten, nicht greif­ba­ren Pro­ble­men spre­chen. Wie mich der ös­te­rei­chi­sche Fer­seh­mo­de­ra­tor tref­fend frag­te: »Wie fil­men Sie Da­ten­schutz? Wie zei­gen Sie ver­lo­re­ne Frei­heit? Wie wer­den sol­che abs­trak­ten Be­grif­fe für den Durch­schnitts­nut­zer sicht­bar?« Die Ver­mitt­lung die­ser Pro­ble­me braucht viel Auf­wand, viel Kön­nen und En­ga­ge­ment.

an auf­wand und en­ga­ge­ment fehlt es schrems je­den­falls nicht.


baumeister vorher und nachher

felix schwenzel

vor ein paar wo­chen hat mir ste­fan nig­ge­mei­er zwei aus­ga­ben des bau­meis­ters in die hand ge­drückt, weil er kei­ne zeit oder lust hat­te et­was über den heft-re­launch des bau­meis­ters zu schrei­ben. die eine aus­ga­be war vom sep­tem­ber 2011, also noch im al­ten de­sign, die an­de­re aus­ga­be vom no­vem­ber, die ers­te im neu­en de­sign. wolf­gang jean stock war schon­mal al­les an­de­re als be­geis­tert vom re­de­sign: er hält die neu­ge­stal­tung des hef­tes für eine art selbst­mord des bau­meis­ters:

Was sich nun dar­bie­tet, ist das rei­ne De­sas­ter. Schon beim Ti­tel […] ein Schrif­ten­sa­lat son­der­glei­chen - mal links­bün­dig, mal auf Mit­tel­ach­se ge­setzt - um­rahmt ein rät­sel­haf­tes Foto, das für al­les und nichts ste­hen kann. Im Heft selbst, das bis­lang über­sicht­lich, sehr le­ser­freund­lich ge­glie­dert war, macht das ha­ne­bü­che­ne Lay­out selbst die we­ni­gen se­riö­sen Bei­trä­ge zu­nich­te.

ich habe mir das no­vem­ber-heft vor ein paar wo­chen auf dem weg von ber­lin nach ham­burg im zug durch­ge­le­sen. an­der­t­alb stun­den rei­chen di­cke um die knapp hun­dert sei­ten durch­zu­le­sen. tat­säch­lich ist mir nicht viel vom heft in er­in­ne­rung ge­blie­ben. be­geis­te­rung er­reg­ten ge­ra­de mal ein, zwei bil­der, eins von vom MVRDV ba­lan­cing barn und ein eins vom „ma­gic moun­tain“ in duis­burg. die tex­te wa­ren OK, nett fand ich ei­nen text über eine stu­die zum selbst­ver­ständ­nis und be­rufs­bild des ar­chi­tek­ten, der mich vor al­lem in mei­ner ent­schei­dung be­stärk­te, nicht ar­chi­tekt ge­wor­den zu sein. in dem text fan­den sich auch die ein­zi­gen zwei stel­len die ich mir mit ei­nem stift und esels­oh­ren mar­kiert habe. eine stel­le war ein zi­tat von fritz schu­ma­cher vom an­fang des letz­ten jahr­hun­derts. schu­ma­cher war da­mals bau­di­rekt­tor in ham­burg und deu­te­te an, dass schon vor hun­dert jah­ren der ar­chi­tekt als knecht von un­ter­neh­mern galt. schu­ma­cher klag­te:

Nicht der „Kon­su­ment“ der Woh­nun­gen ist Bau­herr, son­dern eine neu­tra­le Macht, der Un­ter­neh­mer …

hat sich nichts ge­än­dert. jan klei­hues for­mu­liert das heu­te so:

Lei­der gibt es fast nur noch In­ves­to­ren­grup­pen, die mehr In­ter­es­se dar­an ha­ben, dass sich das Pro­jekt schnell dreht, als an Qua­li­tät.

auch han­no rau­ten­berg be­klag­te das jüngst in der zeit.

ganz an­ders ging es mir mit der sep­tem­ber-aus­ga­be die ich don­ners­tag im zug von ber­lin nach ham­burg las. schon nach we­ni­gen sei­ten fing ich an im heft rum­zu­kri­zeln. ich lie­be es in re­zen­si­ons­exem­pla­ren rum­zu­krit­zeln und no­ti­zen rein­zu­schmie­ren, et­was was ich in ge­kauf­ten hef­ten (der bau­meis­ter kos­tet hap­pi­ge 15 euro) oder bü­chern nie ma­chen wür­de. gleich meh­re­re tex­te, bild­ste­cken und selbst ein paar an­zei­gen be­geis­ter­ten mich und weck­ten das be­dürf­nis in mir mich mit den je­wei­li­gen the­men nä­her zu be­schäf­ti­gen oder selbst et­was drü­ber zu schrei­ben oder im web in­for­ma­tio­nen zu su­chen, um sie zu tei­len. das fing gleich auf sei­te 6 mit ei­nem un­glaub­lich tol­len bild von bern­hard lu­de­wig von der mos­kau­er u-bahn an (bild hier, im web­site-kon­text lei­der nicht ver­link­bar, aber hier ist die gan­ze bild­stre­cke) und gleich im ers­ten in­ter­view mit vier ar­chi­tek­ten über die fol­gen von 9/11 für die ar­chi­tek­tur, strich ich meh­re­re ab­sät­ze an. marc kush­ner sag­te dar­in un­ter an­de­rem über new york:

New York ge­hört auch nicht nur den New Yor­kern, son­dern letzt­lich eher der gan­zen Welt. Ich un­ter­hielt mich dar­über kürz­lich mit Neil De­na­ri: Er sag­te dass sein Ge­bäu­de an der High­li­ne eine Re­ak­ti­on auf 9/11 ist. Es ist ein Mit­tel­fin­ger, der Ge­fahr ent­ge­gen­ge­reckt.

lau­ter in­spi­rie­ren­des zeug stand in der sep­tem­ber­aus­ga­be, so viel, dass es mich völ­lig vom the­ma ab­bringt, das neue heft zu be­ur­tei­len, wes­halb ich das wei­ter un­ten fort­füh­re.

fakt ist: die sep­tem­ber-aus­ga­be ist ein ziem­lich tol­les und in­spi­rie­ren­des heft. der neu­ge­stal­te­te bau­meis­ter, zu­min­dest die no­vem­ber-aus­ga­be ist da­ge­gen ziem­lich lang­wei­lig. of­fen­bar ist die en­er­gie der heft­ma­cher voll­kom­men in das neue de­sign ge­flos­sen und für tol­le in­hal­te war kei­ne kraft mehr da. an­zei­gen und son­der­wer­be­for­men, oder wie der ver­lag das aus­drückt, ad­ver­to­ri­als wa­ren in der sep­tem­ber aus­ga­be auch sehr viel mehr vor­han­den, was dar­auf hin­deu­tet, dass die an­zei­gen­kun­den dem re­launch eher kri­tisch und zu­rück­hal­tend ge­gen­über stan­den. 29 sol­che sei­ten gabs in der sep­tem­ber-aus­ga­be, im no­vem­ber kei­ne ein­zi­ge. kein gu­tes zei­chen, oder viel­leicht doch, denn bei sol­chen tex­ten läuft es mir kalt den rü­cken run­ter:

BAU­MEIS­TER-Port­fo­lio-Ad­ver­to­ri­als
[…] Die Ad­ver­to­ri­als wer­den in­di­vi­du­ell und pas­send zum Wer­be­trä­ger BAU­MEIS­TER ge­stal­tet. Es be­steht eine Kenn­zeich­nungs­pflicht als „AN­ZEI­GE“. Sie lie­fern uns PR-Tex­te und Bild­ma­te­ri­al und wir prü­fen die Rea­li­sier­bar­keit. Das Ad­ver­to­ri­al wird über uns er­stellt und di­rekt mit dem Wer­be­trei­ben­den ab­ge­stimmt. Bit­te ge­ben Sie hier­für bei Bu­chung im­mer eine ent­spre­chen­de Kon­takt­per­son an.

Vor­tei­le von Ad­ver­to­ri­als:
Durch die re­dak­tio­nel­le An­mu­tung wird ein ho­hes Maß an Glaub­wür­dig­keit [sic] er­zielt und der Le­ser er­hält die In­for­ma­tio­nen in­ner­halb sei­nes ge­wohn­ten re­dak­tio­nel­len Um­fel­des prä­sen­tiert.

die neue ge­stal­tung wür­de ich nicht wie wolf­gang jean stock „ha­ne­bü­chen“ nen­nen, son­dern eher „ir­ri­tie­rend“. man sieht das al­les und fragt sich: war­um? das de­sign tut so als sei es mi­ni­ma­lis­tisch und ar­bei­tet we­ni­ger mit gra­fik als mit ty­po­gra­phie- und lay­out-spiel­chen. die sind aber, be­trach­tet man sie ge­nau, nicht viel mehr als über­flüs­si­ges or­na­ment. wem hilft es, wenn der an­fangs­buchst­be ei­nes ab­sat­zes aus dem ab­satz her­aus­ge­zo­gen und gro­tesk ver­grös­sert zen­triert über dem ab­satz ab­ge­stellt wird? plötz­lich prangt da ein A un­nütz über ei­nem ab­satz und fehlt am satz­an­fang: „lain de Bot­ton ist ein Tau­send­sas­sa.“ (der tau­send­sas­sa heisst alain de bot­ton.)

ich fra­ge mich auch, war­um der fliess­text un­be­dingt fett ge­setzt sein muss. das hat den vor­teil, dass die an­zei­gen ne­ben den fliess­tex­ten plötz­lich leicht und ge­konnt ge­setzt wir­ken, aber das kann ja nicht der sinn von heft­ges­atl­tung sein. bild­un­ter­schrif­ten sind mal nach links, mal nach recht ge­dreht, so dass man mal den kopf nach links, mal nach rechts nei­gen muss, um zu le­sen, was auf dem bild zu se­hen ist.

ich wür­de sehr ger­ne wolf­gang jean stocks kri­tik wi­der­spre­chen, vor al­lem weil ich im­mer erst­mal al­les neue grund­sätz­lich gut fin­den möch­te. ich schät­ze ex­pe­riemn­tier­freu­de und sehe les­bar­keit, klas­si­sche ty­po­gra­phi­sche tu­gen­den oder er­war­tungs­er­fül­lung kei­nes­falls als die top­p­rio­ri­tä­ten bei ge­stal­tung oder lay­out an (wie man an die­sem blog und mei­ner art zu schrei­ben gut er­kennt). aber das de­sign des bau­meis­ters ist lei­der to­tal in die hose ge­gan­gen. und das schlimms­te: of­fen­bar hat die neu­ge­stal­tung auch das ni­veau der bei­trä­ge mit in den ab­grund ge­ris­sen.

am är­ger­lichs­ten fand ich tat­säch­lich die, bzw. eine der ti­tel­ge­schich­ten über den spie­gel-neu­bau in ham­burg. ein öder, an­bie­dern­der und lieb­lo­ser text der mit acht PR-fo­tos des spie­gels il­lus­triert ist. sor­ry, aber so­was ist echt fürn arsch. nein, es ist eine zu­mu­tung, denn die bau­meis­ter-re­dak­ti­on ist sich nicht zu scha­de über die vom spie­gel ge­stell­ten, von an­dre­as gehr­ke pri­ma ge­mach­ten bil­der drü­ber­zu­schrei­ben:

Wir brin­gen die ers­ten Bil­der des Hen­ning-Lar­sen-Neu­baus in Ham­burg — und kon­tras­tie­ren die­se mit Ar­chi­tek­tur-Head­lines aus dem Nach­rich­ten­ma­ga­zin.

alex­an­der gutz­mer be­haup­tet im edi­to­ri­al, dass sich die neu-kon­zep­ti­on des hef­tes an drei kern­be­grif­fen ori­en­tier­te: „In­spi­ra­ti­on, Ori­en­tie­rung, Be­ra­tung“. das stimmt in­so­fern, als das si­cher bes­ser ge­klappt hät­te wenn man sich hät­te be­ra­ten las­sen, nicht die ori­en­tie­rung ver­lo­ren hät­te und in­spi­ra­ti­on nicht mit ty­po­gra­phi­schem tand ver­wech­selt hät­te.

so ist der bau­meis­ter eher zu ei­nem sa­ni­tär­ma­ga­zin ge­wor­den, dass ei­nen di­cken griff ins klo il­lus­triert.


im sep­tem­ber-heft war so­gar die wer­bung in­spi­rie­ren­der als die in­hal­te des no­vem­ber-hefts. eine an­zei­ge des ent­wäs­se­rungs­spe­zia­lis­ten aco zeig­te die­sen gran­dio­sen ent­wurf ei­nes crui­se ter­mi­nals von koen ol­thuis.

der text über den va­ter des plat­ten­baus, ernst may, an­läss­lich ei­ner aus­stel­lung im deut­schen ar­chi­tek­tur­mu­se­um in frank­furt war in­ter­es­san­ter als die ge­sam­te no­vem­ber-aus­ga­be (ich über­trei­be jetzt ein biss­chen) und ganz gran­di­os war die fo­to­streck­te und der text über die „nor­we­gi­schen Land­schaft­rou­ten“, für die 18 land­stras­sen mit hil­fe von meist nor­we­gi­schen ar­chi­tek­ten an mar­kan­ten stel­len mit zeit­ge­nös­si­scher ar­chi­tek­tur und in­stal­la­tio­nen auf­ge­hübscht wer­den, um „Tou­ris­ten Nor­we­gen als ein noch at­trak­ti­ve­res Rei­se­ziel zu prä­sen­tie­ren“. im heft wa­ren tol­le fo­tos zu se­hen, die zu­min­dest auf den ers­ten blick auch nicht alle ein­fach PR-fo­tos der nor­we­gi­schen tou­ris­mus­be­hör­den zu sein schei­nen (aber wahr­schein­lich doch sind). sie sind näm­lich viel bes­ser und auf­re­gen­der als die die man auf der of­fi­zi­el­len sei­te sieht.

toll auch das in­ter­view mit der ar­chi­tek­tur­theo­re­ti­ke­rin saskia sas­sen, die zwar auf­fäl­lig oft die fir­ma cis­co er­wähn­te, aber un­ter an­de­rem auf die fra­ge der fra­gen „Wo sind Ar­chi­tek­ten heu­te noch ge­fragt“ ant­wor­te­te:

Sie kön­nen und soll­ten die viel­fäl­ti­gen räum­li­chen For­men sicht­bar ma­chen, in de­nen die neu­en tech­no­lo­gien ope­rei­en — sie also für Pas­san­ten ver­ständ­lich ma­chen. Ich bin der An­sicht, dass alle we­sent­li­chen In­fra­struk­tu­ren vom Ab­was­ser über Elek­tri­zi­tät zu Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­bin­dun­gen durch trans­pa­ren­te Wän­de und Flu­re sicht­bar ge­macht wer­den soll­ten, zum Bei­spiel an Bus­ah­l­te­stel­len und Bahn­hö­fen, in Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten; über­all dort eben, wo Men­schen Zeit ver­brin­gen. Wäh­rend man zum Bei­spiel auf den Bus war­tet, kann man zu­se­hen, wie die Stadt funk­tio­niert. Man be­ginnt so, sich ein­be­zo­gen zu füh­len. Wenn un­se­re Wän­de schon voll mit Com­pu­ter­tech­no­lo­gie sind, war­um soll man das nicht trans­pa­rent ma­chen? Un­se­re com­pu­te­ri­sier­ten Sys­te­me müs­sen sicht­ba­rer und trans­pa­ren­ter wer­den.

auch schön, die idee das „kri­ti­ker­paar“ eli­sa­beth blum und pe­ter neit­zke auf zwei grund­ver­schie­de­ne bau­ten los­zu­las­sen, ein­mal das or­ga­ni­sche un­studio in gro­nin­gen von ben van ber­kel und ein­mal den ecki­gen, mies van der rohe wei­ter­den­ken­den ge­bäu­de­kom­plex „ro­meo und ju­lia“ in frank­furt am main von max dud­ler. zwei so­li­de, in die tie­fe ge­hen­de und lie­be­voll ge­klöp­pel­te aus­ein­an­der­set­zun­gen mit zeit­ge­nös­si­scher ar­chi­tek­tur. was mir be­son­ders ge­fal­len hat ist wie pe­ter neit­zke die zi­ta­te von ben van ber­kel mit fuss­no­ten be­legt:

1 Hier und pas­sim zi­tiert nach ei­nem Te­le­fo­nat mit dem Ar­chi­tek­ten (2. Au­gust 2011)
2 http://bit.ly/mTrVv7
3 Ben van Ber­kel, zi­tiert nach: ICON. In­ter­na­tio­nal De­sign, Ar­chi­tec­tu­re & Cul­tu­re, Heft 097, Juli 2011

ben van ber­kel rech­net wun­der­bar mit dem mo­der­e­n­en pa­ra­me­tri­schen ent­wurfs­müll ab:

Di­gi­tal de­sign labs all over the world spew out an in­ter­minable stream of in­choa­te com­po­si­ti­ons in the form of hec­ti­cal­ly cur­vy spa­ghet­ti, im­pene­tra­ble blobs, and, as a last re­sort, the dune-like shapes that re­sult from mor­phing blobs into spa­ghet­ti. It makes no dif­fe­rence if the to­pic of the pa­ra­me­tric de­sign stu­dy is a mu­se­um, a school, a rail­way sta­ti­on, or a rich per­son’s house; it makes no dif­fe­rence if it is sup­po­sed to be si­tua­ted on a beach, in a city, or in a post-in­dus­tri­al pe­ri­phery. Spa­ghet­ti is al­ways on the menu.

neit­zke hat das sau­ber über­setzt und ver­fa­zi­tet:

Zeit­ge­mäss ent­wirft, wer The­men und Pa­ra­me­ter pro­jekt­be­zo­gen aus­wählt, wer de­ren Zu­sam­men­spiel kunst­voll zu or­ga­ni­sie­ren und sie in ei­nem ar­chi­tek­to­ni­schen Pro­jekt kom­plex zu­sam­men­zu­füh­ren weiss.

so gilt das üb­ri­gens auch für ge­stal­tung auch in al­len an­de­ren be­rei­chen.

et­was un­ent­schlos­sen und wirr schro­ben da­vid sel­bach und si­byl­le schi­ko­ra über die neu­bau­ten der un­ter­neh­mens­zen­tra­len von goog­le und ap­ple. vor al­lem ist der ti­tel et­was ir­re­füh­rend und auf­bau­schend: „So baut das In­ter­net“. nun denn.

ei­ner­seits be­kla­gen sich die bei­den, dass die pr-ab­tei­lung von ap­ple nichts zum neu­bau sa­gen möch­te, nut­zen dann aber nur eins der fünf­tau­send bil­der die die stadt cup­er­ti­no zur pla­nung ver­öf­fent­lich­te. und sie be­kla­gen sich, dass ap­ple nicht mal den ar­chi­tek­ten nen­nen möch­te und schrei­ben: „In­si­der spe­ku­lie­ren, dass bei Nor­man Fos­ter Se­ni­or­part­ner Ste­fan Beh­ling für die Pla­nung ver­ant­wort­lich zeich­net“ und be­schrif­ten eine vi­sua­li­sie­rung des baus mit „Ren­de­ring des Ap­ple-Ron­del­ls von Fos­ter + Part­ners“. was denn jetzt? ge­hei­mes in­si­der­wis­sen oder nicht? tho­mas knü­wer darf in dem ar­ti­kel auch ein, zwei sät­ze zu sei­nem si­li­con val­ley in­si­der­wis­sen sa­gen: „[In den USA] wach­sen Un­ter­neh­men nicht in die Höhe, son­dern in die Brei­te, meist in­dem sie be­stehen­de Ge­bäu­de kau­fen.“ das glei­che hat ste­ve jobs auch in die­sem vi­deo ge­sagt, von dem da­vid sel­bach und si­byl­le schi­ko­ra aber nur screen­shots zei­gen.

sau­ber über­setzt und über­ar­bei­tet von ei­ner dame die da­nie­la reinsch heisst (sor­ry, den gag konn­te ich mir nicht ver­knei­fen: die­sen satz auf KEI­NEN FALL LAUT VOR­LE­SEN!) wur­de die­ser gran­dio­se und irre lan­ge text von greg lind­say über die gi­gan­ti­sche ko­rea­ni­sche re­tor­ten­stadt „new song­do“ (re­ad­bi­li­ty-link). in bei­den ver­sio­nen, der ori­gi­nal- und der bau­meis­ter-ver­si­on, sehr le­sens­wert.

auch be­ach­tens­wert, das BMW gug­gen­heim lab in new york.


ich wie­der­ho­le noch­mal: das alte heft er­schien mir voll­ge­packt mit in­ter­essanz und in­spi­ra­ti­on, das neue heft wie leer­ge­saugt. man kann dem bau­meis­ter nur wün­schen, dass er wie­der sei­ne spur fin­det. ich schau, wenn es den bau­meis­ter dann noch gibt, ger­ne in ei­nem jahr noch­mal rein (wenn ich ein re­zen­si­ons­exem­plar be­kom­me).


nerdattack!

felix schwenzel

chris­ti­an stö­cker hat vor un­ge­fähr zwei jah­ren ei­nen viel­be­ach­te­ten ar­ti­kel über die ge­ne­ra­ti­on C64 vs. ur­su­la von der ley­en ge­schrie­ben. ich habe ihn da­mals auch be­ach­tet und ge­lobt. spä­tes­tens seit dem ge­ne­ra­ti­on C64-Ar­ti­kel bin ich be­ken­nen­der stö­cker-fan.

im prin­zip hat chris­ti­an stö­cker sei­nen ar­ti­kel von da­mals mit ei­ner or­dent­li­chen ein­füh­rung über sechs oder sie­ben ka­pi­tel ver­se­hen und am ende den bo­gen auf­ge­spannt um sei­ne kern­the­se an ak­tu­el­len bei­spie­len zu il­lus­trie­ren. die kern­the­se, die es­senz des bu­ches steht be­reits im zwei jah­re al­ten spigel-on­line-ar­ti­kel, näm­lich: die din­ge die wir heu­te im in­ter­net be­ob­ach­ten kön­nen, sind alle mehr oder we­ni­ger eine di­rek­te fol­ge der ha­cker- und cra­cker-kul­tur die rund um den C64 ent­stan­den ist.

stö­cker 2009:

Gleich­zei­tig le­ben in die­sem Land an die 20 Mil­lio­nen Men­schen zwi­schen 15 und 35 (um mal eine will­kür­li­che Gren­ze für die An­ge­hö­ri­gen der Ge­ne­ra­ti­on C64 zu zie­hen), in de­ren Le­ben di­gi­ta­le Tech­no­lo­gie eine zen­tra­le, eine vor al­lem selbst­ver­ständ­li­che Rol­le spielt. Für die das In­ter­net nicht "der Cy­ber­space" ist, son­dern ein nor­ma­ler Teil ih­res All­tags, eben­so wie Te­le­fo­ne für die Ge­ne­ra­tio­nen da­vor.

in sei­nem buch steht auf sei­te 264:

Gleich­zei­tig le­ben in die­sem Land mehr als 20 Mil­lio­nen Men­schen, die jün­ger sind als 35 oder 40 (um mal eine will­kür­li­che Gren­ze für die An­ge­hö­ri­gen der Ge­ne­ra­ti­on C64 und der nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen zu zie­hen), in de­ren Le­ben di­gi­ta­le Tech­no­lo­gie eine zen­tra­le, eine vor al­lem selbst­ver­ständ­li­che Rol­le spielt. Für die das In­ter­net nicht »der Cy­ber­space« ist, son­dern ein nor­ma­ler Teil ih­res All­tags, eben­so wie Te­le­fo­ne für die Ge­ne­ra­tio­nen da­vor. Die Com­pu­ter­spie­le seit ih­rer Ju­gend ken­nen und des­halb nicht für ge­fähr­li­che Amok­trai­ner hal­ten. Die wis­sen, was ein Brow­ser ist.

das was stö­cker über sei­ne ju­gend, also un­se­re ju­gend, bzw. die ju­gend der men­schen um die 40 schreibt liest sich gut und füll­te mir beim le­sen so man­che ge­däch­nis­lü­cke. teil­wei­se wur­de ich sehr nost­al­gisch und stell­te mal wie­der er­schü­tert fest, wie ähn­lich die le­bens­läu­fe von mit­tel­stand­kin­dern im wes­ten der bun­des­re­pu­blik ver­lie­fen. eine ge­ne­ra­ti­on der er­leb­nis-klo­ne.

und stö­cker zieht klu­ge schlüs­se, bzw. er­klärt schlüs­sig wie sich ha­cker- und cra­cker-ethik, kin­der­zim­mer-dis­ket­ten-ko­pie­re­rei (die man heu­te raub­ko­pie­re­rei nennt) ver­misch­ten und hal­tun­gen schu­fen die wir heu­te im in­ter­net be­ob­ach­ten kön­nen. er spannt den bo­gen von cra­ckern, die ohne kom­mer­zi­el­le in­ter­es­sen den ko­pier­schutz von spie­len ent­fern­ten, zur heu­ti­gen demo- und open-source-sze­ne, von john per­ry bar­low, zu ju­li­an assan­ge und zen­sur­su­la-pro­tes­ten, vom C64-ko­pier­pro­gramm „fast­co­py“ zur pi­ra­te­bay.

Der C64 und das um ihn her­um wu­chern­de Öko­sys­tem in­stal­lier­ten in un­se­ren Köp­fen ein Ge­fühl von na­he­zu un­be­grenz­ter Mach­bar­keit, der Kal­te Krieg, die dro­hen­de Um­welt­ka­ta­stro­phe ei­nes von na­he­zu ab­so­lu­ter Ohn­macht. Vie­les von dem, was den heu­te 30- bis 40-Jäh­ri­gen von den Äl­te­ren vor­ge­wor­fen wird – po­li­ti­sche Apa­thie, ein Man­gel an ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Vi­sio­nen, eine laxe Ein­stel­lung zum Ur­he­ber­recht und nicht zu­letzt die Be­reit­schaft, sich tech­no­lo­gi­schen Wan­del ohne Rück­sicht auf Ge­schäfts­mo­del­le, ge­sell­schaft­li­che Kon­ven­tio­nen oder recht­li­che Fra­gen zu­nut­ze zu ma­chen – sind mit­tel­ba­re oder un­mit­tel­ba­re Fol­gen die­ser pa­ra­do­xen Kom­bi­na­ti­on aus Ohn­macht und gren­zen­lo­sen Mög­lich­kei­ten.

die bei­den ers­ten ka­pi­tel in de­nen stö­cker sei­ne schlüs­se vor­be­rei­tet hat er jetzt auch stark ge­kürzt auf spie­gel on­line ver­öf­fent­licht. das liest sich al­les sehr gut und beim le­sen kommt man aus dem kopf­ni­cken kaum raus.

man liest das und fühlt sich ge­bauch­pin­selt. wir wa­ren schon tol­le che­cker da­mals — und sind es heu­te im in­ter­net im­mer noch! wo­bei die­se eher un­kri­ti­sche ei­gen­bauch­pin­se­lei na­tür­lich auch pro­ble­ma­tisch ist: wer soll das bit­te le­sen, aus­ser leu­te die jetzt um die 40 sind und da­mals ih­ren el­tern mit der plat­ten lüge da­mit haus­auf­ga­ben zu ma­chen ei­nen home­com­pu­ter aus dem bauch ge­lei­ert ha­ben? de­ren el­tern viel­leicht, die jetzt von ih­ren kin­dern stö­ckers buch zu weih­nach­ten ge­schenkt be­kom­men, da­mit sie mit 20 jah­ren ver­spä­tung er­fah­ren, was sich da­mals im kin­der­zim­mer wirk­lich ab­ge­spielt hat?

stö­cker hat ein buch ge­schrie­ben, dass bei den an­ge­hö­ri­gen der ge­ne­ra­ti­on C64 of­fe­ne tü­ren ein­rennt und sie bauch­pin­selt und für den rest der welt den er­klär­bär macht. wenn der rest der welt sich denn da­für in­ter­es­sie­ren wür­de. beim le­sen fühl­te ich mich wie ein heis­ses mes­ser, dass durch but­ter schnei­det. hän­gen­ge­blie­ben ist nicht viel, aus­ser ein biss­chen fett, ein paar vor­ge­fer­tig­te ar­gu­men­te die künf­ti­ge dis­kus­sio­nen et­was schmie­ren und auf­la­den könn­ten.

das buch hat mir aus­ser­or­den­lich gut ge­fal­len — und das ist auch ein biss­chen das pro­blem. am ende sagt man „ja“ und ver­misst das was wirk­lich gute bü­cher in ei­nem hin­ter­las­sen: ein klei­nes in­spi­ra­ti­ons-pflänz­chen das man wei­ter he­gen und pfle­gen und gross­zie­hen kann.

im­mer­hin habe ich jetzt ein weih­nachts­ge­schenk für mei­ne el­tern.


der um­schlag sieht aus, als hät­te chris­ti­an stö­cker ihn höchst­per­sön­lich ge­zeich­net — mit dem mund. auf dem um­schlag fand ich dann nach ei­ni­gem su­chen auch den ur­he­ber der gräs­li­chen il­lus­tra­ti­on (ein kra­ke­lig ge­zeich­ne­ter tisch mit ei­nem fern­se­her, ei­ner da­ta­set­te, ei­nem joy­stick und ei­nem c64): www.bue­ro-jor­ge-schmidt.de

be­vor ich den link in mei­nen brow­ser ein­gab, schloss ich eine wet­te mit mir selbst ab. wet­ten das die büro jor­ge-schmidt-site eine voll-flash-site ist? in der tat, voll­flash es war. nach­dem ich den flash-blo­cker de­ak­ti­viert hat­te: mu­sik. gräs­lich. im­mer­hin, wenn man in der flash­da­tei ein biss­chen rum­klickt ret­tet das büro jor­ge-schmidt sei­nen ruf ein biss­chen: die ha­ben nicht nur scheuss­li­che buch­um­schlä­ge ge­stal­tet, son­dern auch ein paar ganz an­sehn­li­che.


david foster wallace: „schrecklich amüsant - aber in zukunft ohne mich“

felix schwenzel

vor ein paar ta­gen hat mir die bei­fah­re­rin ein buch von da­vid fos­ter wal­lace auf den nacht­tisch ge­legt. auf dem nacht­tisch sind bü­cher bei mir nicht son­der­lich gut auf­ge­ho­ben, weil ich beim im bett le­sen im­mer ein­schla­fe. als ich es dann mal mit in die ba­de­wan­ne nahm, hab ich es in ei­nem rutsch halb durch­ge­le­sen (zu­en­de ge­le­sen habe ich es an ei­nem an­de­ren tag in der ba­de­wan­ne). es ist mit 183 klei­nen sei­ten aber auch nicht son­der­lich um­fang­reich. der in­halt des bu­ches lässt sich eben­falls flott zu­sam­men­fas­sen: da­vid fos­ter wal­lace be­gibt sich im märz 1995 für eine wo­che an bord ei­nes kreuz­fahrt­schif­fes und schreibt dar­über.

das buch liest sich auch des­halb so flüs­sig, weil es gross­ar­tig von mar­cus in­gen­da­ay über­setzt wur­de. mir ist das über­haupt noch nie pas­siert, dass ich beim le­sen dach­te: „was für ein schö­nes deutsch!“ und mir plötz­lich auf­fiel, dass das gar kein deut­scher au­tor ist, den ich da lese. in­gen­da­ay hat das buch so toll über­setzt, dass wal­lace glatt als deut­scher au­tor durch­ge­hen wür­de. ich wür­de so­gar so weit ge­hen und sa­gen, in­gen­da­ay über­setzt und schreibt noch ei­nen ti­cken bes­ser als carl weiss­ner.

wal­lace schreibt un­prä­ten­ti­ös, aber un­fass­bar scharf und ge­nau be­ob­ach­tend, läs­tert un­er­bitt­lich ge­gen gäs­te oder be­diens­te­te die er nicht mag, wirkt aber nie mis­an­throp, im ge­gen­teil, er schreibt ex­trem sub­jek­tiv, wer­tet aber viel­mehr durch die art wie er men­schen und zu­stän­de neu­tral be­schreibt als durch ur­tei­le. ähn­lich wie jo­chen reine­ckes „geis­ter ab­schüt­teln“, er­in­nert mich „schreck­lich amü­sant - aber in zu­kunft ohne mich“ an ei­nen zu lang ge­ra­te­nen blog­ar­ti­kel. wal­lace nennt sich im buch auch ein­mal selbst „ver­kapp­ter jour­na­list“, et­was was heut­zu­ta­ge nur noch blog­ger tun (oder so von mu­si­kan­ten ge­nannt wer­den). statt hy­per­links nutzt wal­lace fuss­no­ten, ins­ge­samt weit über 136 stück. fuss­no­te 136 ist die letz­te fuss­no­te, da man­che fuss­no­ten aber auch mit fuss­no­ten ver­se­hen sind, dürf­ten es so um die 150 fuss­no­ten sein.

na­tür­lich schweift wal­lace teil­wei­se irre weit ab, bleibt aber selbst in die­sen ab­schwei­fun­gen akri­bisch. in ei­ner die­ser ab­schwei­fun­gen, wid­met er sich über ca. 10 sei­ten der wer­bung und der PR. er regt sich furcht­bar über ei­nen be­zahl­ten PR-text des von ihm hoch­ge­schätz­ten ame­ri­ka­ni­schen schrift­stel­lers frank con­roy auf, der im ka­ta­log der kreuz­fahrt­li­nie, mit der auch wal­lace un­ter­wegs war, er­schie­nen ist.

Das Haupt­übel des Pro­jekts «Mei­ne Ce­le­bri­ty-Kreuz­fahrt» ist sei­ne Schein­hei­lig­keit. Wie dreist hier Pro­duct-Pla­ce­ment be­trie­ben wird, zer­setzt jede li­te­ra­ri­sche Se­rio­si­tät und über­trifft in die­ser hin­sicht al­les, was man in den ver­gan­ge­nen Jah­ren er­le­ben muss­te. Con­roys «Es­say» er­scheint in ei­ner Art Son­der­teil in der Mit­te des Hef­tes, auf dün­ne­rem Pa­pier und mit ei­nem an­de­ren Lay­out, und er­weckt da­durch den Ein­druck ei­nes Aus­zugs aus ei­nem ei­gen­stän­di­gen li­te­ra­ri­schen Werk. Doch das ist kei­nes­wegs der Fall. Tat­säch­lich han­delt es sich um eine rei­ne Auf­trags­ar­beit, be­zahlt von Ce­le­bri­ty, nur wird das nir­gend­wo er­wähnt. […]

Kurz, Ce­le­bri­ty Crui­ses ver­kauft uns Con­roys Rei­se­be­richt als Es­say und nicht als Wer­bung. Dies je­doch ist von Übel. War­um? Weil ein Es­say, un­ab­hän­gig von der dar­in zum Aus­druck ge­brach­ten Wer­tung des Ce­le­bri­ty-Pro­dukts, eben zu­al­ler­erst dem Le­ser ver­pflich­tet ist und nicht dem Auf­trag­ge­ber. Und ob er sich des­sen be­wusst ist oder nicht, der Le­ser ver­lässt sich auf die­se Selbst­ver­pflich­tung des Au­tors und be­geg­net dem Es­say mit ei­nem ho­hen Grad an Ver­trau­en. Wer­bung funk­tio­niert da­ge­gen völ­lig an­ders. Wer­bung hat sich, was ih­ren Wahr­heits­ge­halt an­geht, nur an be­stimm­te for­mal­ju­ris­ti­sche und mit et­was rhe­to­ri­schem Ge­schick leicht zu um­ge­hen­de Re­geln zu hal­ten — und kennt dar­über hin­aus nur ein ein­zi­ges Ziel: Um­satz­stei­ge­rung. Ganz gleich, was die Wer­bung zur Er­göt­zung des Le­sers al­les in­sze­niert, es ge­schieht nie zu des­sen Nut­zen. Und der Le­ser weiß das na­tür­lich, er weiß dass der Un­ter­hal­tungs­wert von Wer­bung ei­nem Ge­schäfts­kal­kül folgt und wird ihr ent­spre­chend mit Vor­sicht be­geg­nen. Wir alle neh­men Wer­bung ge­wis­ser­ma­ßen nur ge­fil­tert wahr38.

Im Fall des Con­roy-«Es­says» setzt Ce­le­bri­ty Crui­ses al­les dar­an, die­sen Fil­ter durch den Kunst­an­spruch des Tex­tes zu de­ak­ti­vie­ren. Doch Wer­bung, die vor­gibt, Kunst zu sein, gleicht im güns­tigs­ten Fall dem ge­win­nen­den Lä­cheln des­sen, der et­was von ei­nem will. Das ist nicht nur un­auf­rich­tig, die du­bio­se Aus­strah­lung sol­cher Er­zeug­nis­se kann sich in uns an­rei­chern wie ein Um­welt­gift. Die aus Be­rech­nung un­ter­nom­me­ne Si­mu­la­ti­on zweck­frei­er Freund­lich­keit bringt lang­fris­tig alle un­se­re Maß­stä­be durch­ein­an­der und führt dazu, dass ir­gend­wann auch das ech­te Lä­cheln, die ge­nui­ne Kunst, die wah­re Freund­lich­keit un­ter Kom­merz­ver­dacht ste­hen. An­dau­ern­der Ver­trau­ens­bruch macht rat­los und ein­sam, hilf­los und wü­tend und ängst­lich. Er ist die Ur­sa­che von Ver­zei­flung.

(38) Aus die­sem Grund wird selbst wirk­lich schö­ne, in­tel­li­gen­te oder mit­rei­ßen­de Wer­bung (und die gibt es) nie­mals ech­te Kunst sein kön­nen. Ihr fehlt näm­lich derGe­schenk­cha­rak­ter(d.h. sie wur­de niefürih­ren Adres­sa­ten ge­macht).

[sei­te 65 ff., fet­tun­gen von mir]

die fuss­no­te 38 hat es mei­ner mei­nung nach in sich. in ei­ni­gen blog­ar­ti­keln der let­zen tage habe ich ge­nau über die­ses the­ma ge­le­sen, wenn auch meist in et­was an­de­rem zu­sam­men­hang. so schreibt mi­cha­el see­mann auf faz.net, dass blog­tex­te (in der re­gel) „ge­schen­ke“ sei­en:

Man setzt sich hin, schreibt und ver­öf­fent­licht ohne die In­ten­ti­on, ir­gend­et­was da­für zu­rück zu be­kom­men. Ant­je Schrupp hat das auf ihre un­nach­ahm­lich per­sön­li­che Art er­zählt, wie das Blog­gen für sie funk­tio­niert und ich kann mich ih­rer Er­fah­rung nur an­schlie­ßen. Für sie funk­tio­niert Blog­gen über eine Form des "Be­geh­rens" nach dem Aus­druck für ein The­ma. Die­ser Aus­druck, wür­de ich hin­zu­fü­gen, ist ein Be­geh­ren des Schen­kens, des Tei­lens der In­for­ma­ti­on mit der Welt.

die­ser ge­schenk­cha­rak­ter von blogs (oder auch li­te­ra­tur oder kunst) ist wohl auch der grund, war­um ei­ni­ge so emp­find­lich oder über­sen­si­bel auf wer­bung in blogs re­agie­ren. wie ich mir vor ei­ner wei­le schon mal läng­lich über­legt habe, auch nicht ganz zu un­recht. ver­trau­en und auf­merk­sam­keit der le­ser sind, eben­so wie blog­tex­te, ge­schen­ke, die man gar nicht hoch ge­nug schät­zen kann. vor al­lem wenn man so schreibt wie ix.

um die pa­thos-ska­la noch eine stu­fe hö­her­zu­dre­hen: heu­te habe ich bei ralf schwartz ein vi­deo über ei­nem tod­kran­ken mann ge­se­hen, der sei­ne gan­ze so­zi­al­hil­fe und rest­le­bens­zeit für mu­sik­in­stru­men­te und kos­ten­lo­sen mu­sik­un­tericht aus­gibt die er kin­dern schenkt. un­ter an­de­rem sagt er in die­sem film: „mu­sic is a gift.“

bleibt ei­gent­lich nur eine fra­ge: ist das wer­bung wenn ich zum kauf des da­vid fos­ter wal­lace-bu­ches auf­for­de­re?


markus reiter verschenkt sein buch, findet das aber gefährlich

felix schwenzel

mar­kus rei­ter meint in dumm 3.0 (un­ter an­de­rem), dass „die Kos­ten­los-Men­ta­li­tät“ des in­ter­nets die „Krea­tiv­wirt­schaft auf Dau­er“ aus­trock­ne. über sein buch und an­de­re geis­ti­ge leis­tun­gen sagt er:

Ich be­für­wor­te we­der, dass [mein Buch] aus Buch­hand­lun­gen ge­klaut wird, noch dass es je­mand elek­tro­nisch ko­piert, ohne dass mein Ver­lag und ich da­von pro­fi­tie­ren. Es steckt ein gu­tes Jahr Ar­beit dar­in, ein durch­ge­ar­bei­te­ter Som­mer, schlaf­lo­se Näch­te, die Ge­duld mei­ner Mit­men­schen, ei­ni­ger Schweiß und viel Mühe. Wenn wir nicht wol­len, dass wir bald nur noch über geis­ti­ge Ar­bei­ten ver­fü­gen kön­nen, die ir­gend­je­mand aus ir­gend­ei­nem un­be­kann­ten Grun­de spons­ort, wer­den wir uns dar­an ge­wöh­nen müs­sen, auch im In­ter­net für geis­ti­ge Leis­tun­gen zu be­zah­len. Das ist auf den kür­zes­ten Nen­ner ge­bracht, die zen­tra­le Bot­schaft die­ses Bu­ches.

was mich aber wun­dert: die pr-agen­tur die rei­ters buch ver­mark­tet, schrob mir vor ei­ni­ger zeit ei­nen brief, in dem sie mir an­bot, den „de­bat­ten-bei­trag“ (ge­meint ist das buch) von mar­kus rei­ter kos­ten­los zur re­zen­si­on zu­zu­sen­den. kei­ne elek­tro­ni­sche ko­pie, son­dern eine ge­druck­te ver­si­on, die nor­ma­ler­wei­se 18 euro kos­tet. wenn ich die in­ten­ti­on rich­tig ver­ste­he, sieht mar­kus rei­ter die­se art der „Kos­ten­los-Men­ta­li­tät“ nicht als ge­fahr für die „Krea­tiv­wirt­schaft“, son­dern als hilf­reich für die ver­mark­tung und den ver­kauf sei­ner „geis­ti­gen Leis­tung“ an.

dass also das ver­schen­ken von bü­chern durch­aus die „Krea­tiv­wirt­schaft“ för­dern könn­te, weiss rei­ter also, sagt es aber nicht. und da­für, dass das ver­schen­ken von bü­chern über re­zen­si­ons­exem­pla­re hin­aus den ver­kaufs­zah­len gut tun könn­te, gibt es zu­min­dest schlüs­si­ge hin­wei­se: „Free ebooks cor­re­la­ted with in­creased print-book sa­les“.

gut dass ich das buch nicht ge­kauft habe. es ist so ein­sei­tig ge­schrie­ben, dass man es nur mit zwei hän­den le­sen kann. und das macht mir ge­ra­de kei­nen spass. für eine kom­plet­te re­zen­si­on muss ix erst­mal mei­ne gleich­mut-bat­te­rei­en auf­la­den.


susanne gaschkes strategien gegen verdummung

felix schwenzel

su­san­ne gasch­ke mag das in­ter­net nicht. das ist nichts neu­es, wenn man schon­mal über ei­nen text von gasch­ke oder ihr au­toren­re­gis­ter auf zeit.de ge­stol­pert ist:

wenn man ihr buch liest, er­fährt man, dass sie auch com­pu­ter­spie­le, fern­se­hen, „kon­su­mis­mus“, zeit­ver­schwen­dung und „über­flüs­si­ge kom­mu­ni­ka­ti­on“ nicht mag. was sie mag sind bü­cher, li­te­ra­tur, kunst, mu­sik und „er­fah­run­gen mit so­zia­lem en­ga­ge­ment“.

„Ich glau­be nicht, dass das Netz mehr De­mo­kra­tie, klü­ge­re Wis­sen­schaft, ver­ant­wort­li­che­ren Jour­na­lis­mus und mehr so­zia­le Ge­rech­tig­keit her­vor­brin­gen wird. Und ich mei­ne, ei­ni­ge An­halts­punk­te da­für zu ha­ben, dass die di­gi­ta­le Kul­tur die­sen Zie­len an be­stimm­ten Stel­len so­gar ent­ge­gen­steht.“

noch we­ni­ger als das in­ter­net, mag gasch­ke al­ler­dings die leu­te, die das in­ter­net gut fin­den. alle die das in­ter­net nicht ent­schie­den ab­leh­nen, nennt sie „Di­gi­ta­lis­ten“ oder „In­ter­net-Apo­lo­ge­ten“. sie wirft alle in ei­nen topf: tech­ni­ker, un­ter­neh­mer, in­dus­tri­el­le, blog­ger, twit­te­rer, such­ma­schi­nen­op­ti­mie­rer, netz­po­li­tik-ak­ti­vis­ten, mar­ke­ting-fuz­zis, netz­po­li­tik-ak­ti­vis­ten — selbst dif­fe­ren­zie­ren­den kri­ti­kern des in­ter­net oder sei­ner aus­wüch­se un­ter­stellt sie op­pur­tu­nis­mus oder kon­flikt­scheu, wenn sie nicht, wie sie, das in­ter­net un­dif­fe­ren­ziert, klar und deut­lich ver­ur­tei­len. sie wirft alle zu­sam­men in ei­nen ei­mer mit der auf­schrift „Di­gi­ta­lis­ten“. man muss sich nur mal vor­stel­len wer sich al­les in die­sem ei­mer wie­der­fin­det, brin und page ne­ben law­rence les­sig, ste­fan nig­ge­mei­er ne­ben kai dieck­mann, bill gates ne­ben li­nus thor­vald, ba­rack oba­ma ne­ben an­ge­la mer­kel, jeff jar­vis und hu­bert bur­da. al­les „Di­gi­ta­lis­ten“.

gasch­ke ist nicht nur ex­trem un­dif­fe­ren­ziert, was das in­ter­net an­geht, ihr ist auch nichts recht zu ma­chen:

  • ei­ner­seits be­klagt sie die durch­kom­mer­zia­li­sie­rung des net­zes und sei­ne auf­dring­li­chen mar­ke­ting­stra­te­gien, schimpft aber auch dar­über, dass in­ter­net-ko­lum­nis­ten („blog­ger“) ihre bei­trä­ge kos­ten­los, oder wie sie viel­deu­tig sagt, „um­sonst“ ins in­ter­net stel­len. „blog­ger“ nennt sie in­ter­es­san­ter­wei­se auch nicht „au­toren“, son­dern meist „nut­zer“.
  • ei­ner­seits be­klagt sie, dass durch das in­ter­net und mo­der­ne „me­di­en“ die li­te­ra­li­tät und fä­hig­kei­ten zu le­sen ab­neh­me, geis­selt die im in­ter­net ab­lau­fen­de schrift-kom­mu­ni­ka­ti­on von men­schen un­ter­ein­an­der aber ger­ne als pro­fa­ne oder über­flüs­si­ge „sinn­los­kom­mu­ni­ka­ti­on“.
  • ei­ner­seits be­klagt sie die ag­gres­si­vi­tät und die de­ter­mi­niert­heit der netz­be­für­wor­ter („Di­gi­ta­lis­ten“) und welch ver­hee­ren­de fol­gen die er­folg­rei­che pro­pa­gie­rung der netz­ideo­lo­gie habe (sie sieht hier eine „Ideo­lo­gie­ma­schi­ne“ am werk), an­de­rer­seits be­zwei­felt sie rund­her­aus, dass aus dem netz über­haupt et­was po­li­tisch wirk­sa­mes kom­men kön­ne und be­haup­tet, dass das netz ent­po­li­ti­sie­re.
  • ei­ner­seits be­klagt sie sich über leu­te die ge­schich­ten aus ih­rem le­ben mit an­de­ren tei­len („Wer sich in »so­zia­len Netz­wer­ken« selbst welt­öf­fent­lich ent­blät­tert, ist nur eins: sel­ber schuld.“), an­de­rer­seits for­dert sie, dass ge­schich­ten aus dem le­ben an­de­rer die auf pa­pier ge­druckt sind („Bü­cher“) mehr ge­le­sen wer­den soll­ten.

auf der an­de­ren sei­te hat mir auch ei­ni­ges von dem was sie schreibt auch ein kopf­ni­cken ab­ge­run­gen. wer wür­de ei­nem satz wie die­sem wi­der­spre­chen?

Ich bin fest da­von über­zeugt, dass es kei­ne zwei­te Fä­hig­keit gibt, die für das Zu­recht­kom­men in mo­der­nen Ge­sell­schaf­ten so wich­tig ist wie das flüs­si­ge, sou­ve­rä­ne Le­sen, Ver­ste­hen und Be­ur­tei­len von Tex­ten.

„Le­se­för­de­rung“, of­fen­bart gasch­ke, sei ei­nes der the­men, das sie be­ruf­lich am meis­ten in­ter­es­sie­re und für das sie sich in ih­rem er­wach­se­nen­le­ben am meis­ten en­ga­giert habe. auch das sieht man recht deut­lich, wenn man die lis­te der ar­ti­kel die sie in den letz­ten drei jah­ren für die zeit schrob kurz durch­sieht (1, 2, 3, 4, 5, 6). na­tür­lich hat sie recht; ohne le­sen zu kön­nen, kann man auch nicht im in­ter­net le­sen. ohne sou­ve­rä­ni­tät im um­gang mit tex­ten, wird das mit der ur­teils­fä­hig­keit und dem auf­ge­klär­ten, mün­di­gen bür­ger schwie­rig.

al­ler­dings be­haup­tet gasch­ke steil, dass die „Di­gi­ta­lis­ten“ das an­ders sä­hen, bzw. le­se­feind­lich sei­en. ei­ner­seits weil die netz­a­po­lo­ge­ten nicht (an)er­ken­nen, dass es zwi­schen dem gu­ten le­sen (bü­cher, „die zeit“) und dem schlech­ten le­sen (am bild­schirm) eine kon­ku­renz­si­tua­ti­on be­steht, also die neu­en me­di­en dem buch zeit und auf­merk­sam­keit ent­zie­hen. an­de­rer­seits, weil die „Di­gi­ta­lis­ten“ mit ih­rer for­de­rung nach frei­em und un­li­mi­tier­ten zu­gang zu in­for­ma­tio­nen „die geis­ti­ge Hal­tung für die ein ge­füll­tes Bü­cher­re­gal steht“ be­kämpf­ten: „die Be­reit­schaft Mühe auf sich zu neh­men, um Freu­de zu er­lan­gen; eine Auf­schub statt ei­ner So­for­tis­mus­kul­tur.“ — und so das in­ter­es­se am kon­zen­trier­ten le­sen und ver­ste­hen-wol­len ra­pi­de ab­neh­me.

im kern mag die ana­ly­se ja stim­men, auch wenn gasch­kes über­zeu­gungs­kraft stark dar­un­ter lei­det, dass sie eine 13 jah­re alte stu­die von ja­kob niel­sen her­vor­kramt um zu be­le­gen, dass nie­mand län­ge­re tex­te am bild­schirm liest und aus­ser acht lässt, dass sich mitt­ler­wei­le vie­les ver­än­dert hat; web­sei­ten sind les­ba­rer und le­se­freund­li­cher ge­wor­den (sie­he zeit.de), die bild­schir­me sind bes­ser, fla­cker­frei­er, klei­ner und hoch­auf­lö­sen­der ge­wor­den (ver­glei­chen sie mal nen 17" röh­ren­mo­ni­tor mit dem bild­schirm ei­nes ipho­nes oder eine palm pre. die sind mitt­ler­wei­le so scharf, dass man mil­li­me­ter­gros­se buch­sta­ben le­sen kann).

trotz­dem. selbst wenn man gasch­kes ana­ly­se folgt, fällt es schwer ih­ren schluss­fol­ge­run­gen zu fol­gen. sie stellt fest, dass das in­ter­es­se und die fä­hig­keit zu le­sen ab­neh­men und for­dert als kon­se­quenz eine kon­zen­tra­ti­on auf das me­di­um pa­pier? sie stellt fest, dass die kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit beim le­sen ab­nimmt und for­dert als the­ra­pie eine zu­gangs­er­schwe­rung oder ver­knap­pung von in­for­ma­tio­nen?

der ge­sun­de men­schen­ver­stand oder ge­nau­er, der ge­sell­schaft­li­che kon­sens, den ich zu die­sem the­ma bis­her wahr­nahm, for­dert eine ver­bes­se­rung des bil­dungs­sys­tems und eine schu­lung in me­di­en­kom­pe­tenz. „me­di­en­kom­petz“ ist al­ler­dings ei­nes der reiz­wör­ter die gasch­ke in rage brin­gen. sie ver­mu­tet auch hin­ter der for­de­rung nach mehr me­di­en­kom­pe­tenz ideo­lo­gi­sche mo­ti­ve der „Di­gi­ta­lis­ten“ und ih­rer ver­dum­mungs­stra­te­gien. zu­mal na­tür­lich auch die schu­lung zur me­di­en­kom­pen­tenz zeit und mühe kos­tet, die wie­der­um zu las­ten des bu­ches, der zei­tung, der li­te­ra­tur und des wah­ren le­bens („real life“ nennt gasch­ke das) ge­hen.

gasch­kes ana­ly­se ist al­les an­de­re als wi­der­spruchs­frei. so ju­bel­te sie noch im ok­to­ber 2007 dar­über, dass „wir dem Tri­umph­zug ei­nes Bu­ches bei­woh­nen“ („Die Welt liest“) und be­ob­ach­tet, wie „plötz­lich […] al­lein in Deutsch­land Hun­dert­tau­sen­de von Le­sern, un­ter ih­nen vie­le Ju­gend­li­che, in Kauf [neh­men], ei­nen 1000-Sei­ten-Wäl­zer auf Eng­lisch zu le­sen.“ 2009 ist ihre ana­ly­se wie­der vom pes­si­mis­mus über­deckt und ihr har­ry-pot­ter-ju­bel ab­ge­flaut: „Bü­cher und Le­sen ver­lie­ren an Po­pu­la­ri­tät, und dies be­son­ders bei Ju­gend­li­chen.“ schuld sind vor al­lem die netz­a­po­lo­ge­ten, mit ih­rer teuf­li­schen ideo­lo­gie der wis­sens­ge­sell­schaft.

könn­te es nicht auch um­ge­kehrt sein? ver­lie­ren „Bü­cher und Le­sen“ viel­leicht nicht des­halb le­ser an die di­gi­ta­len me­di­en, weil die ju­gend­li­chen sich nicht mehr mü­hen oder durch lan­ge tex­te durch­beis­sen wol­len, son­dern weil die in­hal­te auf pa­pier so schlecht ge­wor­den sind? ist die zei­tungs­kri­se nicht eher ein qua­li­täts­pro­blem, als ein tech­no­lo­gie­pro­blem? war­um le­sen jun­ge men­schen row­ling, aber nicht gasch­ke? ich war sieb­zehn, als ich neil post­mans „wir amü­sie­ren uns zu tode“ ge­le­sen habe. wie­so kann ich mir heu­te kei­nen sieb­zehn­jäh­ri­gen vor­stel­len der gasch­kes „stra­te­gien ge­gen die di­gi­ta­le ver­dum­mung“ liest? rich­tig. weils kreuz­öde und flach wie ein bü­gel­brett ist.

apro­pos be­dürf­nis­se zu­rück­hal­ten und mühe in kauf neh­men. stel­len wir uns vor, gasch­ke wür­de die er­fin­dung des kühl­schranks oder der tief­kühl­tru­he mit der er­hö­hung des durch­schnitt­li­chen ge­wichts der ein­woh­ner west­eu­ro­pas und nord­ame­ri­kas in ver­bin­dung brin­gen. wahr­schein­lich läge sie gar nicht so falsch da­mit, dass die so­for­ti­ge be­frie­di­gung ku­li­na­ri­scher ge­nüs­se, die so ein kühl­schrank er­mög­licht, die leu­te dazu ani­miert mehr zu es­sen. wer mag noch die mühe auf sich neh­men, eine kuh zu mel­ken, wenn er milch im kühl­schrank ste­hen hat? nur: ver­fet­ten uns kühl­schrän­ke des­halb, so wie das in­ter­net „uns“ laut gasch­ke ver­blö­det?

ich glau­be der mensch ist lern­fä­hig und an­pas­sungs­fä­hig. wir wer­den ler­nen die pro­ble­me die mit neu­en tech­no­lo­gien auf­kom­men (sei es er­näh­rung, in­for­ma­ti­ons­über­flu­tung) in den griff zu be­kom­men, in­dem wir kul­tur­tech­ni­ken ent­wi­ckeln um die ne­ga­ti­ven fol­gen zu dämp­fen. der um­gang mit al­ko­hol­kon­sum in der west­li­chen welt zeigt das ex­em­pla­risch. ob­wohl die ne­ga­ti­ven fol­gen des al­ko­hol­kon­sums nicht zu leug­nen sind, ha­ben wir kul­tur­tech­ni­ken und ta­bus ent­wi­ckelt, um da­mit um­zu­ge­hen. bes­ser zu­min­dest, als es die nord­ame­ri­ka­ni­schen in­dia­ner kön­nen, in de­ren kul­tur al­ko­hol­kon­sum nicht ver­an­kert war (und ist). al­ko­hol­kon­sum ist so tief in un­se­rer ge­sell­schaft ver­an­kert, dass so­gar die alt­ehr­wür­di­ge, ge­sell­schafts­kri­ti­sche wo­chen­zei­tung „die zeit“ der dro­ge al­ko­hol, die jähr­lich al­lein in deutsch­land un­ge­fähr 40.000 men­schen das le­ben kos­tet, brei­ten raum zur ver­herr­li­chung ein­räumt.

sol­che pro­zes­se in der ge­mein­schaf­ten mit ge­fah­ren und ri­si­ken um­zu­ge­hen ler­nen dau­ern mit­un­ter sehr lan­ge, aber was ist die al­ter­na­ti­ve? die zeit kön­nen wir nicht zu­rück­schrau­ben, wir kön­nen we­der al­ko­hol, noch fer­tig­es­sen, noch den frei­en fluss der in­for­ma­tio­nen ver­bie­ten (bzw. wenn wir es ver­such­ten, wä­ren die ne­ga­ti­ven fol­gen ver­mut­lich weit­aus aus­ge­präg­ter als die po­si­ti­ven). wir kön­nen nur ver­su­chen mög­lichst ver­nünf­tig mit neu­en pro­ble­men („di­gi­ta­lis­ten“-sprech: „her­aus­for­de­run­gen“) um­zu­ge­hen.

„Ty­pisch für den Dis­kurs über das In­ter­net scheint mir zu sein, dass sei­ne Prot­ago­nis­ten stets ex­trem über­zeugt auf­tre­ten. Skep­ti­ker hin­ge­gen si­chern sich nach al­len Sei­ten ab und be­to­nen fast im­mer mit gro­ßem Auf­wand, was an der neu­en Tech­nik selbst­ver­ständ­lich ganz aus­ge­zeich­net ist, be­vor sie (zag­haf­te) Kri­tik an­brin­gen.“

gasch­ke mag prag­ma­ti­sche an­sät­ze aber nicht. sie po­le­mi­siert, über­spitzt und spal­tet lie­ber: wer nicht ge­gen das in­ter­net ist, ist da­für, ist ein di­gi­ta­list, ein ideo­lo­ge. prag­ma­ti­sche und dif­fe­ren­zier­te be­trach­tungs­wei­sen kan­zelt gasch­ke als fei­ge und op­pur­tu­nis­tisch ab. sie un­ter­stellt dif­fe­ren­zie­ren­den kri­ti­kern des in­ter­nets, dass sie nicht kul­tur­pes­si­mis­tisch oder alt­mo­disch wir­ken wol­len oder kon­flikt­scheu sei­en.

gasch­ke gibt sich kamp­fes­lus­tig und ag­gres­siv. ge­nau be­trach­tet ist gasch­ke aber gar nicht kamp­fes­lus­tig. sie sehnt sich nur nach an­er­ken­nung. an­er­ken­nung für ihre le­bens­art, ihre hal­tung. sie möch­te nicht mehr als kul­tur­pes­si­mist ge­se­hen wer­den, son­dern als pro­phe­tin. sie will um die deu­tungs­ho­heit rin­gen, da­für kämp­fen, „Tech­nik be­nut­zen zu dür­fen, ohne sie an­be­ten zu müs­sen.“ nur, wer zwingt gasch­ke dazu, tech­nik „an­be­ten zu müs­sen“? mann kann sich doch ent­hal­ten. man muss die neu­en me­di­en nicht lie­ben. und wenn man sie liebt, heisst das nicht, dass man ih­nen völ­lig kri­tik­los ge­gen­über­ste­hen müss­te. ich ver­mu­te, sie will ein­fach ihre ruhe (und recht) ha­ben, sie will das die­ses ge­schnat­ter weg­geht, dass ihre und die stim­men ih­rer in­tel­lek­tu­el­len mit­strei­ter wie­der da sind, wo sie hin­ge­hö­ren: ganz oben, da wo die deu­tungs­ho­heit und re­le­vanz sie sanft um­we­hen. weg mit dem pö­bel-ge­schnat­ter!

ich kann gasch­ke aber auch ver­ste­hen. wenn ich mor­gens im bal­zac sit­ze und am bild­schirm hoch­phi­lo­so­phi­sche tex­te und emails lese, dann stört es schon, dass in dem la­den je­der spre­chen darf. teil­wei­se bel­len so­gar hun­de. je­der meint was zu sa­gen zu ha­ben — in der öf­fent­lich­keit! es ist an­stren­gend und es macht ag­gres­siv, wenn man frem­de, un­ge­be­te­ne mei­nungs­äus­se­run­gen nicht ein­fach aus­fil­tern kann.

was ich aber nicht ver­ste­he, ist gasch­kes ab­leh­nung von ver­füg­bar­ma­chung von wis­sen oder (ge­nau­er) in­for­ma­tio­nen durch das netz. sie lehnt es ja nicht nur des­halb ab, weil die „Di­gi­ta­lis­ten“ in­for­ma­ti­on und wis­sen oft syn­onym be­nut­zen, son­dern weil all­ge­gen­wär­ti­ge in­for­ma­ti­on eine „So­for­tis­mus­kul­tur“ för­de­re. nur, was ist bei­spiels­wei­se der un­ter­schied zwi­schen der al­ter­tüm­li­chen bi­blio­thek von alex­an­dria und dem in­ter­net heu­te? der haupt­un­ter­schied den ich er­ken­ne ist, dass in alex­an­dria das wis­sen der da­ma­li­gen welt nur ei­ni­gen we­ni­gen pri­vi­li­gier­ten zur ver­fü­gung stand. und zwar — wie in je­der or­dent­lich ge­führ­ten bi­blio­thek — so­fort, nur ein paar re­ga­le wei­ter, qua­si „in­for­ma­ti­on at your fin­ger­tips“. im in­ter­net steht das wis­sen plötz­lich al­len zur ver­fü­gung. ob es sich alle an­zu­eig­nen ver­mö­gen, ob alle et­was da­mit an­zu­fan­gen ver­mö­gen, ist na­tür­lich eine ganz an­de­re fra­ge, üb­ri­gens ge­nau wie in ei­ner bi­blio­thek.

aber gasch­ke stört tat­säch­lich dass nun plötz­lich alle zu­griff ha­ben. be­son­ders für kin­der sei es be­son­ders schäd­lich, wenn es kei­ne ge­heim­nis­se, kei­ne ta­bus mehr gäbe. auch die er­wach­se­nen wür­den durch die „So­for­tis­mus-Kul­tur“ in­fan­ti­li­siert: „Der di­gi­tal na­ti­ve aber will nicht rin­gen, er will kli­cken“. ver­mut­lich ro­tiert neil post­man an­ge­sichts sol­cher haus­ma­cher-ma­kra­mee-phi­lo­so­phie, die sich auch noch ex­pli­zit auf ihn be­ruft, in sei­nem gra­be.

apro­pos ma­kra­mee-phi­lo­so­phie. ein gu­tes drit­tel ih­res bu­ches ver­wen­det gasch­ke dar­auf, dar­zu­le­gen wie schäd­lich, kon­zen­tra­ti­ons-, lese- oder bil­dungs­feind­lich das in­ter­net ge­ra­de für kin­der und her­an­wach­sen­de sei. dass auch sport, vor al­lem leis­tungs­sport, das po­ten­zi­al hat ju­gend­li­che zu ver­blö­den oder von ei­ner um­fas­se­nen bil­dung im gasch­ke’schen klas­i­schen sin­ne ab­hält, weiss je­der der schon­mal sport­ler-in­ter­views im fern­se­hen ge­se­hen hat. die pro­ble­me des bil­dungs­sys­tems, mei­net­we­gen auch, um es mal gasch­kes­que aus­zu­drü­cken, die ver­blö­dungs­ten­den­zen un­se­rer ge­sell­schaft sind kein tech­no­lo­gi­sches pro­blem, ge­nau­so wie die lö­sung nicht rein tech­no­lo­gisch mög­lich ist. nie­mand wird ernst­haft be­haup­ten, dass fern­se­her oder com­pu­ter kin­der bes­ser auf­zie­hen kön­nen als en­ga­gier­te el­tern, die ih­ren kin­dern zeit und auf­merk­sam­keit und lie­be schen­ken. (ob­wohl ich durch­aus leu­te ken­ne, die die ers­ten 20 jah­re ih­res le­bens vor dem fern­se­her ver­bracht ha­ben und aus de­nen durch­aus et­was re­spek­ta­bles ge­wor­den ist.) die mi­schung machts und gasch­ke scheint die ju­gend für blö­der zu hal­ten als sie ist. ju­gend­li­che kön­nen sehr gut zwi­schen der an­geb­li­chen schein­welt der so­zia­len net­ze im in­ter­net und de­nen im „wah­ren le­ben“ un­ter­schei­den, ihr sen­so­ri­um ist wahr­schein­lich sehr viel aus­ge­präg­ter als gasch­ke es ih­nen zu­traut. es ist gar nicht mal so un­wahr­schein­lich, dass „das In­ter­net kei­ne ne­ga­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die So­zi­al­be­zie­hun­gen von Ju­gend­li­chen hat – son­dern po­si­ti­ve“. aber selbst wenn gasch­ke recht hät­te und das in­ter­net, oder die mo­der­nen me­di­en, nicht för­der­lich für die ent­wick­lung von ju­gend­li­chen sind, wie­so soll eine ge­sell­schaft, frei nach mark twa­in, kein steak es­sen, nur weil ba­bies es nicht kau­en kön­nen?

aber gasch­ke un­ter­schätzt nicht nur die ju­gend­li­chen, son­dern auch die in­ter­net­nut­zer. für sie sind das al­les hirn­lo­se und ver­ein­sam­te auf-den-bild­schirm-glot­zer, die ei­ner schein­welt er­lie­gen. die po­si­ti­ven fol­gen die die ver­net­zung von men­schen (und in­for­ma­tio­nen) hat, blen­det gasch­ke ein­fach aus. schlim­mer noch, sie nimmt sie gar nicht wahr. wäre ihr buch eine re­stau­rant­kri­tik, wäre es die ers­te re­stau­rant-kri­tik, die ohne das be­tre­ten des be­spro­che­nen re­stau­rants ent­stan­den wäre. sie hät­te dann zwar mit den gäs­ten vor der tür ge­re­det, ta­ge­lang das ge­sche­hen durch die fens­ter be­ob­ach­tet und un­zäh­li­ge bü­cher und un­ter­su­chun­gen von re­stau­rant-kri­ti­kern zi­tiert, aber selbst im re­stau­rant ge­ges­sen hät­te sie nicht. sie hät­te all die er­fah­run­gen die sie an im­biss­stän­den, gu­lasch­ka­no­nen oder ih­rer ei­ge­nen kü­che ge­macht hät­te in ihr buch ein­flies­sen las­sen, aber ihr ur­teil durch ei­nen ei­ge­nen, in­ten­si­ven re­stau­rant­be­such trü­ben las­sen, das hät­te sie wohl nicht ge­wollt.

„[Po­li­tik braucht] Nähe, Be­geg­nung, Streit, Dis­kus­si­on; die Er­fah­rung, leib­haf­tig für ein An­lie­gen zu kämp­fen, bei Ab­stim­mun­gen zu un­ter­lie­gen, ge­wählt oder nicht ge­wählt zu wer­den, Rück­sicht zu neh­men, Kom­pro­mis­se zu schlie­ßen. Das ist eine ganz­heit­li­che Er­fah­rung, die ech­ter Men­schen be­darf, die ein­an­der ken­nen. Sie kann on­line un­ter­stützt und er­gänzt wer­den, aber nie­mals er­setzt wer­den.“

an­ders kann ich mir zu­min­dest nicht er­klä­ren, war­um sie die kul­tur die an vie­len ecken und en­den des in­ter­nets wächst und ge­deiht nicht wahr­nimmt oder eben nicht als kul­tur an­er­kennt, war­um sie so­zia­le netz­wer­ke im in­ter­net als un­per­sön­li­che, ober­fläch­li­che „Er­satz-Ge­mein­schaf­ten“ be­zeich­net und steif und fest be­haup­tet, das netz ent­po­li­ti­sie­re. mei­ne er­fah­run­gen zei­gen das ge­gen­teil. wir ha­ben es im in­ter­net nicht nur mit ma­schi­nen zu tun, son­dern auch mit men­schen. vor al­lem das so­cial-web könn­te, nein, bringt be­reits völ­lig neue kul­tur-tech­ni­ken zu­ta­ge. na­tür­lich gibt es schund und schrott und ab­zo­cker und schar­la­ta­ne und idio­ten und per­ver­se und doo­fe im in­ter­net. so wie das in je­der zei­tungs­re­dak­ti­on, stadt oder auch schu­le ist. al­ler­dings be­haup­ten des­halb nur ganz we­ni­ge, dass zei­tun­gen, städ­te oder schu­len uns des­halb ver­blö­de­ten.

aber: gasch­kes buch hat mei­ne wahr­neh­mung ver­än­dert. neu­er­dings er­wi­sche ich mich manch­mal beim le­sen ei­nes län­ge­ren tex­tes am bild­schirm, wie ich plötz­lich das in­ter­es­se am text ver­lie­re. ich den­ke dann an gasch­ke und ihre the­se, dass man bild­schirm nicht or­dent­lich le­sen kön­ne, reis­se mich zu­sam­men und lese trot­zig den text zu­en­de. spä­ter fällt mir dann manch­mal auf, dass mir das eben­so oft mit zei­tun­gen oder bü­chern pas­siert. ent­we­der bin ich schon to­tal ver­blö­det oder gasch­ke hat es tat­säch­lich ge­schafft mei­ne auf­merk­sam­keit zu schär­fen.

[nach­trag]
ein paar 2009er-re­zen­sio­nen zu gasch­kes buch bei bue­cher.de.


wirnennenesarbeit

felix schwenzel

wenn man ei­nen li­ter milch kauft und eine wei­le ste­hen lässt, wird sie schlecht. mir ge­lingt das so­gar mit h-milch. so ist das auch mit tex­ten fürs in­ter­net. wenn man sie zu lan­ge la­gert, wer­den sie schlecht. denn ei­gent­lich woll­te ich die ul­ti­ma­ti­ve lob­hud­de­lei auf die­ses buch ver­fas­sen. nur so eine lob­hud­de­lei schreibt sich nicht von al­lei­ne. ix schob sie also vor mir her, die lob­hud­de­lei und wuss­te tief im in­nern, das wird nix. also rot­ze ich hier ein­fach ein we­nig lo­ben­den schleim ab, ohne doll in die tie­fe zu ge­hen, wie man das im in­ter­net ja so ger­ne macht.

denn die­ses buch hat schleim ver­dient. viel schleim. weil es, ganz kurz ge­sagt, das was was ich die letz­ten sechs, sie­ben jahr tat, zu­erst mit ei­nem schlüs­si­gen theo­re­ti­schen fun­da­ment er­klärt und da­nach anhnd prak­ti­schen bei­spie­len ver­tieft. mir er­klärt, mei­nen el­tern er­klärt, mei­nen freun­den er­klärt. nur wenn man es kurz zu­sam­men­zu­fas­sen ver­sucht be­lei­ben schmie­ri­ge schlag­wör­ter üb­rig: di­gi­ta­le bo­hè­me, di­gi­ta­les pre­ka­ri­at, ge­ne­ra­ti­on prak­ti­kum, sankt ober­holz, lap­top, ur­ba­ne pen­ner. bei ober­fläch­li­cher wahr­neh­mung bleibt fast ein neo­li­be­ra­ler schmutz­rand am zei­tungs­le­ser zu­rück, der sich aber mei­ner mei­nung in wohl­ge­fal­len auf­löst, wenn man das buch liest oder die bei­den au­toren auf ei­ner le­sung er­lebt.

so ge­ni­al auch die re­duk­ti­on auf die­se schlag­wor­te mar­ke­ting­tech­nisch funk­tio­niert, sie greift zu kurz. das wort „di­gi­ta­le bo­hè­me” kann man be­reits nach der drit­ten re­zen­si­on nicht mehr hö­ren, aber es funk­tio­niert, je­der be­nutzt es, wie man hört re­det selbst hu­bert bur­da von nichts an­de­rem mehr. aber es ist ein mar­ke­ting schlag­wort, der zaun­pfahl um das buch im ge­spräch zu hal­ten.

man soll­te es ein­fach le­sen und nicht nur dar­über le­sen. aus­ser­dem ist es das ers­te buch, in dem ich in der dank­sa­gung zwei­mal vor­kom­me.

ei­gent­lich woll­te ich, dass mein gast­au­tor ge­org das buch nie­der­macht und dar­über ab­läs­tert. lei­der fand er es auch gut. is­ses aber auch. wie­der­ho­le ich mich?

[das oben ge­sag­te gilt voll­um­fäng­lich üb­ri­gens auch für die­se buch, das eben­so wie das oben ge­nann­te ein le­sens­wer­tes blog zum buch hat.]


die arbeit der nacht

felix schwenzel

jo­chen hat­te mich so neu­gie­rig ge­macht, dass ich das [ama­zon-wer­be­link] buch gleich ge­kauft habe. [ama­zon-wer­be­link] tho­mas gla­vi­nic hat mich dann wirk­lich ge­fes­selt. jo­chen sprach von „hor­ror“ und da ist was dran. sel­ten hat mir ein buch auf so ein­dring­li­che wei­se ab­grün­de des men­schen vor au­gen ge­führt und zwar ge­nau so, dass der hor­ror haf­ten bleibt. haf­ten bleibt, wenn man das buch zu­ge­schla­gen hat. es hat zu tag-alp­träu­men ge­führt. kein hap­py-end. es hängt mir ähn­lich lan­ge hin­ter­her wie da­mals se7en. kurz. ein le­cker buch, in 3 ta­gen zu ver­schlin­gen.

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für mich bei dir

felix schwenzel

ker­leo­ne hat auf der blog­mich ein heft­chen mit kurz­ge­schich­ten von sich ver­teilt. ein klei­nes blau­es heft­chen mit dem ti­tel „für mich bei dir“:

zwölf kur­ze tex­te über ei­ni­ge son­der­lin­ge.
zur ein­sor­tie­rung in die glei­che schub­la­de ge­dacht, in die du mich ein­sor­tierst.
da­mit ich ein we­nig ge­sell­schaft habe, bei dir, in dei­ner schub­la­de.

ich habe das heft­chen jetzt län­ge­re zeit in mei­nem ja­cket um­her­ge­tra­gen, bis ich mich dar­an er­in­ner­te und es wie­der raus­zog, vor­ges­tern in der ubahn.

die ge­schich­ten sind kurz und sehr les­bar. ich habe sie in ei­nem zu­stand emo­tio­na­ler schwä­che ge­le­sen, mor­gens um halb sechs in der ubahn, auf dem weg nach­hau­se, nach ei­ner durch­ge­mach­ten nacht im büro. die­se zeit und die bahn sind bes­tens ge­eig­net um ge­schich­ten zu le­sen. trotz der mü­dig­keit war ich hell­wach, war be­geis­tert von dem bild des le­bens in „ukw-le­ben“ die eine wun­der­ba­re par­al­le­le zeich­ne­te: das le­ben sei eine art fre­quenz­band auf dem ra­dio, man su­che nach dem rich­ti­gen sen­der. so­lan­ge man kei­nen sen­der habe, rauscht es schmerz­haft, man has­te zur des­halb nächs­ten sta­ti­on bei der man im­mer wie­der hoff­te, dass sie end­lich das rich­ti­ge lied spie­le. aber nach ei­ni­gen tak­ten er­ken­ne man al­be­kann­tes, ver­hass­tes, un­er­träg­li­ches und dre­he des­halb wei­ter am knopf um sich wie­der in das rau­schen zu stür­zen, auch wenn es weh­tä­te. bei herrn tal­wek, der sich ver­pupp­pen woll­te, schlief ich dann doch ein, wach­te aber zum glück an der schön­hau­ser al­lee wie­der auf.

schö­nes büch­lein, kann man si­cher auch aus­ge­schla­fen le­sen (fragt ker­leo­ne ob ihr auch eins be­kommt, er hat glau­be ich noch wel­che).

[apro­pos in der bahn le­sen: ich habe im­mer wie­der die schwei­zer um ihr „ge­ne­ral­abo­ne­ment“ für die bahn be­wun­dert (qua­si bahn­card 100), mit der man sich in ei­enn zug nach ir­gend­wo set­zen konn­te, am bes­ten in den spei­se­wa­gen, in ir­gend­wo in die ge­gen­rich­tung um­stei­gen und wei­ter­le­sen. in be­we­gung leist man glau­be ich am bes­ten.]


just a geek

felix schwenzel in gelesen

vor ei­ner klei­nen wei­le habe ich mal wie­der ei­nen wunsch von mei­ner wunsch­lis­te er­füllt be­kom­men: just a geek von wil whea­ton [tnx vol­ker!]. ich woll­te erst et­was dazu schrei­ben, wenn ich es ganz durch habe. mir feh­len noch ein paar sei­ten, aber was solls. ein paar zei­len kann ich schon jetzt dazu schrei­ben.

anke hat­te vor ein paar wo­chen mal ei­nen link auf eine sa­lon-sto­ry über pro­mi-blogs. herr whea­ton ist da­bei ganz gut weg­ge­kom­men, zu recht wie anke mein­te. mei­ne ix auch.

[…] and, most fa­sci­na­ting -- and most re­a­da­ble -- of all, a blog from an ac­tor whom few of us have thought much about in re­cent ye­ars but who has be­co­me a kind of touch­stone for many peo­p­le in the rea­der­sphe­re who are sim­ply at­temp­ting to do what they want to do with their li­ves and fin­ding it more dif­fi­cult than they ever ima­gi­ned (Wil Whea­ton, who ap­peared in \"Stand by Me\" as a child ac­tor and in \"Star Trek: The Next Ge­ne­ra­ti­on\" as a teen­ager, and then see­mingly drop­ped off the Earth\'s sur­face).

was herr whea­ton so bloggt und in sei­nem buch schreibt (das zum gros­sen teil aus blog­ein­trä­gen be­steht) be­sticht in ers­te li­nie durch sei­ne ent­waff­nen­de ehr­lich­keit, au­then­ti­zi­tät nennt man das ja heut­zu­ta­ge. er schreibt wirk­lich bru­tal ehr­lich und das aus ei­ner welt zu der wir meist nur durch die öde klatsch­pres­se zu­gang ha­ben, aus hol­ly­wood. nun ist der er­folg von whil whea­ton als schau­spie­ler nicht be­son­ders dol­le, so dass man über den frus­trie­ren­den all­tag von schief­ge­lau­fe­nen vor­sprech­pro­ben, ent­täusch­ten hoff­nun­gen und un­be­zahl­ten rech­nun­gen le­sen kann. di­rekt aus dem her­zen hol­ly­woods, qua­si. ei­nen gros­sen teil des bu­ches neh­men wil whea­tons pro­ble­me mit sei­ner star-trek „kin­der­star“ rol­le als wes­ley crus­her ein, sei­nem aus­stieg und sei­nen zwei­feln ob das da­mals eine rich­ti­ge ent­schei­dung ge­we­sen sein mag.

viel ego­zen­trum, in­tro­spek­ti­on und pro­fi­lie­rung, die lei­der manch­mal zur wei­ner­lich­keit und pa­the­tik ten­diert. trotz­dem ganz le­sens­wert, un­ter an­de­rem we­gen dem duft der gros­sen wei­ten hol­ly­wood­welt und der tat­sa­che das wir nun­mal alle ger­ne gaf­fen. über­haupt ist das mei­ner mei­nung nach ein ganz wich­ti­ger aspekt der das mit dem blog­dings in zu­kunft noch schwer in­ter­es­sant wer­den lässt: durch blog­ger­au­gen, also in­si­der­au­gen in wel­ten schau­en die uns sonst ver­schlos­sen blei­ben. wenn das so ehr­lich und un­prä­ten­ti­ös ge­schieht wie bei wil whea­ton oder dem dem shop­b­log­ger, dann wirds ge­le­sen.

in­ter­es­sant (und das ist das ei­gent­lich the­ma des bu­ches) zu se­hen, wie sich wil whea­ton von sei­ner star-trek ver­gan­gen­heit eman­zi­piert, in­dem er sich selbst neu de­fi­niert — durchs blog­gen, durchs schrei­ben. das macht er, wie ge­sagt, ganz amü­sant, ganz nett und sehr ehr­lich, nur lei­der nicht be­son­ders gut. für ei­nen schau­spie­ler viel­leicht ganz gut, aber ohne sei­ne star-trek-pro­mi­nenz hät­te er es wohl nicht ge­schafft durch sei­ne schrei­be so po­pu­lär zu wer­den.

trotz­dem, kann man le­sen, als blog kos­tets ja auch nix.

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taschen

felix schwenzel

die­ses ta­schen-buch ist nicht von ta­schen, es ist nicht als ta­schen­buch er­hält­lich, ent­hält aber jede men­ge ta­schen.

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besoffen rezensieren

felix schwenzel

darf man das, ein buch re­zen­sie­ren was man noch nicht ganz ge­le­sen hat und das auch noch un­ter al­ko­hol­ein­fluss? ich den­ke schon:

nie sel­ten bin ich so ger­ne u-bahn ge­fah­ren wie eben; vom gör­lit­zer bahn­hof über das gleis­drei­eck zur schön­hau­ser al­lee. ich hat­te das blogs!-buch da­bei und wäre fast bis zur end­hal­te­stel­le durch­ge­fah­ren um wei­ter im bu­che le­sen zu kön­nen. und wie­der zu­rück. ich war nur zu müde.

das buch ist wun­der­bar, es funk­tio­niert. es funk­tio­niert non­line­ar, es funk­tio­niert li­ne­ar. man kann es auf­schla­gen und ein­zel­ne ein­trä­ge le­sen, man kann es durchsur­fenblät­tern, quer oder ge­ra­de, wie man mag. es funk­tio­niert so­gar im ge­schlos­se­nen zu­stand, man hat ein gu­tes ge­fühl wenn es ei­nem auf dem schoss liegt. vor al­lem funk­tio­niert es aber weil es ei­nem die lust am le­sen, die lust am schrei­ben, die lust am text wie­der­schenkt. nei­disch bin ich nicht nur, weil ich nicht an die­sem buch be­tei­ligt bin, son­dern weil die paar tex­te die ich bis jetzt (wie­der) ge­le­sen habe so geil sind - und ma­chen. die­ses buch hat so­viel mit dem in­ter­net zu tun wie ber­lin mit lie­be. näm­lich gar nichts und doch al­les. ohne in­ter­net, ohne die­ses blog­dings wäre das buch viel­licht nicht mög­lich ge­we­sen, und doch ist es eine ganz klas­si­sche text­samm­lung von her­vor­ra­gen­den tex­ten - und au­toren - wie es sie seit der er­fin­dung des buch­drucks gibt (oder ge­ben soll­te). in­ter­net hin. blogs her.

ich lese dar­in zum teil tex­te die ich schon on­line ge­le­sen habe, aber sie wir­ken im buch an­ders. un­mit­tel­ba­rer, glaub­haf­ter, sorg­fäl­ti­ger, ge­setz­ter. ich weiss es nicht. die film­kri­tik von „punch-drunk love“ von anke grö­ner liess mich, als ich sie on­line las, die DVD aus­lei­hen, als ich sie im buch las, trieb sie mir trä­nen in die au­gen; anke grö­ner skiz­ziert den film nach und be­wirft mich zärt­lich mit der es­senz, den in­gre­di­en­zi­en des films, so dass mich der film, die bil­der des films er­neut be­we­gen, der film in der u-bahn wie­der­auf­er­steht.

von dirk hes­se wer­den ge­nau die tex­te aus dem ar­chiv ge­zerrt die es sich dort be­son­ders ge­müt­lich ge­macht hatt­ten und von mei­ner ober­fläch­li­chen art web­logs (on­line) zu kon­su­mie­ren nie mein auge er­reicht hät­ten, al­lein „men­schen, märk­te, sen­sa­tio­nen“ recht­fer­tigt den kauf des bu­ches. ich könn­te wei­ter lob­hud­deln und hät­te vie­le wei­te­re gute grün­de da­für, ich bin jetzt aber wirk­lich zu müde (und ge­trun­ken habe ich auch, merkt man das?) und freue mich aufs u-bahn fah­ren mor­gen.

eins noch. das buch soll­te man so­fort kau­fen, le­sen oder ver­schen­ken kann man es aber auch noch gu­ten ge­wis­sens zu weih­nach­ten, ja selbst zu weih­nach­ten 2005 oder 2006, denn die tex­te sind stark ge­nug die­se zeit zu über­dau­ern. sie sind nicht, wie man be­fürch­ten könn­te, flüch­tig, mit ver­falls­da­tum oder ak­tua­li­täts­zwang ver­se­hen. das buch wird auch in 2 jah­ren noch ein gu­tes buch sein. re­spekt.

p.s.: gut rie­chen tuts auch, das buch.

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wie tim burton gegen walter moers verlor

felix schwenzel

eben big fish von tim bur­ton ge­se­hen. ganz net­ter film. ein paar mal muss­te ich la­chen, die lie­bes­ge­schich­te war rüh­rend, die fi­gu­ren und die ge­schich­te zum teil ganz sku­ril. mehr nicht. das wor­um es in die­sem film ging, das ge­schich­ten­er­zäh­len, war der schwächs­te teil des films.

im ge­gen­teil zu manch an­de­rer ge­schich­te die uns die fi­nan­zi­ell dar­ben­de film­in­du­trie zum frass vor­wirft, war big fish eine der bes­se­ren, aber wenn man vor­her wal­ter moers „die 13 1/2 le­ben des käpt’n blau­bär“ ge­le­sen hat, er­scheint die ge­schich­te drö­ge, lang­wei­lig und ba­nal. ja, käpt’n blau­bär. je­der der ab und zu die sen­dung mit der maus guckt weiss, dass käpt’n blau­bär scheis­se ist. das liegt aber nicht an wal­ter moers, dem schöp­fer der fi­gur, son­dern am wdr, der die rech­te an käpt’n blau­bär von moers ge­kauft hat und da­mit macht was er will, im üb­ri­gen schon län­ger ohne das wohl­wol­len von wal­ter moers. ich ken­ne vie­le er­wach­se­ne die die sen­dung mit der maus lie­ben und re­gel­mäs­sig gu­cken, aber ich ken­ne kei­nen der nicht bei käpt’n blau­bär ab­schal­tet.

ganz an­ders das buch. ich hät­te es wohl nie ge­le­sen, wenn es mir nicht gita, mei­ne chef­buch­emp­feh­lerin, wärms­ten emp­foh­len und ge­schenkt hät­te. wi­der­wil­lig und mit der al­ber­nen stoff­fi­gur aus dem fern­se­hen im kopf be­gan ich das buch zu le­sen und war schnell ge­fes­selt. ge­fes­selt vom sprach­witz, von der un­kon­ven­tio­nel­len art zu er­zäh­len und der aus dem buch trie­fen­den, über­bor­den­den phan­ta­sie. man hat beim le­sen das ge­fühl moers muss­te das buch schrei­ben um nicht vor lau­ter ideen zu plat­zen. wo­her hat er all die ideen frag­te ich mich un­ent­wegt und schwer ei­fer­süch­tig. und die spra­che! kein ein­zi­ger an­gli­zis­mus kommt moers über die lipp­pe. er reizt die deut­sche spra­che aus wie dou­glas adams die eng­li­sche. er kon­stru­iert neue wor­te, neue my­to­lo­gi­sche fi­gu­ren, al­le­samt klug, wit­zig und stim­mig er­zählt. ganz ne­ben­bei er­fährt man auch was in wahr­heit (sic!) mit at­lan­tis pas­siert ist.

ich kom­me mir schon fast vor wie eine trat­schwel­le. den trat­schwel­len be­geg­net kapt’n blau­bär, als er auf ei­nem floss, schiff­brü­chig auf dem meer treibt. ei­gent­lich re­den „trat­schwel­len“ schiff­brü­chi­ge in den wahn­sinn, doch mit dem blau­bä­ren, der, als sie ihn tra­fen noch kein wort spre­chen konn­te, ha­ben sie mit­leid und brin­gen ihm das spre­chen bei. al­les was sie über das spre­chen wis­sen brin­gen sie ihm bei. sei­ne lek­ti­on hat der blau­bär gut ge­lernt, so dass er die 700 sei­ten des buchs als ich-er­zäh­ler mit die­sem wis­sen bes­tens be­fül­len kann.

so kam ich also schon im kino auf den ab­sur­den ver­gleich zwi­schen tim bur­ton, mit sei­ner leicht lang­wei­li­gen, ba­na­len ge­schich­te und wal­ter moers mit sei­nem wit­zi­gen, sprit­zi­gen, mit äus­serst phan­ta­sie­vol­len ge­schich­ten ge­spick­ten buch. den di­rek­ten ver­gleich ge­winnt moers. haus­hoch. le­se­be­fehl.

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kaminer zu 911

felix schwenzel in gelesen

es war erst eine wo­che seit dem ter­ror­an­schlag in new york ver­gan­gen, die fol­gen die­ser welt­ka­ta­stro­phe wa­ren auch am stral­sun­der bahn­hof nicht zu über­se­hen: vor dem deut­schen wurst­la­den stand eine schlan­ge, der dö­ner-stand war da­ge­gen ab­so­lut leer.

wla­di­mir ka­mi­ner, mein deut­sches dschun­gel­buch, sei­te 40

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wie franz beckenbauer mir einmal viel zu nahe gekommen ist

felix schwenzel in gelesen

ich habe es heu­te be­kom­men und es des­halb auch erst heu­te an­ge­fan­gen zu le­sen, aber es macht lust wei­ter­zu­le­sen. da ich ei­gent­lich kei­nen bock habe das ding bei star­bucks am bran­den­bur­ger tor zu le­sen, habe ich es eben beim chi­ne­sen ge­le­sen. die ge­schich­ten sind klas­se. nur die kom­men­ta­re feh­len ir­gend­wie. in­ter­es­sant auch, dass der be­griff der „schlecht ge­fick­ten brot­spin­ne“ bei tex ru­bi­no­witz im vor­wort auf­taucht. die­ser be­griff sorgt ja ge­ra­de in der welt der bloger für un­ru­he und ent­hül­lun­gen.

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taschen´s 1000 favorite websites

felix schwenzel in www

nach­dem M Pu­bli­ca­ti­on letz­te wo­che ei­nen ddc preis ab­ge­sahnt hat, ha­ben wir heu­te er­fah­ren, dass die M Pu­bli­ca­ti­on-web­sei­te in „ta­schen´s 1000 fa­vo­ri­te web­sites“ auf­ge­führt ist.

ich neh­me die er­wäh­nung der web­sei­te als kom­pli­ment, ge­nau­so wie die zwei an­de­ren di­rekt an der ent­wick­lung der web­site be­tei­lig­ten, jule und tom, also pan­atom.

mehr info zum pro­jekt M Pu­bli­ca­ti­on Web­sei­te.

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die kugeln in unseren köpfen

felix schwenzel in gelesen

max goldt, die ku­geln in un­se­ren köp­fen

ich habs zwar noch nicht ganz durch, aber eins der ka­pi­tel in max goldts buch in dem er von sei­ner ame­ri­ka-rei­se be­rich­tet war so wit­zig, dass mich mit­rei­sen­de in der ei­sen­bahn wohl für eine art ho­nig­ku­chen­pferd oder geis­tig-her­aus­ge­for­der­ten ge­hal­ten ha­ben müs­sen, weil ich mir dass grin­sen beim le­sen nicht ver­knei­fen konn­te. aus las ve­gas be­rich­tet roy goldt:

an der re­zep­ti­on reich­te man uns eine kar­te, die wir, da dar­auf ein wald, was­ser­fäl­le, ein dut­zend re­stau­rants, der swim­ming-pool der ti­ger von sig­fried und roy und ein del­phi­na­ri­um ein­ge­zeich­net wa­ren, zu­erst für ei­nen stadt­plan hiel­ten. es han­del­te sich aber le­dig­lich um eine ori­en­tie­rungs­hil­fe durch die ho­tel­hal­le.

klas­se buch, das mich mal wie­der dar­an er­in­nert, dass ne­ben wla­di­mir ka­mi­ner auch noch ein an­de­rer „deut­scher“ au­tor lus­tig ist.

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