buchfrage

felix schwenzel, , in wirres.net    

Am 11.10.2010 um 18:56 schrieb felix schwenzel:

hallo sascha,

leider kann ich dir diese buchfrage nicht über lovelybooks.de stellen, da ich mich nicht kurz genug fassen kann. deshalb stelle ich sie dir per email und wirres.net, wo ich die frage und deine eventuelle antwort gerne veröffentlichen würde.

aus purer neugier habe ich eben bei piratebay nach „strohfeuer“ gesucht. leider kenne ich mich mit der illegalen beschaffung von lesewaren nicht besonders gut aus, so dass ich nach dieser einen stichprobe einfach mal annehme, dass dein roman (noch?) nicht als ebook raubkopiert wird.

mich würde aber interessieren, was du persönlich darüber denken würdest, wenn das der fall wäre. oder anders gefragt, ich frage mich, was ich denken würde, wenn ich ein buch geschrieben hätte und ich es in unautorisierter form, kostenlos im internet herumliegend finden würde. ich frage mich ob ich mich dann freuen würde, ein buch geschrieben zu haben, dass einige leute so relevant finden, dass sie sich die mühe machen es zu digitalisieren oder den kopierschutz zu knacken, oder ob ich mich darüber ärgern würde, weil mir dadurch einnahmen oder umsatz- und absatzzahlen verloren gingen.

mir fehlt leider die phatasie, mich in diese situation angemessen einzufühlen, weshalb mir auch partout kein massstab einfällt, wie ich, wäre ich in dieser situation, meinen ärger quantifizieren sollte. wie würde ich den möglichen aufmerksamkeitsgewinn gegen den potenziellen einnahmeverlust abwägen? spielen die einnahmen aus dem buchverkauf für mich als autor überhaupt eine so grosse rolle? müsste ich neben meinen interessen, aus fairness oder solidarität, auch die interessen des verlages bedenken? oder sollte ich den worten cory doctorows glauben schenken, der behauptet, das unautorisierte verteilen in tauschbörsen, bzw. die möglichkeit das buch kostenlos herunterladen zu können, den verkaufszahlen hilft?

deshalb frage ich dich: wie fändest du es, wenn dein buch irgendwo in den weiten des internets unautorisiert herunter zu laden wäre?

würdest du dich freuen oder ärgern? und warum?

liebe grüsse, ix

Am 12.10.2010 um 10:11 schrieb Sascha Lobo:

Wenn "Strohfeuer" illegal herunterzuladen wäre, würde mich das ärgern. Was mich fast noch mehr ärgert, sind Behauptungen wie die von Cory Doctorow, unautorisiertes Verteilen in Tauschbörsen würde generell den Verkauf fördern (über seinen speziellen Fall hinaus). Das halte ich für eine anbiedernde Schutzbehauptung: er hat Angst, dass seine Nerd-Fans ihn sonst doof finden.

Es ist ja nicht so, dass ähnliche Mechanismen für Deutschland nicht überprüft worden wären. 2007 haben wir mit der Riesenmaschine bei Heyne (Random House) ein Papier-Taschenbuch auf den Markt gebracht, das gleichzeitig kostenlos herunterzuladen war (und auch immer noch ist). Das Ergebnis war ernüchternd; das Buch wurde über 20.000 Mal heruntergeladen, mit einem Klick, ohne irgendwelche Daten hinterlassen zu müssen, was nicht besonders leicht mit Random House herauszuverhandeln war – und die Verkaufszahlen waren sehr, sehr gering. Die Übertragung des Interesses vom Ebook zum gedruckten Buch hat zumindest in diesem Fall überhaupt nicht funktioniert. Das habe ich vorher befürchtet, aber ich halte viel davon, theoretische Annahmen auch praktisch auszuprobieren, weil ich selbst die Erfahrung gemacht habe, dass man trotz Fachwissen, Erfahrung und Gefühl immer noch grauenvoll falsch liegen kann.

Dass die Verbreitungseffekte von illegalen Tauschbörsen für den Verkauf von Musik tatsächlich anders gelagert sein könnten und es dort für diese Effekte auch solidere Untersuchungen gibt, steht auf einem anderen Blatt. Allerdings einem Blatt, das mir nicht so wichtig ist – denn ich halte es für richtig, für Kulturgüter zu bezahlen, wenn der Urheber sich das so ausgesucht hat. Ich glaube an das Recht des Urhebers, über die Bedingungen der Verbreitung seines Werkes zu bestimmen, zumindest für eine bestimmte Zeit. Wer das nicht tut, muss konsequenterweise so etwas Gutes wie Creative Commons ablehnen, denn auch dafür ist die Grundlage, dass der Urheber bestimmen darf, was mit seinem Werk passieren darf und was nicht. Dass das Urheberrecht in seiner aktuellen Form in vielen Punkten für das digitale Zeitalter ungeeignet ist, ist absolut richtig. Die Abschaffung von "geistigem Eigentum" als Reaktion wäre absolut falsch. Die Abschaffung würde denjenigen wirtschaftlich nützen, die ohnehin die größte Wirkmacht haben. Die Funktion des geistigen Eigentums schützt den Urheber, egal, wieviel Geld der hat, diese Schutzfunktion des Schwächeren gegenüber dem Stärkeren wird oft unterschlagen.

Wer "Strohfeuer" oder irgendein anderes Buch illegal herunterlädt, handelt in meinen Augen egoistisch. Er nutzt ein Produkt, will aber dafür nicht bezahlen. Das Argument, er würde das Buch sonst gar nicht kaufen und das eBook bloß kopieren und nichts wegnehmen, kann ich ebensowenig gelten lassen wie bei jemandem, der im Zug nicht bezahlen will. Dadurch geht auch nichts kaputt, man nimmt nichts weg, der Zug fährt sowieso, es entsteht "nur" ein virtueller Schaden und trotzdem ist es allgemein als unanständig anerkannt. Als schwerwiegendes Verbrechen empfinde ich das aber nicht, sondern eben als Unanständigkeit. Kann man unter dem Schutzmantel der Siebzehnjährigkeit mal machen, aber irgendwann ist es sinnvoll einzusehen, dass illegales Herunterladen ein schmieriger Akt ist, wenn einen Klick weiter das Produkt legal zu kaufen ist. Für den illegalen Download aus einer Art Notwehr heraus, wenn das digitale Kulturprodukt aus grotesken Anwaltsgründen erst drei Jahre später oder nie verfügbar ist, habe ich aber durchaus Verständnis.

Der mögliche Aufmerksamkeitsgewinn, von dem oft gesprochen wird, interessiert mich exakt null, erst recht von denjenigen Leuten, die illegal herunterladen, denn deren Aufmerksamkeit ist in diesem speziellen Fall nichts wert, und zwar ihnen selbst nichts wert. Es geht an dieser Stelle vor allem um Geld, Geldflüsse sichern einen Großteil der Kultur, in allen möglichen Bereichen. Wer das ablehnt, soll entweder konsequent für die Abschaffung des gesamten Systems kämpfen, das respektiere ich politisch – oder akzeptieren, dass man für Kulturgüter bezahlt. Aber nicht den Kapitalismus an der Stelle toll finden, wo es einem nützt, und nur dort doof finden, wo er der eigenen Bequemlichkeit im Weg steht. Um diesen sehr, sehr komplizierten Prozess zwischen Markt und Kultur zu organisieren, gibt es Verlage – Autoren allein könnten das nicht. Die Verlage da allesamt undifferenziert zu verteufeln und als "blöde Contentindustrie" zu beschimpfen, zeugt von erheblichem Unwissen und geringer Kenntnis der Funktionsweise der Kulturlandschaft. Mir ist bewusst, dass Teile der diffusen "Internetszene" meine Haltung ganz fürchterlich finden. Das ist ihr gutes Recht, genauso wie es mein Recht ist, sie dafür fürchterlich zu finden.

Am 12.10.2010 um 19:46 schrieb felix schwenzel:

ich weiss gar nicht so genau, ob doctorow gesagt hat „unautorisiertes Verteilen in Tauschbörsen würde generell den Verkauf fördern“, da hast du meine ungenaue wiedergabe von doctorows worten vielleicht überinterpretiert. ich habe kürzlich folgendes von doctorow gelesen:

For me, the answer is simple: if I give away my ebooks under a Creative Commons licence that allows non-commercial sharing, I'll attract readers who buy hard copies. It's worked for me – I've had books on the New York Times bestseller list for the past two years.
What should other artists do? Well, I'm not really bothered.

ich lese das eher wie: soetwas kann funktionieren, oder eben auch nicht. für mich verhält sich das ein bisschen so wie die parallele von deutschen und amerikanischen techblogs. man kann ein paar jahre lang ein tech-blog aufbauen und dann mit etwas glück den laden für ein paar millionen an AOL verkaufen, aber wenn man das in deutschland versucht, kann man auch mit 5000 lesern am tag und knietief im dispo enden. äpfel und birnen amerika und deutschland sind schwer zu vergleichen, was aber nicht heissen muss, dass äpfel unwahr sind.

dass die urheber selbst bestimmen können sollen, was mit ihren werken geschieht ist, glaube ich, mehr oder weniger unstrittig, selbst wenn das werk durch und durchgehegemannt ist, sollte es dem hegemann überlassen bleiben, wie das buch vertrieben werden sollte (hegemann hat es übrigens immerhin mit einem film in die tauschbörsen geschafft). genauso wie es unstrittig ist, dass es hierzu durchaus ausnahmen gibt. kafka wäre ein beispiel bei dem es durchaus (von mir aus „gesellschaftlich“) sinnvoll erschien, sich dem willen des urhebers zu entziehen. ebenso von ausnahmen durchwoben sehe ich urheberrechtsfragen bei nachrichten oder anderen gesellschaftlich relevanten geistigen (recherche- oder forschungs-) leistungen.

aber das war auch nicht meine frage, noch sehe ich es als streitpunkt. schwarzfahren ist verboten und ich habe kein problem damit, wohl aber mit drakonischen strafen, wie kinder nachts an ostdeutschen landbahnhöfen auszusetzen, oder schwarzfahrer zu verprügeln.

die frage war eher: ist das auftreten von schwarzfahrern oder blinden passagieren nicht ein zeichen dafür, dass man ein relevantes, atraktives produkt anbietet, dass man etwas geschaffen hat, was die leute unbedingt haben oder nutzen wollen und ist das gegenteil, keine schwarzfahrer, keine blinden passagiere, keine schwarzkopierer nicht vielleicht ein zeichen dafür, dass man etwas anbietet, was nur sehr wenige leute interessiert?

ich will das nicht negativ klingen lassen, im gegenteil, was ich sagen will: würde ich ein buch geschrieben haben und würde es in tauschbörsen auftauchen, ich glaube ich würde ne flasche relevanz-schampus aufmachen und mir auf die schulter klopfen.

und noch eine frage (nicht speziell an dich, sondern einfach mal so in den raum gestellt): wer hat das „geistige eigentum“ an banksys simpsons opener, den fox von youtube hat entfernen lassen? fox, banksy, groening, spon oder gar ein einhorn?

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[nachtrag 12.10.2010]
marcel weiss hat ein paar ganz kluge, lesenswerte anmerkungen zum saschas und meinem mailwechesel und zu ein paar der kommentare hier.

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[nachtrag 16.10.2010]
hier gehts weiter mit sascha lobos antwortantwortantwort.