
früher war das internet ziemlich scheisse. ich weiss das, weil ich früher als boris becker drin war. eigentlich sogar vor netscape 1.0. das internet war damals enorm unpraktisch und fand nur am schreibtisch statt. man musste sich einen tcp/ip stack installieren, sich umständlich einwählen und die einwahl war teuer weil sie über die telefonleitiung ging und telefon war früher teuer. das internet war langsam und und die leitung brach oft zusammen. man erreichte niemanden weil niemand im internet war und alle freunde die man fragte, ob sie nicht auch ins internet wollten, nur mit dem kopf schüttelten und fragten: „warum?“.
das internet war um die mitte der neunziger noch nicht mal sowas wie ein exklusiver club, von dem man nur durch geheimtipps erfuhr. es war eher wie der feuchte keller einer abgelegene gartenlaube in hintertupfingen. was es im internet schon damals gab waren „admins“ die ihren gartenlaubenkeller als ihren regierungsbezirk sahen, in dem sie schalten und walten konnten wie sie wollten. ein falsches wort in einem irc-chat und man wurde rausgekickt („You have been kicked by xy (bye.)“). als ich auf meiner ersten webseiten um 1995 oder 1996 das gedicht lichtung von ernst jandl zitierte und darüber reflektierte, wurde ich vom server gekickt, weil die admins dachten ich sei ein nazi. das gedicht von jandl geht so:
lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!
auch wenn das internet früher scheisse war, ich fand es natürlich toll. wie alles was potenzial hat, wie alles was man mitformen, mitgestalten kann, dem man beim wachsen zuschauen kann. wie alles, das freiräume bietet, offen, undefiniert, chaotisch, blinkend, bunt, schmutzig ist.
der kommerz kam auch schon in den 90ern ins internet, als wired.com 1994 die erste bannerwerbung schaltete, ging ein aufschrei durchs netz. pornoseiten waren genau so früh im internet (oder früher), wie die ersten browser. die erste suchmaschine, altavista war scheisse, aber immer noch besser als keine suchmaschine. das internet war von anfang an scheisse und ist es bis heute, genau wie die welt schon immer scheisse war.
viele menschen haben mit der welt die gleichen probleme wie andere menschen probleme mit dem internet haben. es gibt nicht wenige menschen, die glauben das früher „alles“ besser war oder sehnen sich nostalgisch verklärt und mit selektiver wahrnehmung längst vergangenes zurück. nostalgie ist schlimmer als eine sonnenbrille, sie verfärbt den blick in die vergangenheit ins rosa-spektrum und erschwert den blick in die gegenwart und die zukunft durch dunkle schleier. mit einer nostalgiebrille auf der nase sieht man gar nichts mehr klar.
meine erfahrung ist, dass das internet heute genauso scheisse und genauso toll und voller potenziale ist, wie es das früher war. genau wie in einer stadt oder in der welt lassen sich orte und gemeinschaften finden, in denen man sich wohlfühlt und genau so gibt es ecken die man lieber meidet. es gibt orte mit denen man nichts anfangen kann und sich wundert dass davor warteschlangen stehen und es gibt orte nach denen man sich sehnt.
ich schreib das alles auf, weil ich gerade ein paar leute mit nostalgiebrillen beobachtet habe.
oder auch blog.cgx13.de: Ich Vermisse Das Alte Internet.
der witz ist natürlich, dass diese nostalgie nach dem alten internet genau so alt ist wie das internet. auch um 1994, als „neueinsteiger“ in dieses internet, hörte ich leute die sich beklagten, dass das alte internet doch irgendwie viel besser gewesen sei. heute wie damals fällt mir dazu nur diese antwort ein: leute macht doch mal die augen auf — und geht auf entdeckungsreise. das internet heute ist das internet, nach dem sich in 30 jahren auch wieder alle möglichen nostalgiker sehnen, die es nicht schaffen ihre augen in das blendende und oft irritierende licht der gegenwart und zukunft zu richten.