danke für die zusätzliche perspektive. und nur ums nochmal klar zu sagen, fürs personalisierte tracking gibt’s viele gute gründe. was aber mein aufhänger ist: kaum jemand versteht, in welchem umfang man beim newsletterlesen und klicken beobachtet wird und dass hier in der regel nichst pseudonymisiert wird, sondern knallhart persönlich identifizierbar profiliert wird.

und: eine wahl wird einem, wenn man den umfang des trackings verstanden hat, in der regel eben nicht gegeben. lediglich der anbieter inxmail (habe ich zumindest mit oberflächlichster recherche gesehen) bietet fürs tracking einen separaten opt-in an.

und zum t.co-url-kürzer und -tracker: der, und alle anderen shortener, nerven auf sehr vielen ebenen und ermöglichen (theoretisch) twitter für angemeldete benutzer ebensolche klick-historien anzulegen, wie es die newsletter-anbieter (theoretisch) können. aber immerhin kann ich der personalisierten erfassung entgehen, indem ich t.co-links beispielsweise in einem anonymen browserfenster öffne.

enthaltsamkeit gegen die klimakatastrophe?

felix schwenzel, , in artikel    

mich macht das unreflektierte wiederkauen von vermeintlichen studienergebnissen immer ein bisschen aggressiv, aber journalisten scheinen studien zu lieben. früher auf papier, jetzt im netz oder in emails, reissen journalisten für eine knackige überschrift, einen schlussgag oder aufhänger, sätze aus zusammenfassungen aus dem zusammenhang und werfen sie dem leser oder zuschauer vor. so auch heute im tagesspiegel checkpoint:

[…] Gerade veröffentlichte Zahlen eines französischen Think Tanks sollen belegen, dass Videostreaming jedes Jahr 305 Millionen Tonnen Kohlendioxid verursacht – was fast ein Prozent des weltweiten Ausstoßes sei (laut „The New Scientist“).

lobend erwähnen muss ich natürlich, dass der checkpoint die quelle verlinkt und mit der formulierung „sollen belegen“ darauf hinweist, dass zahlen aus studien, reports oder schlussabsätzen immer mit vorsicht oder ein paar gramm salz zu geniessen sind. auf die furchtbar verunglückte und verklemmte porno-schlusspointe von björn seeling möchte ich eigentlich nicht gesondert hinweisen, weil die pointen von björn seeling immer klemmen. aber ich zitiere sie trotzdem kurz, weil nicht nur die pointe klemmt, sondern auch der inhalt:

Vorschlag des Think Tanks, um CO₂ einzusparen: die Datenmenge durch geringere Auflösung der Videos verkleinern. Gilt natürlich nicht nur für die ganz scharfen.

(2 von mir tiefergesetzt, fettungen von björn seeling)

die studie, oder der report, wie the shift project die veröffentlichung nennt, schlägt nämlich gar nicht vor auflösungen von online-videos zu verkleinern, sondern man schlägt digitale enthaltsamkeit („Digital sobriety“) vor. um den report zu ergänzen, liefert the shift tank the shift project allerdings drei „werkzeuge,“ um nutzerïnnen und bürgerïnnen die versteckten umweltbelastungen von digitalen technologien zu zeigen („to reveal the hidden environmental impact of digital technology to users and citizens“):

ich bezweifle, dass björn seeling oder das shift projekt glauben, dass eine dreiseitge pdf-anleitung etwas ist, auf das youtube, netflix oder amazon prime gewartet haben, um das gewicht ihrer angebote zu reduzieren. tatsächlich stecken die plattformen bereits seit einigen jahren geld und entwicklung in die optimierung von komprimierungsalgorithmen und effizientere auslieferung — nicht nur aufmerksamkeit bedeutet geld für die platformen, auch optimierte geschwindigkeit und resourcennutzung. das pdf richtet sich eher an leute die ihre eigenen pornos drehen ihre selbstgemachten videos erstmal selbst optimieren möchten, bevor sie sie auf youtube oder vimeo laden, um sie dort nochmal optimieren zu lassen und ausliefern zu lassen. im pdf wird übrigens auch erklärt, wie der autor des pdf es schaffte 16 seiner vimeo-videos so zu optimieren, dass er am ende im schnitt 25% der video-dateigrösse einsparte: 11 wurden erfolgreich um 50 bis 90 prozent in der grösse reduziert, zwei liessen sich nicht weiter optimieren und drei hat er gelöscht: „Reducing the weight of videos online therefore begins by asking the question of the usefulness of their online presence.“

das ist die haltung, bzw. der lösungsansatz, der sich durch den ganzen report „The Unsustainable Use Of Online Video“ zieht: digitale, persönliche enthaltsamkeit. statt mit dem SUV mal zu fuss zum supermarkt gehen um quinoa zu kaufen, mülltrennung und das eine oder andere video bei youtube löschen, um das klima zu retten.

mich erinnert das fatal an die narrative die uns die ölindustrie, die autoindustrie oder die kunstoff produzierende industrie ins kollektive gewissen gehämmert haben: das elend der welt ist kein politisches problem, sondern ein problem individueller schuld. fahradfahren und zu fuss gehen wird sicherer, wenn wir vorsichtiger und umsichtiger sind und uns beispielsweise mit helmen schützen, nicht etwa durch tempolimits, fahrverbote, getrennte fahrradwegnetze. müllberge aus kunstoff sind ein problem weil wir den müll nicht gut genug trennen, zu verpackungsintensiv einkaufen oder unsere plastikzahnbürsten schon nach 6 wochen wechseln, nicht etwa weil die industrie jede regulierung der kunstoffproduktion weglobbyiert hat oder sich mit grünen punkten jahrzehntelang weissgewaschen hat.

und der klimawandel: natürlich auch die schuld eines jeden einzelnen, wer netflix guckt, mal in den urlaub fliegt oder wegen nicht vorhandenem oder nicht funktionierenden öffentlichem nahverkehr mit dem auto pendelt ist schuld am klimawandel. dass mehr oder weniger alle politischen fragestellungen und initiativen zum klimawandel seit jahrzehnten ausgeklammert, ausgesessen, verharmlost oder ignoriert wurden ist sekundär.

ganz ironielos beschreibt dieser artikel der klimaaktivistin mary annaise heglar, dass das problem nicht individuelle schuld ist, sondern dass die klimakatastrophe eben nur politisch gelöst werden kann: »Stop obsessing over your environmental sins. Fight the oil and gas industry instead.«

* * *

dass das internet ungeheuer viel energie verbraucht steht ausser frage, ebenso, dass video-streaming mittlerweile mehr als die hälfte des gesamten netzwerkverkehrs ausmacht. der report spricht auch themen an, die in aller breite diskussionswürdig sind, wie „dunkle design muster“ (dark design patterns), die benutzer möglichst lange auf den jeweiligen platformen halten sollen: autoplay, endlos-scrolling, eine athmosphäre von dringlichkeit. nur sind diese design-muster eben nichts neues, auch das alte fernsehen nutzt bis heute autoplay, setzt alles daran, den zuschauer so lange wie möglich am schirm zu halten und die aufmerksamkeit einzufangen. auch sendemasten und analoge fernsehgeräte verbrauchten strom und tageszeitungen (wie der tagesspiegel) sind, selbst nach einer studie die die papierverarbeitende industrie in auftrag gegeben hat, eher keine CO₂-musterknaben:

Die Printzeitung verbraucht im Vergleich zur Online-Zeitung deutlich mehr Primärenergie. Der Carbon Footprint ist ebenfalls größer. Die Gesamtumweltbelastung ist bei der gedruckten Zeitung auch höher. Das alles spricht gegen die gedruckte Zeitung.

(wenn man eine gedruckte zeitung länger als eine halbe stunde liest oder sie noch von 2,2 anderen leuten lesen lässt verbessert sich die ökobilanz der gedruckten zeitung.)

dass videostreaming jedes jahr „305 Millionen Tonnen Kohlendioxid“ verursacht, dass die produktion von zeitungen auch CO₂ verursacht, oder, previously, dass bitcoin-mining irre viel strom verbraucht, sind feststellungen die dem klimaschutz nicht helfen, weil sie strohmann-argumente sind. sie suggerieren dass es leicht identifizierbare schuldige gibt, leute die bitcoins abbauen, leute die netflix oder pornos gucken oder sich nachrichten auf gebleichtem altapapier kaufen. sie suggerieren, dass wir, jeder einzelne von uns, selbst schuld sind und dass erziehung, aufklärung und enthaltsamkeit lösungen sein können.

dabei liegt die lösung auf der hand: sie ist politischer, gesellschaftlicher natur. die politik muss dafür sorgen ihre viel zu bescheidenen und niedrigen klimaschutzziele zu erfüllen, wir müssen weg vom verbrennungsmotor, wir müssen den individualverkehr mit regulierung reduzieren (weniger autos wagen) und bessere, viel bessere öffentliche verkehrslösungen schaffen. die maschinenräume des internets müssen mit politischen mitteln dazu gebracht werden energetisch effizienter zu werden und aus mehr und mehr regenerativen energiequellen gespeist zu werden. google rühmt sich damit bereits 30% ihrer „anlagen“ mit erneuerbarer energie zu versorgen. mit entsprechendem poltischen druck und ernsthaften schritten in richtung einer energiewende sollte da noch einiges zu machen sein.

wir alle müssen am grossen politischen rad drehen, statt nur enthaltsamer zu leben. nichts gegen enthaltsamkeit, wer sich dafür entscheidet seinen ökologischen fussabdruck zu reduzieren, sei es durch verzicht, vernunft oder sparsamkeit, verdient respekt. mir geht das wort nachhaltigkeit nur schwer über die lippen, aber wenn wir unseren konsum, unser eigenes leben etwas mehr auf resourcenschonung und verträglichkeit mit der zukunft abstimmen, ist das kein schritt in die falsche richtung — solange es eben nicht der einzige schritt ist und wir nicht die politische dimension aus den augen verlieren.

und zum thema digitale enthaltsamkeit: ich glaube, dass es wirklich sehr, sehr wenige erfolgsgeschichten der enthaltsamkeit gibt. die katholische kirche dürfte das beste beispiel dafür sein, denn sie hat einen mehrere tausend jahre langen feldversuch unternommen, der ziemlich deutlich zu zeigen scheint, dass enthaltsamkeit gesellschaftlich und politisch keine lösung ist, sondern im gegenteil, die probleme nur verlagert und verschärft.

* * *

ich habe versucht den ganzen report von the shift project zu lesen. das wurde erschwert durch eine ungemein sperrige sprache und ermüdende wiederholungen. ich kann aber guten gewissens behaupten, dass ich die studie sorgfältiger gelesen habe als die autoren selbst. hätten die ihr konvolut nochmal vor der veröfentlichung als PDF gelesen, wären ihnen vielleicht auch absätze wie dieser aufgefallen:

streaming sites, of “tube” type (cf. Erreur ! Source du renvoi introuvable..Erreur ! Source du renvoi introuvable..Erreur ! Source du renvoi introuvable. “Erreur ! Source du renvoi introuvable.”, p. Erreur ! Signet non défini.), have revolutionized the consumption of pornography by making access to it by any smartphone, including by children and adolescents, simple and free.

mir graust es auch vor argumentationsmustern wie diesem, dass mich an die politische spindoktor-dreherei der telekommunikations-industrie zur abschafffung der netzneutralität erinnert:

Not choosing means potencially allowing pornography to mechanically limit the bandwidth available for telemedicine, or allow the use of Netflix to limit access to Wikipedia.

die ähnlichkeit der argumentationsmuster des shift project mit denen grosser industrie-lobby-vereinen macht mich stutzig. wie sich das projekt finanziert habe ich auf theshiftproject.org nicht herausfinden können. die wikipedia deutet lediglich an, woher das geld kommt: „The Shift Project is funded by corporate sponsors.“

wahrscheinlich sind die argumente des shift projects aber einfach nur so schwach, weil man nicht genug industriegeld einsammeln konnte um sich über enthaltsamkeit hinausgehende gedanken zu machen. positiv ist übrigens zu vermerken, dass das video des projekts mit bisher lediglich knapp 4000 views auf youtube beinahe klimaneutral ist und damit erst 35 kilogramm CO₂ ausgestossen hat. allerdings könnte das verlinken des videos nach ansicht des shift-projekts einer klimasünde gleichkommen.

...

das tolle am steinpilzrisotto (bzw. milchreis mit getrockneten steinpilzen) ist der duftende aufguss der steinpilze. schmeckt aber auch fertig sehr lecker, hier mit gurken/rettich salat nach tim mälzers oma.

influencer am hof

felix schwenzel, , in artikel    

schlosspark von sanssouci

heute waren wir in potsdam im schlosspark von sanssouci. die beifahrerin wollte dort in den botanischen garten, weil sie gewächshäuser gerade super findet und wir die gewächshäuser im botanischen garten von berlin und kiel und auf dem bundesgartenschau-gelände schon gesehen haben. ausserdem wollte sie, nachdem wir kürzlich mal im chinesischen teehaus auf dem bundesgartenschaugelände waren, auch ins teehaus im park von sanssouci.

(das teehaus auf dem buga-gelände in marzahn ist sehr toll und erschien uns sehr authentisch — und vor allem lecker.)

die tropenhäuser in potsdam waren toll, dort standen sogar unbewachte coca-sträucher und andere drogen-pflanzen. die farne und luftwurzler waren faszinierend und die einheimischen insekten mögen auch die tropischen pflanzen.

luftfarn
wespe

ausserdem gibts in potsdam die „merkwürdigste pflanze der welt“, der in ihrem ganzen leben nur zwei blätter wachsen, aber bequem mehrer tausend jahre alt werden kann. das exemplar in potsdam war erst 40 jahre alt.

ungewöhnlichste pflanze der welt
die angeblich „merkwürdigste pflanze der welt“

nach den gewächshäusern liefen wir dann zum chinesischen teehaus und unterwegs kamen wir unter anderem am lustgarten vorbei. was denn ein „lustgarten“ wäre, fragte die beifahrerin. ich meinte, dass das der ort gewesen sei, wo sich die adeligen am hof amüsieren könnten, rumspazierten um zu gucken und gesehen zu werden, fangen spielen und so. dank moderner technologie kann man solche fragen ja heutzutage auch gleich wenn sie aufkommen nachschlagen. ich las aus der wikipedia:

Der Lustgarten ist ein (oft parkähnlicher) Garten, der vorrangig der Erholung und Erfreuung der Sinne dient. Er enthält häufig auch zusätzliche Einrichtungen (Gartenlustbarkeiten) wie Konzertsäle, Pavillons, Fahrgeschäfte, Zoos oder Menagerien.

was denn eine menagerie sei, fragte die beifarerin dann noch:

Die Menagerie ist eine historische Form der Tierhaltung und als solche der Vorläufer des zoologischen Gartens, der sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte.

nachdem die lustgarten- und menagerie-fragen aufkamen, musste ich jedenfalls an die knapp 200 adelsfilme und -serien denken, die ich in den letzten 40 jahren konsumiert hatte (bemerkenswert in den letzten beiden jahren übrigens versailles und the favourite). so ein hof war ja neben dem politischen gedöns vor allem ein ort an dem sich die frühen influencer versammelten und trafen. man verbrachte dort einen nicht unerheblichen teil seiner zeit damit über mode zu reden und mode und sein eigenes exquisites verständnis von mode zur schau zu tragen, schminktipps zu tauschen und ein gefühl von zugehörigkeit zu exklusiven kreisen zu feiern. selfies waren damals noch etwas aufwändiger in der herstellung, die verbreitung ging zunächst nicht über die eigenen, exklusiven kreise hinaus und vor allem konnte man die selfies nicht selbst herstellen.

das promi-selfies oft gar nicht selbst hergestellt werden ist allerdings auch heute, seit mindestens vier jahren noch so.

selfie von christian ulmen, collien ulmen-fernandes, mirko lang und zwei anderen
selfie von christian ulmen, collien ulmen-fernandes und anderen (Bildrechte: BR/PULS/Sebastian Wunderlich)

neben den influencern waren an diesen adelshöfen aber vor allem auch viele promi-gaffer. der niedere adel hatte es — vermeintlich — zu etwas gebracht, zu privilegien und ein bisschen vermögen, und suchte jetzt am hof vor allem gelegenheit das eigene selbstwertgefühl durch promi-exposition aufzuwerten. der aufenthalt am hof muss irre langweilig und eintönig gewesen sein, aber die möglichkeit sich vom ruhm der promis bescheinen zu lassen, sich selbst zu vergewissern zum erlauchten kreis dazu zu gehören, machte die langeweile wohl wett.

daran musste ich, wie gesagt, heute im schlosspark denken — und als ich eben den blogartikel der beifahrerin von heute las (celebrity-art), schloss sich der kreis: diese leute, deren lebenszweck es zu sein scheint in bestimmten kreisen gesehen zu werden, denen es wichtig ist einen bestimmten, vermeintlichen status nicht nur zu haben, sondern offensiv zu zeigen, die gibt’s heute mehr denn je. die springen auf kunst-messen rum, droppen names in interviews oder schlürfen austern in stehtisch-restaurants in hamburg, düsseldorf, sylt oder münchen.

dank der massenmedien und der noch massigeren netzmedien, hat zwar jeder theoretisch die chance auf 15 minuten teilnahme am hofzeremoniell, aber prominenz, veradelung durch prominenz oder exklusivität, ist immer noch eine wertvolle und nicht ganz leicht zu erlangende währung im gesellschaftszirkus.

wenn wir uns heute lustig machen über die hofzerionielle von vor 100, 200 oder 300 jahren, sollten wir bedenken, dass die filme in 200, 300 jahren genauso unbarmherzig mit unseren gesellschaftritualen umgehen werden.

das teehaus im schlosspark von sanssouci serviert übrigens keinen tee. das ist nur ein ausstellungsraum. ganz hübsch, aber trocken.

chinesisches teehaus im schlosspark von sanssouci