wieder ein artikel auf spiegel online, in dem bernie sanders gemeinsam mit donald trump in die radikale populisten-ecke gestellt wird:
Welche Ironie, dass sich die Etablierten ausgerechnet von Trump und Sanders die Leviten lesen lassen. Trump hat nicht einmal ansatzweise ein politisches Konzept, nahezu sämtliche Probleme lassen sich aus seiner Sicht mit einem Mauerbau an der Grenze zu Mexiko lösen. Und Sanders ist ein interessanter Mann mit einer Menge Enthusiasmus. Aber dass er sich als Inbegriff der Integrität inszeniert, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Auch er hat das öffentliche System der Wahlkampffinanzierung gemieden, weil er wusste, dass Privatspenden seine Schatulle voller machen.
ich verstehe den letzten satz nicht. inwiefern hat bernie sanders „das öffentliche System der Wahlkampffinanzierung gemieden“? was ist das überhaupt, „das öffentliche System der Wahlkampffinanzierung“? meint veit medick, dass sanders sich in seiner zeit als senator nicht dafür eingesetzt hat, die amerikanische wahlkampffinanzierung zu verstaatlichen? denn bekanntlich gibt es in den USA keine staatlich geregelte finanzierung der parteien oder kandidaten. sie sind auf spenden von privatpersonen oder von interessensgruppen angewiesen, die sich unter anderem in „PACs“ organisiseren. tatsächlich setzt bernie sanders auf privat- und kleinspender und versucht grossspender und verbände aus seiner wahlkampffinanzierung rauszuhalten. wenn ich mich recht erinnere, hat barack obama das auch recht erfolgreich getan.
was bernie sanders am amerikanischen wahlkampfsystem kritisiert, finde ich auch nicht besonders kom- oder ironisch. er kritisiert, dass sich superreiche und lobbyverbände, vor allem aus der finanzindustrie, mit grossen spenden zu sehr in die politik einmischen. die kritik ist nachvollziehbar und sanders ist bei weitem nicht der einzige, der sie äussert. dass er sich von kleinspendern finanzieren lässt ist eine geste um unabhängigkeit zu demonstrieren und nicht um „schatullen“ zu füllen.
aber mal im ernst, was meint veit medick mit seinem letzten satz, was ist das „öffentliche System der Wahlkampffinanzierung“ und wo ist die ironie, bzw. komik, die ich nicht erkenne?
Die Beschränkung ist demnach eine der Höhe nach. Wenn man staatliche Unterstützung im Anspruch nimmt, müssen die Gesamtausgaben unter einer Grenze liegen, die man überschreiten kann, wenn man sich nur durch private Spenden finanziert.
text der woche, von peter glaser (der text gefällt mir, also bin ich):
Der Versuch, Wege aus der Heillosigkeit der Gegenwart zu finden, führt zu einer ziellosen Entschiedenheit, Motto: Ich weiss zwar nicht, wo ich hinwill, aber dafür bin ich schneller dort.
Das einzige, das wirklich gegen die neue Langeweile, die sich aus einem Rauschen von Kurzweilepartikeln zusammensetzt, ist Veränderung. Nun ist die Veränderung selbst zum Hauptprodukt der Entwicklung geworden. Dies war die letzte Neuigkeit der Welt.
Hier kommt die AFD zu Wort: Hochprofessionell interviewt heute-show Journalist Carsten van Rissen den AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen.
Besser als alle sonstigen Interviews mit der AFD!
ich mag carsten van ryssen nicht, zumindest nicht als ich ihn zuletzt hin und wieder bei polylux sah, wo er auf dem alexanderplatz wenig intelligent aussehenden leuten, wenig intelligente sachen aus der nase zog. die heute show mag ich auch nicht. oliver welke mag ich ebenso wenig und die afd sowieso nicht.
was mich aber verrückt macht, sind links auf die 2DF-mediathek, die wegen eines fehlenden flash-plugins auf die startseite der mediathek landen, so wie derzeit bei mediasteak.de, wenn man den link bespielsweise in safari klickt. deshalb hier ein link zu dem besagten ausschnitt der auch mit flashlosen browsern funktioniert, der aber keinesfalls eine ansehempfehlung oder gutfindung sein soll: Carsten van Ryssen bei der AfD
und weil das ZDF seine mp4-dateien exponiert, kann man die ausschnitte natürlich auch einbetten:
Für Donnerstag hatten sich die Moderatoren etwas besonders Unangenehmes einfallen lassen: In Videoeinspielern wurden Cruz und Rubio mit widersprüchlichen Aussagen zur Einwanderung gezeigt. Mal pro Amnestie für illegale Einwanderer, mal contra.
Eine einfache, aber äußerst effektive Idee, die beide erkennbar verunsicherte. […] Schade nur: Man hätte sehr gerne gesehen, wie der Sender auch Donald Trump mit seiner inhaltlichen Flexibilität konfrontiert hätte. Ging aber nicht.
ging schon, allerdings nicht auf fox, sondern auf CBS:
Dass wir kein „Wahrheitsministerium“ haben, ist nur ein halber Trost, wenn die Demokratie das „Gleichdenk“ auch ohne Geheimpolizei erzwingen kann. Deshalb sollten wir Orwell und Tocqueville lesen, immer wieder.
ich bin mir nicht sicher, ob ich guten gewissens sagen kann, wir sollten „immer wieder“ joffe lesen. er ist zwar sehr kreativ darin andersdenkende als naiv zu diffamieren, aber seine logik scheint mir zuverlässig fehlerhaft zu sein, auch in diesem text.
das erste was auffällt ist dass er in die martenstein-übergeigungsfalle tappt, wenn er diskussionen über den umgang mit bestimmten ereignissen als „denk-“ und „sprechverbote“ diffamiert. das ist genauso stumpf wie gelöschte kommentare in blogs oder unter journalistischen texten als „zensur“ zu bezeichnen. den ausschluss von diskussionen mit staatlicher erzwungener publikationskontrolle oder publikationverboten zu vergleichen ist aber nicht nur kurzsichtig und dumm, sondern auch abstumpfend. wenn alles zensur ist, wie soll man dann noch echte zensur differenzieren können? von „sprechverboten“ zu reden, obwohl es keine verbote gibt, sondern sprechen hier und da lediglich zu kritik führt, vergiftet die debatte und lenkt von den themen auf eine unheilvolle metaebene ab.
am ende seines textes versucht er dann nicht etwa die verwendung des wortes „sprechverbot“ als irrtum darszustellen, sondern die diskussion über berichterstattung als „dreifachen Irrtum“:
Das Sprechverbot entspringt einem dreifachen Irrtum.
Einmal, weil Benennung („Flüchtlinge haben …“) nicht Bezichtigung ist („So sind die Araber“). Zum Zweiten, weil die Randständigen keine Nachhilfe brauchen; sie haben ihre Vorurteile schon. Das Vor- Urteil schafft sich seine Fakten selber durch selektive Wahrnehmung – wie bei jeglichem „Anti-Ismus“.
wenn andere bereits vorurteile haben, kann es also nicht schaden, vorurteile zu befeuern? oder aufklärung, ausgewogene und vorurteilsfreie berichterstattung bringen niemanden von seinen abstrusen ansichten ab, sind also quasi müssig? vermutlich ist der zitierte absatz einfach joffe-sprech für den dummsprech-satz: „haters gonna hate“.
im nächsten absatz macht joffe dann aber eine 180°-wende. plötzlich sind sprache, nuancierung und subtile signale für die braven „randständigen“ dann doch wichtig:
Zum Dritten, weil der brave Bürger ins Grübeln gerät: Wenn Polizei, Politik und Medien die Tatsachen schönreden, ja mir „Rassisten“ das Maul verbieten, wie kann ich noch den demokratischen Institutionen trauen? Pegida und Co. sind Geschöpfe und Sprachrohre der Entfremdung. Die frisst sich in die Mitte, wenn das verordnete Gutdenk die Realitäten verdrängt und die Wohlmeinenden den Demagogen zutreibt.
wenn „brave Bürger“ selektive wahrnehmung betreiben, schrillen in joffes kopf dann doch die alarmglocken. was joffe hier sagt, muss man sich mal auf der zunge zergehen lassen: es müsse möglich sein auch rassistisch und demagogisch zu berichten und ressentiments zu bedienen, damit „brave Bürger“, die selektiv wahrnehmen und demokratischen institutionen gegenüber skeptisch sind, nicht den demagogen zugetrieben werden.
wenn ich mich nicht irre, ist das die klassische CSU-strategie. rassisten, flachdenker, vorurteils-aficionados umarmen und umgarnen, damit sie ihre position halten und rechts-innen, statt rechts-aussen wählen. ich glaube man könnte diese strategie zur verdeutlichung auch ins extrem aufblasen: zum arschloch werden, um arschlöcher zu werben und damit zu verhindern, dass arschlöcher sich anderen arschlöchern anschliessen.
an paenhuysen über eine ausstellung in der saatchi gallery, die 14 frauen vorstellt:
[2010] the Brooklyn Museum showed “Seductive Subversion: Women Pop Artists, 1958-1968” and since then many have followed suit. Auction houses have also jumped on the bandwagon and last year Sotheby’s put on the exhibition “Cherchez la femme: Women and Surrealism”.
The droll thing is that it’s never the other way around: “Men and Pop”, “Men and Surrealism”. Why not? Because it’s considered to be norm, no need to emphasise the male gender. If Saatchi Gallery would have mounted an exhibition with 14 male artists, nobody would call it a male exhibition. I remember the shock I got in 2014 at the Hans Richter show in Martin Gropius Bau in Berlin, curated by Timothy Benson of LACMA. In this exhibition they showed Richter together with his colleagues Laszlo Moholy-Nagy (no, not his artist wife Lucia!), Viking Eggeling, Walter Ruttmann, Theo van Doesburg, John Cage, Marcel Duchamp, Fernand Léger, and Max Ernst. There was one woman who made it onto the wall, Irene Bayer-Hecht, for making a portrait of her husband Herbert Bayer. The preface of the exhibition catalogue was written by the five (male) directors of major institutions stating that Hans Richter worked with the “who’s who” of the 20th century avant garde – they were all male artists.
(hervorhebung von mir)
neben der tatsache, dass frauen sehr oft, sehr unberechtigterweise ignoriert werden, sei es bei der ausstellungskuratierung, besetzung von diskussionspanels oder der organisation von konferenzen, ist es eben immer noch bei vielen von uns so, dass wir wir einen männerüberschuss bei ausstellungen, konferenzen, führungspositionen, abgeordnetenplätzen oder regierungsämtern als normal empfinden — weil wir es so gewohnt sind. nun ist aber das argument „haben wir schon immer so gemacht“, das schlechteste, denkbare argument um etwas zu tun. eigentlich ist es auch kein argument, sondern ein hinweis darauf, dass man sehr an seinen gewohnheiten hängt und in gewisser weise faul und ignorant ist.
bequemlichkeit und ignoranz sind dinge, an denen wir alle leiden — und ich nehme mich da explizit nicht aus. ich hänge auch sehr an meinen gewohnheiten — und weil ich das weiss, versuche ich mich hin und wieder dazu zu bringen, bestimmte gewohnheiten und verhaltensmuster zu ändern. und ich freue mich über hinweise, die mir diese muster gelegentlich vor augen halten.
in diesem sinne nehme ich an paenhuysen’s oben verlinkten text auch nicht (in erster linie) als kritik an der saatchi-galerie wahr, sondern als hinweis, als aufforderung die alten denkmuster und gewohnheiten mal zu überdenken. und sie tut das auch sehr konstruktiv, wenn sie am ende sagt:
Okay, all good, but what exactly would be a radical thing to do for Saatchi Gallery? Well, it would have been, for instance, much more radical of them to make an exhibition about something as random as eyeglasses in the 20th century that just happened to feature only works by women artists. Would anybody notice? As it is, talking male and female seems to be so 20th century. Aren’t we living in a time that it’s generally acknowledged that there are more than two genders? Putting on an all-women exhibition is as original as making a show about let’s say Belgian artists – it repeats the boundaries in society and it pigeonholes artists. I personally have nothing against quotas and I would have loved it if Saatchi had declared that from now on 50% of every group exhibition will comprise works by female artists. And that would be the moment when we could start talking about a real shift in the art world.
eine quote.
ich habe mir in den letzten 10 jahren, in denen (gesetzliche) quoten hier diskutiert wurden, nie eine abschliessende meinung gebildet. allerdings haben mich die argumente pro quote stets besser überzeugt, als die gegenargumente. das schäbigste argument ist bekanntlich der spruch, dass es nicht ums geschlecht gehen solle, sondern stets um die qualifikation. dem widerspricht eine quote meiner meinung nach überhaupt nicht, natürlich soll es auch mit einer quote stets um die qualifikation gehen, aber eben unter berücksichtigung (auch) des geschlechts. das mag die suche nach geeigneten kandidaten und kandidatinnen erschweren oder in die länge ziehen, aber mangel an Geeigneten* heisst ja nicht, dass es keine gäbe, sondern dass es schwerer, aufwändiger oder teurer ist, welche zu finden die den vorgaben, erwartungen, qualifikationen und der quote entsprechen.
aber genau das, die einschränkung von optionen, das verbot von einfachen, bequemen oder gewohnten lösungen, ist genau das, was kreativität freisetzt und umdenken, neudenken anregt. das funktionsprinzip von solchen einschränkungen kann man bei twitter beobachten, wo das tägliche abkämpfen am 140-zeichen-limit teilweise zu kreativen höchstleistungen führt. genauso führt das abkämpfen an physikalischen gegebenheiten (siehe auch →gravitation) oder gesetzlichen vorgaben bei der architektur immer wieder zu lösungen, auf die man sonst nie und nimmer gekommen wäre (siehe auch →fractional horsepower).
sich an vorschriften oder einschränkungen abzukämpfen ist einerseits dünger für ideereichtum, aber andererseits alltag, in jedem bereich, in der wirtschaft, in der kultur, in der freizeit. in der wirtschaft hat derjenige am meisten erfolg, der sich durch den dschungel an vorschriften und einschränkungen besser durchwuselt, als die konkurenz. ohne rahmen, ohne einschränkungen und vorschriften oder spielregeln, gibt es keine exzellenz.
eine (frauen) quote wäre, aus meiner sicht, in sehr vielen bereichen ein hervorragendes hilfsmittel um unseren blick zu schärfen und eine aufforderung, uns von vermeintlichen normen zu lösen und besser hinzuschauen, anders hinzuschauen und am ende gerechter und fairer zu handeln.
im kleinen kann man meiner meinung nach aber auch viel tun, nämlich jedes mal laut darauf hinzuweisen, wenn veranstaltungen es vergessen auf ein ausgeglichenes teilnehmenfeld zu achten, oder diversität als unwichtg, niedrig priorisiert erachten. das passiert derzeit recht lautstark bei der oscar-verleihung, das passiert hin und wieder bei konferenzen, die ihre männer-only-teilnehmerliste stolz vorstellen, um dann später hinterherzuschieben, dass die liste natürlich nur vorläufig gewesen sei und dann nach und ein paar alibi-frauen nachschieben.
ich werde es mir jedenfalls zur gewohnheit machen, jedes mal wenn veranstalter (oder produzenten oder kuratoren) das mit der ausgeglichenheit oder diversität vergessen, etwas zu sagen und es danach unter „pimmelfechten“ zu kategorisieren.
es ist ja nicht so als würde Open-Source nicht funktionieren und sogar bestehen. Wenn Joha den aktuellen Produkt-Chef von Mozilla zitiert „[Mozilla] sei der Test, ob eine gemeinnützige Organisation zum Wohl der Öffentlichkeit bessere Produkte bauen kann als die bestgeführten Firmen der Welt“, dann kann ich nur sagen: Der Test ist nicht mehr nötig. WordPress und Drupal haben das längst bewiesen.
sehr guter kommentar zu diesem artikel von johannes kuhn über die mozilla stiftung.
Dieser Artikel von William Saletan hat mich dazu geführt, für GMO zu sein. Saletan's Twitter Bio ist "When people say 'don't go there.' I go there" - das finde ich ganz entzückend.
der artikel von william@saletan (vom juli 2015) ist sehr lang, aber auch sehr überzeugend. ich bleibe grundsätzlich (natürlich) skeptisch, ebenso, wie ich grundsätzlich nichts gegen genmanipulationen habe, auch wenn sie vom menschen durchgeführt werden. einerseits weil das erbgut von organismen sowieso seit jahrmillionen durch umwelteinflüsse, gifte, strahlen und geschlechtsverkehr brutal manipuliert und mutiert wird und andererseits, weil genamanipulation eine der ältesten kulturtechniken der menschheit ist. und manche menschen essen die produkte dieser jahrtausendealten genmanipulation angeblich sogar; zumindest habe ich davon gehört, dass chinesen hin und wieder hundefleisch essen.
meine skepsis bezieht sich eben nicht auf die genmanipulation selbst, sondern vor allem auf bestimmte effekte die die industrialisierung des essens (ebenso wie im technologiesektor) mit sich bringt: patentmissbrauch, kommerzialisierung und privatisierung von natürlichen resourcen oder öffentlichen gütern — oder die geringschätzung von artenreichtum (siehe zum bespiel dw.com: „Den Kartoffelreichtum in die Zukunft retten“).
aber selbst die industrialisierung der nahrungsmittelproduktion mag ich seit diesem artikel (erstmals verlinkt vor einem monat) nicht mehr so skeptisch sehen: industriell erzeugte lebensmittel sind unterm strich resourcenschonender und zukunftsfähiger als obst und gemüse aus traditionellem, regionalem anbau. und schmecken nicht unbedingt schlechter, im gegenteil.
oder anders gesagt: was in der gentechnikdebatte vor allem fehlt, ist differenzierung und das unterlassen von panikmache („fearmongering“) und FUD-techniken — auf allen seiten.
(die gegenrede zu saletans artikel lässt sich leicht googeln, hier ein beispiel.)
Fefe beendet seinen Artikel mit einer Schlussfolgerung: „Und dann fiel mir auf, dass zu jedem mir bekannten Thema Twitter aus den Leuten die schlechtesten Seiten herauskehrt. […] Wer einen Twitter-Account betreibt, ist Teil des Problems.“
Muss man hier vielleicht noch weiter gehen? Müssen wir das Netz, und gesellschaftliche Teilhabe hier vielleicht wieder abwerten? Oder ist es dafür schon zu spät, die Hass-Büchse des Pandora-Facebook-Stammtisch-Faschismus längst geöffnet und wir bekommen sie nicht mehr zu?
ben_ zitiert fefe und widerspricht ihm nicht. ich ignoriere den pauschalisierenden und dummen scheiss den fefe ins netz kotzt meistens. beide reaktionen, einerseits fefe (mehr oder weniger) widerspruchslos zu zitieren und andererseits pauschalisierende, dumme sprüche unkommentiert stehen zu lassen, sind wohl unzureichend, aber ich möchte mir zumindest die mühe machen, ben_ zu widersprechen, bzw. die aussagen und fragen in seinem artikel zu kommentieren.
das was ben_, etwas nebulös, „abwerung des netzes“ nennt, bzw. als problemlösung für radikalismus, meschenfeindlichkeit und allgemeeine arschlochigkeit im netz vorschlägt, scheint mir die schlechtesmögliche lösungsstrategie zu sein; emigration als problemlösung. sich von arschlöchern distanzieren, indem man wegläuft oder sich entfernt. oder den ort, an dem sich arschlöcher aufhalten, einfach als spielplatz, als unwichtig umzudeuten.
anderen möglichkeiten, den ort zu stabilisieren, zu zivilisieren, aufzubauen, (mit) zu gestalten, weicht man so elegant aus. anders gesagt: wenn in bussen und bahnen ständig gepöbelt und rumgedroht wird, sollte man dann sagen, busse und bahnen sind für pack, ich fahre ab jetzt lieber auto? oder sollte man versuchen busse und bahnen mit genau den menschen zu füllen, die sonst lieber auto fahren? sollte man versuchen die deppen mit vernünftigen menschen zum schweigen zu bringen, busse und bahnen mit aller kraft und phantasie zu zivilisieren, statt sich aus ihnen herausdrängen zu lassen?
der (kleine) schlossplatz in stuttgart war vor der jahrtausendwende ein unerfreulicher, stinkender, vernachlässigter, dunkler ort an dem sich abends nur unerquickliche menschen aufhielten. statt diesen unrühmlichen ort abzuwerten oder zu behaupten, er sei gescheitert, wurde er in privatinitiative aufgewertet: dort öffnete eine kneipe (pauls boutique). das brachte so viel leben, so viel energie auf den schlossplatz, dass er sich rasch zu einem der attraktivsten orte in stuttgart entwickelte. wenn ein ort nicht funktioniert oder seine nachteile die vorteile zu überwiegen scheinen, heisst das nicht unbedingt dass der ort gescheitert oder kaputt ist. es kann auch bedeuten, dass die bisherige nutzung falsch war, dass ideen fehlten, dass die richtigen menschen fehlten.
der kleine schlossplatz wurde 2005 in seiner ursprünglichen form abgerissen, bzw. neugestaltet. das grundprinzip der nutzung, gastronomie, läden und abendattraktionen, wurde aber aus der blütezeit von pauls boutique übernommen — und funktioniert nach wie vor. jetzt eben nicht mehr auf grund von privatinitiative, sondern institutionalisiert, von der stadtverwaltung geplant und ausgeführt.
ich glaube so müssen wir auch mit dem netz umgehen. wie in der fleischwelt gibt es dort unangenehme orte, es werden orte von leuten übernommen die hetzen, pöbeln und sich in ihrer arschlochigkeit gefallen. aber mit den richtigen strategien (die wir immer weiter entwickeln müssen) lassen sich diese plätze zurückerobern oder zivilisieren. nicht abwerten, aufwerten.
hier haben wir gestern unsere weihnachtsfeier gefeiert. „kochschule“ ist etwas übertrieben, wir haben zutaten zerschnipselt und meo bei der zubereitung zugesehen, ein bisschen fritiert und gerührt. aber das essen war sensationell lecker. alle zutaten waren bester qualität, alles, auch die curries und sossen, wurde frisch zubereitet und das ergebnis war beeindruckend und ausserdem äusserst fleischreich (von allen gängen wurden aber auch vegetarische varianten für unsere drei vegetarier zubereitet). die rezepte durften wir nach dem essen auch alle ausgedruckt mit nach hause nehmen.
wenn’s im angeschlossenen restaurant ähnlich gut schmeckt, wovon ich ausgehe, würde ich das restaurant gleich mitempfehlen. auf der webseite hört sich das jedenfalls vielversprechend an:
Neben Original Thai Home-Style Kitchen wie sie die Thais lieben, servieren wir ihnen thailändische Köstlichkeiten. Selbstverständlich ohne Glutamat, sondern mit viel frischen Kräutern und Gewürzen zubereitet.
meo’s kochschulenküche
ein paar der zutaten, aus dem rindfleisch wurde salat (!)
es gab zur weihnachtsfeier keine verletzungen
Das Netz ist nach gesellschaftlichen Maßstäben gemessen noch sehr jung, und es gibt berechtigte Hoffnung, dass sich irgendwann ein digitaler Diskurs durchsetzt, der differenziert. Aber der Neuaufbau einer funktionierenden Netzzivilisation braucht sehr viel mehr Zeit als erhofft und erwartet.
ich glaube dieser aufbau einer „funktionierenden Netzzivilisation“ oder die wiederherstellung von zivilisatorischen standards die auch unter den bedingungen des netzes funktionieren, ist eine der wichtigsten aufgaben in den nächsten jahren. wie können wir unser rechtssystem so gestalten, dass meinungsfreiheit, rechtssicherheit, ordentliche verfahren, sicherheit, privatsphäre auch in einer vernetzten gesellschaft funktionieren?
wie sascha lobo in seinem artikel beinahe ein bisschen kulturpessimistisch sagt, die digitalisierung unseres lebens, die digitalisierung unserer kommunikation hat viele neue chancen, aber auch neue gefahren (oder alte gefahren, in neuem gewand) hervorgebracht. diese gefahren, wütende, emotionalisierte mobs, missachtung, abbau oder negierung von grundrechten, populismus, rassismus oder antisemitismus sind nicht neu, aber sie kommen in neuem gewand. aber auch die lösungsansätze kommen in neuem gewand, oder sind schon da, aber wir erkennen sie noch nicht als lösungsansätze.
Cryptography rearranges power: it configures who can do what, from what. This makes cryptography an inherently political tool, and it confers on the field an intrinsically moral dimension. The Snowden revelations motivate a reassessment of the political and moral positioning of cryptography. They lead one to ask if our inability to effectively address mass surveillance constitutes a failure of our field. I believe that it does. I call for a community-wide effort to develop more effective means to resist mass surveillance. I plea for a reinvention of our disciplinary culture to attend not only to puzzles and math, but, also, to the societal implications of our work.
kein rechtsystem ist perfekt und jedes rechtsystem muss ständig verbessert und gegen angriffe verteidigt werden. ein ziemlich altes und eines der besten rechtsysteme der welt ist das amerikanische rechtsystem, zumindest in seinen grundsätzen. die grundsätze von fairen verhandlungen, unschuldsvermutung, due process gelten dort seit ein paar hundert jahren. die USA sind eine starke demokratie, mit einem stabilen rechtssystem — aber für viele jahre galt das vor allem für kaukasische männer; für frauen, schwarze, arme oder zuwanderer funktionierte das viele jahrhunderte weniger gut.
was ich sagen will: gerechtugkeit, fairness, anstand und freiheit schenkt einem niemand. man muss für sie kämpfen, sie sich erstreiten und sie verteidigen. ich glaube wir haben diesen aspekt bei der „Netzzivilisation“ viel zu lange ausser acht gelassen, bzw. ihn viel zu wenig popularisiert.
dennis perkins hat 25 jahre in einer videothek gearbeitet und meint dort etwas gelernt zu haben:
An algorithm is no substitute for human interaction
Over the years, we’d come to know our customers’ tastes, their pet peeves, and their soft spots. Our experience and movie expertise helped us make informed, intuitive leaps to find and fulfill entertainment needs they didn’t even always know they had. I’ve had parents hug me for introducing their kids to Miyazaki and The Iron Giant. Nice old ladies have baked me cookies for starting them off on The Wire.
ich war früher sehr regelmässiger videothek-, später dann DVDhekbesucher. ich habe mich in all den jahren nicht einmal „beraten“ oder mir sachen persönlich empfehlen lassen. ich will nicht ausschliessen dass die persönliche beratung für manche gut funktioniert. empfehlungen haben etwas mit vertrauen (und vertrautheit) zu tun, und mit angestellten in einer videothek möchte ich nicht erst vertrautheit und vertrauen aufbauen, bevor ich etwas ausleihe. das war mir schon vor 10 oder 20 jahren zu mühsam.
was in meiner lieblingsvideothek immer gut funktionierte war das hervorheben von einzelnen titeln auf den regalen. gute „kuration“ ist im übertragenen sinne natürlich auch beratung. so habe ich habe breaking bad und the good wife durch geschickte platzierung in meiner videothek „entdeckt“. obwohl, genaugenommen lag es wohl daran, dass sie damals neuzugänge waren und dementsprechend im originalversionen-regal standen. the wire habe ich übrigens aus der FAZ oder FAS empfohlen bekommen.
With online streaming, we don’t decide — we settle. And when we aren’t grabbed immediately, we move on. That means folks are less likely to engage with a film on a deep level; worse, it means people stop taking chances on challenging films. Unlike that DVD they paid for and brought home, a movie on Netflix will be watched only so long as it falls within the viewer’s comfort zone. As that comfort zone expands, the desire to look outside of it contracts.
halte ich ebenso für quatsch. ich habe mir schon die abstrusesten filme auf netflix angesehen, für die ich in der DVDhek niemals geld ausgegeben hätte. wenn mir jemand sagt: „schau das!“ schau ich mir das an und vertraue dem urteil auch, wenn ich nicht sofort in den film oder die sendung gesaugt werde. ausnahme: /w Bob and David auf netflix, das nilz bokelberg gerade auf wired.de empfahl. hab ich nach 10 minuten abschalten müssen weil ich mich in der tat nicht auf einer tieferen ebene damit auseinandersetzen wollte.
mir kommt das, was dennis perkins hier sagt, ziemlich arrogant vor. natürlich gibt es menschen die keine lust haben filmkritiken anzusehen oder unsicher bei der auswahl ihrer abendunterhaltung sind. natürlich gibt es leute, die froh sind, wenn sich jemand auf sie einlässt und sich mühe gibt, sie zu beraten oder passende oder grandiose filme zu empfehlen. aber zu glauben angestellte in videotheken seien für empfehlungen, das perlentauchen oder qualitätssehen unerlässlich ist reine arroganz. es gab schon immer und gibt nach wie vor medien, freunde, kollegen, bekannte — ja auch marketingmassnahmen — die genau dafür sorgen, dass wir unsere lahmarschigkeit (comfort zones) verlassen und uns auf die suche nach aufregendem, neuen oder überraschenden input machen. das hat immer schon auch gut ohne persönliche beratung funktioniert.
A good video store curates culture. Subjective? Certainly. But who do you want shepherding the legacy of TV and movies — a corporation or a store filled with passionate, knowledgeable movie geeks?
dank des internets haben wir alle zugriff auf passionierte und fast allwissende filmfreunde. wir können uns vortrefflich über mainstreamkultur austauschen, aber eben auch in beliebige subkulturelle filterblasen herabsteigen. wir können uns im netz überall und ständig fingerzeige geben lassen, wo wir bestimmte filme oder serien finden. wenn mir jemand sachen empfiehlt, die ich gerne angesehen habe, werde ich das nächste mal auch wieder auf ihn oder sie hören. und ja, zum teil funktioniert das auch auf den webseiten der grossen plattformen. dort finden wir in den bewertungssektionen die gleichen passionierten und wissenden „movie geeks“, die sonst in videotheken rumhingen.
A great video store’s library of films is like a little bubble outside the march of technology or economics, preserving the fringes, the forgotten, the noncommercial, or the straight-up weird.
aber auch die algorithmen, zum beispiel von netflix, leisten gute arbeit. ich habe mir noch nie so viele skandinawische filme (im original) angesehen, wie in den letzten jahren. letzte woche empfahl mir der netflix algorithmus einen polnischen film, der gar nicht mal schlecht war.
wichtiger noch, erst durch streaming dienste wie netflix oder amazon prime habe ich überhaupt zugriff auf bestimmte filme. was dennis perkins „the fringes“ nennt, nennt man im internet auch den „long tail“, dass abseitige, unkommerzielle lebt im internet und auf streaming-plattformen genauso gut, wie in einem liebevoll geführten filmladen an der ecke.
ti_leo kann sich besser konzentrieren, ist schneller und sorgfältiger als ich. dafür habe ich meine arbeitsleistung über die zeit verbessert, sie hat nachgelassen.
oder anders gesagt: in dem was ich mache bin ich unterdurchschnittlich gut, habe aber nen langen atem und steigere mich langsam in richtung durchschnitt.
Das bedeuten Ihre Ergebnisse im Einzelnen
Insgesamt wurden 95 von 196 Aufgaben bearbeitet, wobei 83% richtig gelöst wurden.
Sorgfalt und Fehlerfreiheit liegen im befriedigenden bis guten Bereich. Eine weitere Steigerung würde das Ergebnis verbessern.
Wiederholen Sie den Konzentrationstest regelmäßig im Abstand von 6 Wochen um Ihr Konzentrationsvermögen zu steigern.
Konzentration und Ausdauer
Die Arbeitsleistung (Anzahl der richtig gelösten Aufgaben) ist im Vergleich mit anderen leicht unterdurchschnittlich. Und auch die Arbeitsgeschwindigkeit ist im Vergleich mit anderen leicht unterdurchschnittlich. Versuchen Sie, Ihr Arbeitstempo zu erhöhen, um bessere Leistungen zu erzielen.
Konzentriertes Arbeiten erfordert Ausdauer. Ihre Arbeitsleistung blieb über die Zeit konstant bzw. verbesserte sich deutlich. Auch das Arbeitstempo konnten Sie deutlich steigern.
Insgesamt betrachtet, ist das Konzentrationsvermögen durchschnittlich und könnte durch spezielle Trainings deutlich gesteigert werden.
jan girlich über die potenziellen gefahren einer bargeldlosen zukunft. mir ist der text etwas zu FUD, auch wenn er ein paar nachvollziehbare und wichtige argumente aufzählt. aber völlig unverständlich ist mir, warum ein autor auf netzpolitik auf eine pressemitteilung eines herstellers von „sicherheitssoftware“ linkt, um damit nachzuweisen dass bei bargeldlosen bezahlmethoden „der Betrug rasant“ wachse.
ich gebe zu: ich google manchmal auch die thesen über die ich schreben möchte um dann einen passenden artikel zu verlinken, aber von pressemitteilungen mit eindeutigem hintergrund, nehme ich dann schon abstand. und bei netzpolitik oder einem CCC-mitglied erwarte ich schon ein bisschen bessere expertise und quellenkentnis.
[nachtrag 17.11.2015]
auf netzpolitik ist der link auf die pressemitteilung jetzt mit einem link auf eine „unabhängigere Quelle für Betrug mit bargeldlosen Zahlungsmitteln“ ersetzt, einen artikel auf businesswire, dessen zentrale aussage ist, dass man dem betrug mit bargeldlosen zahlungsmitteln vor allem durch den einsatz von EMV-konformen zahlungskarten entgegentreten kann. der artikel plädiert also für chips statt magnetkarten für den bargeldlosen zahlungsverkehr. auch nicht erwähnt wird, dass die verluste durch betrug vor allem von den banken, bzw. zahlungsdienstleistern getragen werden:
Of the total $16.31 billion lost to fraud last year, card issuers worldwide absorbed 62%. Merchants accounted for the other 38%. In the U.S., card issuers lost $4.91 billion and merchants lost $2.95 billion. Those losses do not include related costs issuers and merchants incur.
das widerspricht natürlich der these im netzpolitik-artikel, dass die bargeldlosen zahlungsverfahren von banken vor allem aus profitgier, bzw. aus kostengründen in den markt gedrückt würden. unerwähnt bleibt folglich auch der hinweis bei netzpolitik, dass verluste durch betrügerische aktivitäten fast immer durch die kartenausgeber getragen werden und nicht beim konsumenten landen, eine sicherheit die bargeld in den wenigsten fällen bietet.
sehr schöner film über die schönhauser allee vom rbb, etwas wirr geschnitten, streift aber dafür alle wichtigen aspekte des lebens in den letzten 100 jahren um die schönhauser.
sehr gut, nicht nur wegen der kleinschreibung. ein gastbeitrag bei johannes korten:
ich erhalte einen anruf in meiner arbeit. eine frau, die einen unbegleiteten minderjährigen flüchtling aufgenommen hat, druckst herum ja es sei ihr jetzt sehr unangenehm und sie wolle auf gar keinen fall irgendwie rechtsradikal wirken, aber der junge mann würde die toilette bei ihnen im haushalt nicht benutzen. oder vielmehr so benutzen, wie er es kennt, wie sie es aber nicht möchte. aus gründen. sie traue sich jetzt aber nicht, das anzusprechen, weil sie sorge habe, dass er sich dann nicht willkommen fühlt und wir denken, sie sei ein nazi. eine frau mit einer 15 jährigen tochter meldet sich bei mir. sie lebt neben einer erstaufnahmeeinrichtung. sie sagt sie möchte wirklich nicht schlechtes sagen, sie hilft dort selber mit und sie weiss auch nicht, wie sie es ausdrücken soll, ohne dass ich denken müssen sie sei irgendwie rechts. aber ihre tochter hätte angst an dieser einrichtung vorbei zu laufen, sie sei bereits mehrfach angesprochen worden, was ihr unangenehm sei und jetzt wollten sie mal nachfragen, was wir denn meinen wie sie und ihre tochter mit dem thema umgehen solle „man will ja nicht, dass alle gleich denken, man sei gegen flüchtlinge, das sind wir nicht, aber das ist so neu und wir wissen nicht weiter“.
ich glaube auch, wie andreas von gunten, dass es keine gute idee ist, das bargeld abzuschaffen.
aber … andreas von gunten sagt:
In einer bargeldlosen Gesellschaft mit staatlicher digitaler Währung wäre es jederzeit möglich – per Knopfdruck quasi – einem Bürger oder einer Bürgerin das Bezahlen zu verunmöglichen, oder die Geldmittel zu konfiszieren.
so wie ich das verstehe, ist das jetzt schon sehr einfach möglich jedem per knopfdruck das bezahlen zu „verunmöglichen“. ausser man hat ein paar tausend euro bargeld irgendwo unauffindbar versteckt, ist man mit der pfändung seines kontos im prinzip zahlungsunfähig. oder andersrum, jedem dem in deutschland die teilnahme an bargeldlosen zahlungsverfahren verweigert wird, jedem dem ein girokonto verweigert wird, ist ein normales leben so gut wie unmöglich. gehälter werden in deutschland schon lange nur noch in absoluten ausnahmefällen in bar ausgezahlt, mieten nimmt kaum noch ein vermieter in bar an. im netz, in das sich unser leben mehr und mehr verlagert, funktioniert bargeld auch eher schlecht.
ich glaube, wir haben uns in der westlichen welt schon sehr, sehr weit vom bargeld entfernt — weiter als andreas von gunten es offensichtlich wahr haben will. ich weiss zwar, dass es auch andere möglichkeiten gibt an bargeld zu kommen, ausser es am geldautomaten zu kaufen, aber soweit ich das verstehe ist es zum beispiel bereits heute (in deutschland) so, dass man grössere mengen bargeld kaum unbemerkt durch die gegend schleppen kann, geschweige denn über landesgrenzen bringen kann. es ist bereits heute so, dass jede versicherung, jede bank, aber auch rechtanwälte, notare oder wirtschaftprüfer die hohe bargeldeinzahlungen entgegennehmen, eine verdachtsanzeige wegen geldwäsche aufgeben müssen.
[W]enn finanzielle Transaktionen nur noch innerhalb eines digitalen und überwachten Systems stattfinden können, ist eine elementare Grundlage für eine totalitäre Gesellschaft gelegt.
so argumentieren übrigens auch die befürworter des zweiten zusatz zur US-verfassung. wenn den bürger das recht genommen wird waffen zu tragen, wie sollen sie sich dann gegen eine totalitäre regierung wehren?
unser wohlergehen ist, ob wir das wollen oder nicht, sehr eng mit staatlichem handeln verknüpft. im laufe der letzten jahrhunderte haben wir unzählige freiheitsrechte an den staat abgetreten, in der (berechtigten) hoffnung, dass sie dort besser aufgehoben sind und zu mehr gerechtigkeit führen. streitigkeiten können wir nicht mehr mit gewalt oder nach stärke oder gutdünkten beenden, wir können nicht einfach entscheiden unsere kinder nicht zur schule zu schicken, wir müssen unser gesamtes einkommen dem staat offenlegen und einen erheblichen teil davon abegeben. wir können noch nichtmal einfach so ein haus bauen oder einen baum pflazen ohne die entsprechenden genehmigungen dafür einzuholen. selbst die heizung muss jedes jahr einmal von einem staatlich geprüften schornsteinfeger geprüft werden, der für diesen zweck, staatlich legitimiert, unsere wohnung betreten darf.
andreas von gunten macht wikileaks, bzw. die wikileaks „banking-blockade“, zum kronzeugen für seine these, dass ohne bargeld alle freiheit den bach runtergeht:
Die US-Behörden haben sofort mit massivem Druck reagiert und haben innert weniger Tage erreicht, dass die Geldflüsse von und zu Wikileaks unterbrochen wurden. Paypal, Visa, Mastercard und in der Schweiz die Postfinance haben damals kurzerhand entschieden, keine Zahlungen mehr an Wikileaks anzunehmen oder haben zum Teil sogar die Vermögenswerte eingefroren, ohne dass eine Verurteilung durch ein Gericht, ja nicht einmal eine formale Anklage vorhanden war. Diese Banking-Blockade, wie Wikileaks sie nennt, gibt uns einen Vorgeschmack darauf, was uns blüht, sollte das Bargeld dereinst wirklich abgeschafft bzw. verboten werden.
der witz ist allerdings, dass wikileaks auf seiner spendenseite keine bargeldzahlungen vorsieht. dort sind lediglich bargeldlose zahlungsverfahren vorgesehen.
ich bin gerne dabei, beim freiheitskampf kampf gegen die bargeldabschaffung, wichtiger ist es meiner meinung nach aber sich für den due process, für die rechtstaatlichkeit beim einfrieren von vermögenswerten einzusetzen. dass wir uns dafür einsetzen, dass bei der verbrechensbekämpfung nicht alle rechtstaatlichen grundsätze über bord geworfen werden, nur weil es „organisiertes verbrechen“ oder „terrorismus“ gibt. auch wenn es kaum noch jemand glaubt, der staat sind nicht „die da oben“, sondern wir alle. wir müssen und können der angstmache der rechten law-und-order-fraktionen etwas entgegensetzen, aber bitte keine angstmache, auch wenn sie dem guten zweck dient.
ich habe vor einer weile geschrieben, dass bargeld nervt, womit ich mich möglicherweise indirekt als bargeld-abschaffungs-„Befürworter aus der Tech-Szene“ qualifiziere. ich würde mir die hose in dieser form allerdings nicht anziehen wollen.
Wenn du 78% deines Gesamttraffics über Social hast, davon 96% über Facebook, bei nur ca.15% Direktzugriff, wofür hast du noch 'ne Webseite?
der eintrag von mathias richel ist offensichtlich ein etwas kryptischisches nachdenken über die strategie für eine online-publikation. damit steht er in einer guten tradition, denn das machen derzeit ungefähr alle die publizierend tätig sind. johnny haeusler riet vor ein paar monaten bereits den verlagen ihre websites zu schliessen. daraus entsponnen sich durchaus interessante diskussionen und im angesicht von apple news, facbook instant articles und dem ganzen social media-gedöns ist die frage nach dem auftritt in der welt, also im internet, brennender denn je: wie erreiche ich meine zielgruppe?
mir fiel beim nachdenken über mathias richels kryptik eine weitere analogie ein: der fabrikverkauf.
auch verlage produzieren in ihren häusern produkte, die sie vertreiben. so wie jedes andere produzierende unternehmen das auch tut. sind die produkte für (private) endkunden bestimmt, sind produzenten darauf angewiesen, hilfe beim vertrieb anzunehmen, sei es durch grosshändler, handelketten oder einzelhändler. der direktvertrieb funktioniert auch oft, bei apple zum beispiel, oder bei vorwerk, tupper oder ein paar tiefkühlkosthädlern.
die gegenseitigen abhängigkeiten führen nicht selten zu streit oder unsicherheiten, aber gerade grosse handelsketten funktionieren im lebensmittelhandel ganz ähnlich wie die sozialen netzwerke in der verlagsbranche: als durchlauferhitzer und massenerreichnungsspezialisten.
aber: jede bessere fabrik hat auch einen fabrikverkauf oder bietet sogar fabrikführungen an. das funktioniert zur kundenbindung ganz hervorragend, wie ich kürzlich am beispiel schottischer whisky-distillerien feststellen konnte.
worauf ich hinaus will: auch wenn eigene, selbstgepflegte und vor allem selbst kontrollierte webseiten im vergleich zu anderen vertriebsquellen keinen grossen durchsatz oder hohe besucherzahlen haben, so ist ihr wert für die image-bildung oder leserbindung nicht zu unterschätzen.
so wie der direktvertrieb oder der fabrikverkauf bei produzierenden unternehmen nicht zu unterschätzen ist, auch wenn man dafür mitunter sehr viel expertise und aufwand betreiben muss.
mit anderen worten: egal welche strategie man für den vertrieb seiner produkte wählt, über handelsketten, grosshändler, soziale netzwerke, die masse wird über fremdkontrollierte kanäle abgesetzt oder erreicht. aber die identität wird zuhause, in der fabrik, im eigenen schaufenster, auf der eigenen website geprägt. das vorschnell aufzugeben, nur weil der vertrieb über dritte mehr masse absetzt, wäre dumm. aber allein auf direktvertrieb zu setzen, ebenso.
vielseitige, sehr ausführliche einführung ins bloggen von daniel berger in der aktuellen c’t. für leute die schon länger bloggen gibt’s dort wenig neues, für anfänger oder interessierte kann der text aber hilfreich sein.
ich schreibs auch bloss auf, weil ich dort erwähnt wurde:
Bei einem Blog über „alles und nichts“ weiß niemand so recht, was er erwarten kann. Das heißt aber nicht automatisch, dass ein persönliches Blog ohne Fokus keine Leser findet; Spreeblick.com und Wirres.net beweisen das Gegenteil. Die Berliner Blogs befassen sich mit der Banalität des Alltags, mit Politik, mit der Blogosphäre und der Gesellschaft — und zwischendurch handeln sie vom Urlaub. In jedem Eintrag aber spielen die Autoren und ihre persönlichen Ansichten eine wichtige Rolle und das macht den Reiz aus.
jetzt weiss ich, dass mein blog ohne „fokus“ ist und was seinen reiz ausmacht …
hervorragende zusammenfassung zum stand der pornografie im netz und in der, haha, fleischwelt:
In America the number of porn studios is now down from over 200 to 20, says Alec Helmy, the founder of XBiz, a trade publication. Performers who used to make $1,500 an hour now get $500—even as increased competition means they are asked to produce more extreme content. Revenues are well below their peak; how far below is hard to say, as most porn producers are private. Just before the tubes took off, plausible estimates put worldwide industry revenues at $40 billion-50 billion. Mr Thylmann thinks they have fallen by at least three-quarters since then.
der artikel zeichnet auch sehr nachvollziehbar paralellen zum mediengeschäft:
All this will sound painfully familiar to other media firms. Echoing the aggregation deals struck by the tubes with commercial porn producers, social-media sites are starting not just to link to content, but to host it. Snapchat, a messaging app that lets users send each other photos and videos that vanish after a few seconds, allows news outlets to publish articles on its service in return for a share of advertising revenue. Facebook is doing something similar with its Instant Articles service. Indeed, Facebook, Twitter and their like have essentially evolved into traffic-brokers. Many of the clicks they pass on come from links posted by users. But the number of ads, promoted posts and suchlike is growing.
facebook und twitter als durchlauferhitzer nach dem vorbild der porn-tubes, bzw. den frühen pornolinklisten. demnach ist massen-erregung und -mobilisierung ist ist der motor der porno- und medienbranche. was sollte da schief gehen?
es gibt auch noch einen zweiten artikel in der economist-themenreihe pornografie, den ich noch nicht gelesen habe und deshalb auch nichts dazu sagen kann: Pornography: A user’s manual
(miriam meckel sagt dazu auf blendle [€]: „A great overview on the economic and cultural impact of pornography as a driver for digital development and business.“)
toller spezialartikel auf wired.com zur zukunft der städte. der einseitige artikel hat bei mir ungefähr 100 MB geladen, fühlt sich aber nicht übermässig schwer beim lesen an. im gegenteil, zu jeder stadt, los angeles, shangha, medellín, eindhoven, mekka, nairobi, san francisco und dubai gibt’s kleine, gut lesbare häppchen, mache zu ziemlich überraschenden projekten, zum beispiel den seilbahnen und öffentlichen bibliotheken mit parks in medellín, die vor allem den ärmeren bevölkerungsschichten zu gute kommen. sehr schön und sehr lesenswert.